Plan gegen Lebensmittelverschwendung: Diskutieren, aber nicht regulieren
Die Strategie von Agrarministerin Julia Klöckner gegen Nahrungsmittelverschwendung strebt Reduktionsziele auch für Firmen an – scheut aber Gesetze.
Berlin taz | Bundesernährungsministerin Julia Klöckner will Lebensmittelverschwendung vor allem durch Gespräche mit Unternehmern, Aufklärung und Forschung reduzieren. Das geht aus der „Nationalen Strategie“ der CDU-Politikerin zum Thema hervor, die das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin beschlossen hat.
Jährlich werden in Deutschland – je nach Studie – 11 bis 18 Millionen Tonnen Lebensmittel produziert, aber nicht gegessen. Das obere Ende der Spanne entspricht der Umweltorganisation WWF zufolge fast einem Drittel des Nahrungsmittelverbrauchs. Gleichzeitig hungern weltweit mehr als 800 Millionen Menschen. Um die nicht verbrauchten Lebensmittel zu erzeugen, werden unnötig Ressourcen wie Boden, Energie und Treibstoff beansprucht und Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen.
Das ist seit Jahren bekannt. Doch Ministerin Klöckner will weiter über Gegenmaßnahmen diskutieren statt sie bereits durchzusetzen:In ihrer Strategie sieht sie fünf „Dialogforen“ mit Vertretern von Unternehmen, Verbänden, Ländern und Wissenschaft vor. Sie sollen Zielmarken vereinbaren, die Bauern, Verarbeiter, Händler, Gastronomen und private Haushalte – so die Hoffnung – freiwillig umsetzen.
Angestrebt werden der Strategie zufolge unter anderem passendere Bestellgrößen sowie kleinere und häufigere Warenlieferungen im Handel. Vor allem Jugendliche und junge Familien sollen mit Informationen über das Internet sensibilisiert werden. Bund und Länder sollen prüfen, ob es gesetzliche Hürden fürs Weitergeben unverkaufter Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen gibt, etwa bei der Haftung. Teil der Strategie ist auch eine Forschungsförderung von 14 Millionen Euro. Dabei geht es etwa um „intelligente“ Packungen, die anzeigen, ob ein Lebensmittel wirklich schon schlecht ist, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
Ergebnisse erst im Mai 2021
Bis die Dialogforen Ergebnisse vorlegen, dürfte viel Zeit vergehen. Der Kreis über die Außer-Haus-Verpflegung wie in der Gastronomie etwa soll erst bis Mai 2021 genaue Reduktionsziele abstimmen, wie der WWF – einer der Teilnehmer – mitteilte. Der Umweltverband lobte einzig, dass die Bundesregierung „nun endlich alle Akteure im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung in die Pflicht“ nehmen wolle – nicht nur die privaten Haushalte. Diese würden nur 40 Prozent der Verluste verursachen. Klöckner verweist aber auf Studien, wonach es rund 60 Prozent sind.
Foodsharing – eine Internetplattform für die Verteilung überschüssiger Lebensmittel –, die Deutsche Umwelthilfe, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Grünen forderten schon jetzt Gesetze gegen Verschwendung. „Die heute vorgelegte Strategie kann nur ein erster Schritt sein und greift angesichts der Größe des Problems viel zu kurz“, sagte BUND-Agrarexpertin Katrin Wenz.
Foodsharing und Umwelthilfe verlangten einen gesetzlich vorgeschriebenen „Wegwerfstopp für Supermärkte“ und verbindliche Reduktionsziele für Unternehmen. Vorbilder könnten Tschechien und Frankreich sein, wo Läden überschüssige Nahrungsmittel spenden müssten.
Welches Gesetz hätten Sie denn gern?
Doch Ministerin Klöckner antwortete auf die Frage „Wann trauen Sie sich endlich, Gesetze zu machen?“ in einem Twitter-Kommentar: „Bitte konkret – welches Gesetz hätten Sie denn gerne bei der Lebensmittelverschwendung? Ein Kühlschrankgesetz, ein Einkaufskorb- oder Verzehrsgesetz? Der größte Anteil wird in privaten Haushalten weggeworfen!“
Damit ist sie weitgehend auf Linie der Lebensmittelwirtschaft, deren Verband BLL Klöckners Strategie begrüßte und jegliche staatlichen Eingriffe ablehnte. (mit dpa)
Leser*innenkommentare
wxyz
Wenn es gelingt, die Unternehmen zu Maßnahmen zu veranlassen, durch die deutlich weniger Lebensmittel weggeschmissen werden, indem sie erst gar nicht vorrätig gehalten werden, dann ist das auch ein deutlicher finanzieller Vorteil für die Unternehmen - und könnte mittelfristig zu einer Zerschlagung der Tafeln führen.
Traverso
Was der Scheuer als Verkehrsminister darstellt ist die Klöckner für den Agrasektor.
