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PoC-Schauspieler:innen in DeutschlandFarbenblindes Casting

Die Schauspielagentur Black Universe Agency aus Hamburg vermittelt schwarze Schauspieler:innen. Ein Ziel ist es, Klischeebesetzungen zu vermeiden.

Die Schau­spieler:innen Kim Biebow, Prince Kuhlmann, Bradley Iyamu und Fereba Koné Foto: Victor Efevberha

Es tut sich etwas auf deutschen Bühnen und Leinwänden. Immer mehr Rollen werden divers besetzt. Vor allem schwarze Dar­stel­le­r:in­nen werden sichtbarer. Das gilt auch für weibliche Rollen. Es scheint so, als hätte die deutsche Filmlandschaft es sich zur Aufgabe gemacht, die Gesellschaft realistisch abzubilden, mit allen ihren farblichen Nuancen.

Im Jahr 2020 verpflichtete sich die Ufa, Deutschlands älteste Filmgesellschaft, dazu, die Diversität im eigenen Haus zu fördern. Im selben Jahr wurde in Burhan Qurbanis Verfilmung von Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ die Hauptrolle mit dem schwarzen Darsteller Welket Bungué besetzt und in Hamburg hatte Anfang Dezember das Harry-Potter-Bühnenstück mit vielen Dar­stel­le­r:in­nen of Color Premiere.

Aber trotz der diverseren Besetzung von Casts werden weiterhin Vorurteile und Klischees über Menschen mit Migrationshintergrund verfestigt. Zu diesem Ergebnis kam eine diesjährige Studie des Bündnisses „Vielfalt im Film“.

Filmschaffende kommen ebenfalls zu diesem Urteil, wie zum Beispiel Bradley Iyamu, Leiter der Schauspielagentur Black Universe Agency aus Hamburg. Die Agentur spezialisiert sich auf die Vermittlung von schwarzen Schauspieler:innen: „Manche Rollenangebote lehnen wir kategorisch ab, wenn sie zu klischeebehaftet sind, wie zum Beispiel Drogendealer oder Asylbewerber beziehungsweise Sexarbeiterin oder Putzfrau für weibliche Rollen.“

Unsichtbare Quoten

Auch unsichtbare Quoten sind oft ein Problem in der Besetzung von Rollen: „Wir wollen auch keine Quoten erfüllen, wenn zehn Rollen vergeben werden, warum können das nicht auch zehn dunkelhäutige Schau­spie­le­r:in­nen sein?“

Dieses Problem kennt auch die Schauspielerin Kim Biebow, die erst seit Kurzem von Black Universe Agency vertreten wird: Es gab Fälle, wo es hieß, dass schon genug diverse Rollen vergeben worden sind“, so ihre Erfahrung.

Für schwarze Schau­spie­le­r:in­nen ist es als Kind einfacher, eine Rolle zu bekommen, als im Erwachsenenalter. Das liegt auch an Vorurteilen, mit kurzfristigen positiven Auswirkungen, findet Fereba Koné: Schwarzen Kindern wird gesagt, dass sie besonders süß sind oder so coole wilde Haare haben.“ Die Hamburgerin spielte als Kind in der TV-Serie „Die Kinder vom Alstertal“ mit: „Als Erwachsene war es schwerer, Rollen zu bekommen, die nichts mit meiner Hautfarbe zu tun haben.“

Man mag meinen, dass Schau­spie­le­r:in­nen einer Agentur, die hauptsächlich People of Color vertritt, dadurch verstärkt Rollenangebote bekommen, für die nur schwarze Dar­stel­le­r:in­nen in Frage kommen. Bei Black Universe Agency will man aber kein Talentpool für Schau­spie­le­r:in­nen sein, auf welchen nur zurückgegriffen wird, wenn eine Quoten- oder Klischeerolle besetzt werden soll.

Nur eine Karteileiche

Dieses Problem tritt vor allem in Agenturen auf, die vereinzelt schwarze Schau­spie­le­r:in­nen vertreten, sagt Prince Kuhlmann: „Viele schwarze Schau­spie­le­r:in­nen sind in anderen Agenturen oft nur Karteileichen und werden erst dann herausgekramt, wenn die Rolle schwarz besetzt werden muss.“ Der Hamburger war vor Kurzem in dem deutsch-ghanaischen Film „Borga“ zu sehen.

„Dadurch, dass in der Agentur hauptsächlich People of Color vertreten sind, wird viel mehr auf unsere individuellen Eigenschaften geschaut, man wird viel mehr als Subjekt wahrgenommen.“Wichtig, um an Rollen zu kommen, die keine Klischees reproduzieren.

