Platz für Ukraine-Flüchtlinge: Bürgerverträge auf Eis gelegt

Damit Hamburg schnell mehr Geflüchtete unterbringen kann, wurden die Vereinbarungen mit Bürgern zum Platzabbau ausgesetzt. Zunächst für ein Jahr.

Menschen sitzen in großer Runde um einen Tisch herum

Treffen neue Vereinbarung: Bürgermeister Peter Tschentscher und Initiativensprecher Klaus Schomacker Foto: Freie und Hansestadt Hamburg

HAMBURG taz | Wenn es um Schwierigkeiten bei der Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge geht, fällt in Hamburg öfter das Stichwort „Bürgerverträge“. So hieß ein Kompromiss, den Rot-Grün 2016 um des sozialen Friedens willen mit einer in der Stadt umstrittenen Volksinitiative schloss, die sich damals gegen große Unterkünfte in Wohngebieten wehrte. Nun werden die damaligen Absprachen für ein Jahr ausgesetzt, darauf haben sich die beiden Seiten geeinigt.

Bereits am Tag des Einmarsches Russlands in die Ukraine habe man Kontakt zur Sozialbehörde aufgenommen, heißt es von der Initiative für erfolgreiche Integration. Die Bürgerverträge müssten „vorerst ausgesetzt werden“, schreiben die Aktivisten in einer Presseerklärung. „Jetzt werden alle Bürgerverträge beiseitegelegt. Die Leute müssen untergebracht werden“, sagt Klaus Schomacker, einer der drei Vertrauensleute der damaligen Volksinitiative. Er rechnet damit, dass nun in Summe etwa 3.000 Plätze mehr realisiert werden können als mit den Verträgen.

Diese wurden 2016 jeweils einzeln mit elf Initiativen aus der ganzen Stadt geschlossen und enthalten eine Fülle von Details, etwa einzelne Flächen betreffend oder die Versorgung mit Kitas und Kinderärzten. Der Kern ist die sogenannte „3 mal 300“-Formel. So sollte es in Hamburg maximal 300 Flüchtlingsunterkünfte geben, die jeweils mit maximal 300 Menschen belegt werden dürften. Größere Unterkünfte sollten ihre Belegung auf maximal 300 Menschen reduzieren. Außerdem sollte es einen Plan für künftige Krisen geben.

Schomacker kritisiert nun bei dieser Gelegenheit, dass der rot-grüne Senat in den siebeneinhalb Jahren den Kern der Verträge nicht ausreichend umgesetzt habe – und zwar aus Spargründen. So gäbe es statt 300 Standorten nur 126, und die mit teils höherer Belegung. Auch gebe es bis heute keinen „Krisenplan“. Und es sei ein Fehler gewesen, 2019 die Zentrale Koordinierungsstelle für Flüchtlinge (ZKF) aufzulösen. „Die sollte es auf Dauer geben.“

Neuer Standort könnte größer sein

Vereinbart wurde nun feierlich im Rathaus eine „Ergänzung“ zu den Bürgerverträgen. Die besagt, dass die 2016 festgelegten Fristen für den Abbau von Kapazitäten für ein Jahr „gehemmt sind“, wie es im Juristendeutsch heißt. Auch sollen zusätzliche Plätze durch „regelhafte (nicht lockere)“ Belegung an Standorten geschaffen werden und neue Standorte errichtet werden. Und es soll die Unterbringung von Geflüchteten in privatem Wohnraum gefördert werden.

„Ein neuer Standort könnte auch 350 Plätze haben“, erläutert Sozialbehörden-Sprecher Martin Helfrich die Auswirkungen der Vereinbarung. Abseits aller Details umfassten die alten Bürgerverträge „drei Kernpunkte“. Sie regelten die Verteilung auf die Stadt, enthielten besagte Obergrenze und regelten ebenden Abbau von Plätzen. Von allen drei Punkten könne man nun abweichen, „darüber herrscht Konsens“.

Ganz überraschend kommt dies nicht. Schon 2016 wurde vereinbart, dass diese Verabredung in Zeiten drastisch hoher Flüchtlingszugänge „atmen können“ müsste.

Wie berichtet, werden unter anderem das leerstehende Hotel Sofitel am Alten Wall und Wohnungen in sogenannten Mundsburg-Tower bereitgestellt. Anlass für die Linksfraktion, vor „doppelten Standards für Geflüchtete“ zu warnen. „Ich staune darüber, was alles möglich ist, wenn man nur will“, sagt die flüchtlingspolitische Sprecherin Carola Ensslen. Mit der unbürokratischen Bereitstellung von Wohnraum reagiere Hamburg auf die Ankunft Tausender Ukrainer.

Aus ihrer langjährigen Flüchtlingsarbeit wisse sie, dass es anderen Geflüchteten ganz anders ergehe. „Sie müssen im Durchschnitt länger als vier Jahre in ihren oft prekären Unterkünften leben.“ Zudem würde von durch den Krieg Vertriebenen ohne ukrainischen Pass berichtet, dass sie in ein Asylverfahren mit schlechterem Status gedrängt wurden. „Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden“, sagt Ensslen. Sie erwarte vom Senat einen „Masterplan“, der eine gute Zukunft für alle Geflüchteten entwickelt.

Die zu lange Verweilzeit von durchschnittlich vier Jahren in provisorischen Unterkünften ist immerhin auch Klaus Schomacker ein Dorn im Auge. „Diese Behinderung von Integration kann nicht länger akzeptiert werden“, sagt er. Eine immer noch aktuelle Forderung seiner damaligen Volksinitiative sei, von allen neu geschaffenen Wohnungen jede vierte für geflüchtete Menschen zu reservieren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.