Rein lobbygesteuerte Marionetten übermächtiger Konzernriesen.
Gigantische Probleme wie Klimaveränderung, Verkehrskollaps oder wie hier Nahrungsmittelverschwendung werden "diskutiert", aber in keinster Weise wird gehandelt.
Schwerpunkte wie Nahrungsmittelverschwendung allein durch Verfütterung hochwertiger Nahrung in der Massentierhaltung wird dabei erst gar nicht angesprochen.
So wie beim Verkehr allein über den Wechsel und die "Optimierung" von Technik diskutiert wird statt den automobilen Massenwahn vor allem in den Städten rigoros zu reduzieren.
Aber was bei aller Politikerschelte fairerweise nicht vergessen werden darf:
Diese werden von Konsumenten gewählt, die Auto fahren, fliegen, Fleisch essen, Shoppen usw. wie im Wahn, als wäre die Erde fünfmal so groß. Immer weiter, immer schneller, immer mehr.
Für die ist dann Essen wegwerfen auch kein Problem mehr.
Und diejenigen Konsumenten, die auf die Umwelt achten und viel dafür tun, sind in den Augen der Mehrheit nachwievor Ökospinner, wetten ! Leider ist das so.
So wird´s halt nix mit positiver Veränderung. Die Mehrheit macht weiter wie bisher und wundern sich völlig naiv, daß die Politiker nichts tun. Wo ist die Demokratie, wo ist das Aufbegehren ? Im Konsumrausch untergegangen !
ReiPar
Zu einem Detail, das - vielleicht aus gutem Grund - den Weg in den taz-Artikel nicht gefunden hat:
»In Deutschland werfen wir jedes Jahr 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weg ... – 55 Kilogramm pro Jahr und Kopf sind es allein in den Privathaushalten.« So heißt es in der heutigen Pressemeldung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. 55 kg je Jahr sind etwa 1 kg je Woche. Vielleicht ist mein Haushalt eine große Ausnahme, aber 1 kg kommt hier nicht mal im Monat zusammen. Ist das Komma verrutscht und es sollte 5,5 kg heißen?
Wie ist die Menge weggeworfener Lebensmittel pro Kopf in den Haushalten anderer taz-Leserinnen und -Leser?
81331 (Profil gelöscht)
Gast
@ReiPar ...liegt unter anderem auch am sog. Mindesthaltbarkeitsdatum.
Es gibt bestimmt Menschen, die Honig, oder Salz wegwerfen, nachdem das 'Datum abgelaufen' ist.
76530 (Profil gelöscht)
Gast
Glückwunsch! Zu etwas Anderem scheinen heutige Politiker wohl nicht mehr fähig zu sein: Gespräche suchen, Moderieren,Talk-Show Auftritte. Ob die überhaupt noch wissen, was der Begriff 'Politik' bedeutet? Zweifel sind erlaubt.
Wer solchermaßen ohne äußere Not auf Gestaltungsmöglichkeiten verzichtet, sollte aus seinem Amt - und direkt in die politische Wüste - gejagt werden. Ohne Blick auf's Meer.
Bei einer konsequenten Weiterentwicklung dieser Art wird es bald (außer im Bereich LAW and ORDER) keine Gesetze mehr geben. Der Markt wird es regeln. Oder auch nicht.
Rudolf Fissner
@76530 (Profil gelöscht) (-;
Bezgl. LAWandORDER sehe ich eigentlich nur die Gefahr, dass die Gesetze nicht mehr verständlich sind.
;-)
Heiner Petersen
Bin weit davon entfernt ein Freund der nicht vorhandenen Klöckner Politik zu sein. Aber diese ewigen neuen Gesetze füllen doch nur die Taschen der Juristen und machen den Alltag im Lebensmitteleinzelhandel zur Hölle. Ganz im Gegenteil sollten auch hier Gesetze verschwinden: es darf kein Diebstahl mehr sein, wenn entsorgte oder abgelaufene Lebensmittel eingesammelt und verteilt werden!
Und diese intelligente Verpackung von der sie spricht, die den Verfall aufzeigt... lass mich raten....eine Plastiktüte mehr mit einem Sensor und umschlagender Farbe??? Welch ökologischer Fortschritt! Da können dann auch gleich die nächsten Reinigungsstufen im Klärwerk geplant werden um die "intelligenten" Sensoren wieder rauszufischen. Oder dann doch die "thermische Nutzung". omg
Henrik WM
@Heiner Petersen Oder noch besser sowohl das rausfischen Entkriminalisieren, als auch eine Verflichtung der Supermärkte noch haltbare Sachen an geeignete Stellen zu spenden, oder zumindest die Pflicht eine zumutbare Lösung gegen das wegwerfen zu finden. Besonders schade finde ich es zum Beispiel wenn tierische Produkte nicht verzerrt werden und bei Hygieneartikel bei der viel Chiemie aufwendig eingesetzt und unätig in die Umwelt gelangt