Der Druck, auch unliebsame Rollen anzunehmen, sei in anderen Agenturen größer. Diese Erfahrung musste Kim Biebow schon machen: In einer anderen Agentur hieß es schon zu mir, dass ich auch Rollen annehmen muss, die mir nicht so gefallen, weil es ansonsten mit der Zusammenarbeit nicht funktionieren würde.“

Prince Kuhlmann musste selbst Erfahrungen mit Klischeerollen machen: „In meiner ersten Filmrolle 2006 habe ich einen Kriminellen gespielt und mein erster Satz war ‚Ey du Bullenschwein‘. Als Kind habe ich gar nicht wahrgenommen, dass ich damit vielleicht Vorurteile bediene. Heute würde ich mir überlegen, so etwas noch mal zu spielen, weil ich weiß, welche negativen Bilder ich damit reproduzieren könnte“.

Macht der Bilder

Die Macht dieser Bilder dürfe man nicht unterschätzen. Zu dieser Erkenntnis kommt auch der Schauspieler Steven Sowah: „Wenn zehn Millionen Menschen einen,Tatort' sehen, dann hat das auch einen Einfluss darauf, wie gewisse Menschen gesehen werden.“

Für Agenturchef Bradley Iyamu ist es nicht problematisch, welchen sozialen Status die Figuren haben, die von den Dar­stel­le­r:in­nen seiner Agentur gespielt werden. Doch die Rollen, die Schau­spie­le­r:in­nen of Color noch immer oft angeboten bekommen, hätten keine Tiefe, sie verkörpern meistens flache Charaktere und keine Subjekte mit Raum zur Entwicklung: „Dabei geht es nicht um die Rolle an sich, sondern darum, dass diese Figuren in den Filmen oft keine spannende Entwicklung nehmen und der Fokus nicht auf der Persönlichkeit der Figur liegt, sondern nur auf ihrem Aussehen.“

Black Universe setzt sich ein für Rollenbesetzung beziehungsweise Casting ohne Berücksichtigung der ethnischen Zugehörigkeit, der Hautfarbe, der Körperform, des Geschlechts und/oder des Geschlechts der Schauspieler:in.

Farbenblindes Casting wird das auch genannt beziehungsweise nontra­di­tio­nel­les Casting, um Rollen diverser zu besetzen und das unabhängig vom Aussehen. Dadurch kann verhindert werden, dass Minderheiten nur Rollen spielen, die mit negativen Vorurteilen über sie behaftet sind.

Es geht um Selbstermächtigung

Außerdem können traditionell weiß besetzte Rollen dadurch auch schwarz besetzt werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Musicalverfilmung „Hamilton“ von Thomas Kail, mit einem komplett schwarzen Cast geht es um die Gründung der USA, die Weiße allein unter sich ausmachten.

Für Steven Sowah, der aktuell im Ensemble des Schauspielhaus Zürich spielt, reicht es nicht aus, mehr Diversität vor der Kamera oder auf der Bühne zu zeigen. Es gehe vielmehr um die Selbstermächtigung: „Ein Problem ist, dass in Filmen und Stücken häufiger über marginalisierte Gruppen geredet wird, als dass die Mehrheitsgesellschaft es zulässt, dass Minderheiten selbst das Wort ergreifen und ihre Geschichte selbst erzählen“.

Um mit der Fremdbestimmung zu brechen, müsse auch ein Wandel hinter den Kameras und Bühnenkulissen stattfinden. Neben Schau­spie­le­r:in­nen auf Color müsse es auch mehr diverse Re­gisseu­r:in­nen oder Kameraleute geben, findet Steven Sowah: „Minderheiten müssen auch die Möglichkeit haben, sich selbst zu inszenieren und nicht nur fremdinszeniert zu werden, um sich von den Klischees zu emanzipieren“.

Für ihn fühlt es sich an wie ein Trend, aber ein struktureller Wandel in der Branche ist an einen Wandel in der Gesellschaft geknüpft: „Film prägt die Gesellschaft, aber spiegelt sie zugleich auch.“

Anspruchsvolle Rollen

Für Bradley Iyamu bahnt sich der Wandel erst noch an: „Wir wollen langfristig qualitativ anspruchsvolle Rollen besetzen und nicht einfach nur mehr Rollen, dasselbe gilt auch für Kameraleute oder Produzenten.“

Darsteller wie Steven Sowah zeigen, dass sich ein Wandel auf den Bühnen und vor den Kameras vollzieht. Die Black Universe Agency arbeitet daran, dass dieser Wandel eine Struktur bekommt und sich auf die Berufe hinter den Kulissen ausweitet, damit er von einem vermeintlichen Trend zu einem langfristigen Umdenken in der Filmbranche führt.

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9 Kommentare

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  • Ich mag Klischees. Mag es aber auch wenn meine Klischeevorstellungen herausgefordert werden.

