Planung für Radschnellwege in Berlin: Mit der Lizenz zum Rasen
Mehr Platz für RadfahrerInnen will der Senat mit zehn Radschnellwegen in Berlin schaffen. Leider schafft man damit nur neue Ungerechtigkeiten.
Was aber derzeit in Sachen Radschnellweg am Teltowkanal geplant ist, dem Premiumprojekt der grünen Senatsverwaltung für Verkehr für solche Verbindungen, erinnert an ein Vom-Regen-in-die-Traufe-kommen: Da könnte auf den Wahn der autogerechten Stadt der 60er und 70er Jahre nun die fahrradgerechte Stadt folgen – auf Kosten von Fußgängern, Läufern, Kinderwagenschiebern, Skatern und 270 Bäumen.
Fahrradgerechte Stadt hört sich aus Radlersicht natürlich erst mal prima an, genau wie die Idee von Radschnellwegen. Zügig von A nach B, ohne alle Nase lang stoppen zu müssen und Angst vor Kollisionen auf viel zu engen Wegen haben zu müssen. Bloß: Warum soll das auf Kosten noch schwächerer Verkehrsteilnehmer gehen? Warum soll das teils auf Park- und Spazierwegen stattfinden? Warum keine bereits asphaltierte Fläche frei von Autos machen, für die als Folge der einst autogerecht geplanten Stadt noch genug Straße übrig bleibt?
Am Teltowkanal, der teils die südliche Stadtgrenze bildet, sieht die Planung des rot-rot-grünen Senats vor, auf rund viereinhalb Kilometern aus dem ja längst vorhandenen und entweder bereits asphaltierten oder sonst wie befestigten, bis zu vier Meter breiten Weg durchs Ufergrün eine siebeneinhalb Meter breite Piste zu machen: zwei Meter pro Richtung für den Radschnellweg, dann ein Trennstreifen, der Rest – drei Meter – für alle anderen Verkehrsteilnehmer.
Mindestens 100 Kilometer Radschnellwege sollen Berlin mal durchziehen – das sieht das Mobilitätsgesetz vor. Um die Planung kümmert sich eine landeseigene Firma, die 2017 gegründete Infravelo als Tochter der Grün Berlin GmbH, die wiederum Aufträge an Ingenieurs- oder Planungsbüros vergibt. Die grün geführte Senatsverwaltung für Verkehr sieht zehn priorisierte Radschnellverbindungen vor.
Als Premiumprojekt gilt die 8,7 km lange sogenannte
. Direkt am Kanal entlang führt sie auf der Hälfte dieser Strecke, auf etwa 4,4 km von der Wismarer Straße in Lichterfelde bis zur Borstellstraße in Steglitz. 11 Millionen Euro plus rund 1,7 Millionen Nebenkosten sind für diese Route veranschlagt. Im noch nicht angelaufenen Planfeststellungsverfahren lassen sich Einwände anbringen. Baubeginn ist frühestens 2024. Die Bauarbeiten selbst sollen mindestens 18 Monate dauern. (sta)Das ist schon schmal genug – doch dem Tagesspiegel liegen nach eigenen Angaben Informationen aus einer internen Präsentation der zuständigen landeseigenen Infravelo GmbH vom Februar vor, wonach dieser Rest für den Fußverkehr nicht drei Meter, sondern nur noch 2,70 Meter betragen soll – teilweise sogar nur 2,20 Meter. Die Senatsverwaltung für Verkehr sagt dazu der taz: „Richtig ist, dass Unterschreitungen der Regelmaße für Radschnellverbindungen möglich sind, allerdings (möglichst) nicht mehr als insgesamt auf einem Fünftel der Strecke.“
270 Bäume könnten fallen
Nach den vom Tagesspiegel zitierten Plänen sollen für die Teltowkanalroute zudem 270 Bäume fallen, von denen bislang jeder im Schnitt jährlich 10 Kilogramm CO2 unter anderem aus Autoabgasen bindet, sonstiges Ufergrün mal außen vor gelassen. Laut Senatsverwaltung ist das ein überholter Planungsstand. Ihr Sprecher Jan Thomsen sagt auf taz-Anfrage: „Klar ist jetzt schon, dass die Zahl von 270 Bäumen, die möglicherweise weichen und an anderer Stelle kompensiert werden müssten, deutlich unterschritten wird.“ Das genaue Ziel sei noch unklar.
Die große Frage dabei ist: Wer sollen denn all die sein, die da zukünftig zusätzlich radeln und für weniger CO2-Ausstoß sorgen sollen? Der Weg ist nämlich im Grundsatz schon seit Jahren da. Wer auch immer Lust hat, am Teltowkanal und dann weiter nördlich längs der S-Bahn-Linie 25 via Südkreuz und Gleisdreieckpark Richtung Innenstadt äußerst autoarm zur Arbeit zu radeln, der kann das längst tun.
Das passiert dabei auch jetzt schon nicht auf übervollen Wegen, die einer Regelung und Aufteilung in Schnellweg und „Rest“ dringend bedürften: Morgens lässt sich durchweg gut und gern auch mit 25 km/h fahren, und wenn es an warmen Tagen nachmittags an einigen Stellen voller wird, ist auch bei vorsichtiger Fahrweise kein Schleichen nötig, sondern lediglich die übliche Vorsicht.
Alles ist letztlich eine Frage von Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung, der gegenseitige Rücksichtnahme vorgibt. Das gilt für Radler wie für alle anderen auch. Muss ich im Sattel in unübersichtlicher Kurve noch unbedingt überholen? Müssen zur Hauptverkehrszeit drei Mütter ihre Kinderwagen parallel nebeneinander herschieben? Müssen die Walker in der Wegmitte statt rechts am Rand gehen?
Ein Schnellweg ließe es vielleicht zu, die persönliche Bestzeit auf dem Weg zur taz um eine weitere Minute zu drücken. Hurra! Aber ist das das Abholzen, die Versiegelung und die Verschandelung einer Uferlandschaft wert? Vor allem, wenn dort am Wochenende fast gar keine Zur-Arbeit-Radler unterwegs sind, wohl aber viele, die das wenige Grün in der Stadt suchen.
Schnellweg – dieser Begriff könnte neben den auf 25 km/h begrenzten E-Bikes jene Elektromotorisierten in noch größerer Zahl auf den Uferweg locken, die jetzt gelegentlich schon auf ihren Nummernschild-Rädern mit 40 km/h und mehr zu erleben sind. Das Sicherheitsgefühl heben sie nicht unbedingt.
Asphaltwüste, Lizenz zum Rasen und abgeholzte Bäume: Das mag rein tempomäßig fahrradgerecht sein. Ökologischer Fortschritt und Verkehrswende aber sind etwas anderes. Radschnellwege, ja bitte – aber nicht auf Kosten von Natur und Fußgängern. Hier muss das Robin-Hood-Prinzip gelten: Den Reichen, sprich dem Autoverkehr, nehmen, den (an Platz) Armen geben – und zwar nicht nur der stärksten Gruppe unter ihnen. Nur so kann die Stadt werden, wie sie sein sollte: nicht autogerecht, nicht (nur) fahrradgerecht, sondern allen gerecht.
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