  • Die Drogendealer im Görli bis hin zur Revaler Straße sind nun mal zum größten Teil PoC, Asylbewerber meist nicht blond und blauäugig, Sexarbeiterinen und Putzfrauen oft aus dem osteuropäischen, lateinamerikanischen oder schwarzafrikanischen Ausland. Wieso man das nicht auch im Falle einer Verfilmung so darstellen sollte, erschließt sich mir nicht.



    Was die Black Universe Agency da versucht, finde ich sehr gut, denn schließlich leben in Deutschland viele Millionen Menschen, die eben keine weiße Hautfarbe haben, ganz normal unter uns, sind unsere, Familie, Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen. Gehören also zum Landschaftsbild genauso dazu wie meine Multicolorfamily.



    Aber die Verantwortung dafür, dass auch im TV/Kino/Bühne darzustellen, liegt eindeutig bei den Produzenten.

    • @DerHorst:

      ich persönlich kenne nen Haufen weisser Drogendealer,die werden nur nicht so oft von der Polizei kontrolliert und fallen dementsprechend auch nicht als Drogendealer auf.

      • @pippilotta_viktualia:

        Dann sollten die in einer Verfilmung natürlich auch von Weißen gespielt werden.



        Davon abgesehen fallen mir Drogendealer nicht auf, weil sie von Polizisten kontrolliert werden, sondern weil sie mir ungefragt Drogen anbieten.

        Wie machen Sie denn das, stalken Sie Drogenfander und kaufen dann auf, was nach der Kontrolle übrig blieb?

      • @pippilotta_viktualia:

        Na dann: Warum zeigen Sie sie nicht an, wenn sie Ihnen bekannt sind? Sind das gute Menschen? Haben Sie das Elend vor Augen, das durch die Dealer verursacht wird?

        • @MeinNick2021:

          Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

          Die Moderation

    • @DerHorst:

      "Die Drogendealer im Görli bis hin zur Revaler Straße sind nun mal zum größten Teil PoC, Asylbewerber meist nicht blond und blauäugig, Sexarbeiterinen und Putzfrauen oft aus dem osteuropäischen, lateinamerikanischen oder schwarzafrikanischen Ausland. Wieso man das nicht auch im Falle einer Verfilmung so darstellen sollte, erschließt sich mir nicht."

      Man sollte nicht nur, man muss sogar. Diese Menschen machen das nicht, weil sie auf der Sonnenseite des Lebens stehen und sich aus freien Stücken fürs schmutzige Geschäft entschieden haben. Es sind gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, die dazu führen, dass in erster Linie Menschen mit Migrationshintergrund dort landen. Das muss man auch immer wieder aufzeigen.

      Es wäre völlig verfehlt, diese Problematik auszublenden, um mehr Gerechtigkeit am Filmset zu haben.

      • @Deep South:

        Vollkommen richtig!



        Wer hier eine Perspektive hat, wird in den seltensten Fällen kriminell, egal, woher er kommt und wo er geboren wurde.

        Die Migranten, die ich persönlich kenne, wollen idR nur eins, ankommen und ehrlich ihren Lebensunterhalt bestreiten. Leider kommen diese Menschen in den Medien kaum vor, dafür wird jeder Kriminelle mit familiären Wurzeln außerhalb Deutschlands wochenlang durch die Schlagzeilen gezerrt. Gibt es eigentlich keine deutschen Schläger, Drogendealer, Hooligans ... mehr?

  • Quoten sind nicht hilfreich und können - wie dargestellt - sogar limitierend wirken. Eine Idee wie die "Hamilton"-Verfilmung mit komplett schwarzem Cast ist großartig und ist in erster Linie ein großartiges Stilmittel und die Macher waren sich dessen ganz sicher bewusst. Ein Remake von "Der Untergang" mit Denzel Washington in der Hauptrolle hätte eine ähnlich verfremdende Wirkung. Ich bin absoluter Fan von diesem Star. Flache Charaktere hat er noch nie gespielt, weil er einfach gut ist.

    Umgekehrt könnte Til Schweiger eine Nelson-Mandela-Biographie besetzen und hätte so endlich mal die Chance auf charakterliche Tiefe mit Raum zur Entwicklung.

    Das Prinzip der Farbenblindheit ist langfristig für mich das einzig wünschenswerte. Nur so tritt die individuelle schauspielerische Klasse in den Vordergrund und nicht irgendwelche anderen Zwänge. Kampagnen gegen Farbenblindheit wie #NotMyAriel wirken auf mich peinlich, kleinlich, ja engstirnig. Meinetwegen dürfte auch Jim Knopf von einem weißen Jungen gespielt werden. Auch das wäre ein großartiges Stilmittel. Natürlich nur mit Denzel Washington als Lukas, der Lokomotivführer...