Plagiat eines Fachhochschul-Dozenten: Wenn Polizeibeamte stehlen
In Schleswig-Holstein hat ein Fachhochschul-Dozent der Polizei plagiiert. Das Innenministerium hat die Untersuchungen an sich gezogen – und mauert.
Die betroffene Studentin hatte, als sie ihre Hausarbeit in der Gewerkschaftszeitschrift Die Kriminalpolizei entdeckte, ihren Dozenten Hintz angerufen. Doch der habe „herablassend und abfällig“ reagiert. Dann erst schaltete sie den Leiter des Fachbereiches ein. Der lud zu einem klärenden internen Gespräch. Die Studentin holte sich Hilfe bei der Gewerkschaft der Polizei (GDP). Rechtsbeistand Susanne Rieckhof bereitete eine Unterlassungserklärung vor und eine Schadensersatz-Forderung.
Aber Hintz ließ die beiden Frauen abblitzen. Das sei doch nur ein Artikel in einer „Sub-Altherrenzeitung“, wiegelte er ab. Und er erklärte trotzig, er sei „nicht gewillt, einen Kniefall zu machen“. Es sei „schließlich das an anderen Hochschulen gang und gäbe, dass Dozenten die Arbeiten ihrer Studierenden unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen“.
Schließlich rang er sich zu einer Entschuldigung durch und spendete die 170 Euro Honorar, die er erhalten hatte, an das Kinderhospiz Löwenherz. Konsequenzen seitens der Fachhochschule gab es nicht. Das war vergangenen September.
Hintz steht weiterhin im Dozentenverzeichnis der Fachhochschule, zuständig für Ethik und Kriminalistik. Nicht einmal eine Information der studierenden Polizeibeamten über ihr Urheberrecht aus aktuellem Anlass gab es.
Andere Fachzeitschrift, noch ein Aufsatz
Der Fall wäre erledigt gewesen, hätte nicht die GDP-Juristin die Sache mit Zitaten aus dem Hintz-Gespräch im März ebenfalls in der Kriminalpolizei öffentlich gemacht. Der für die Zeitschrift verantwortliche Polizeidirektor a. D. Hartmut Brenneisen kündigte an, dass die Zeitschrift „angemessene Maßnahmen“ getroffen habe. „Ein Verhalten dieser Art ist nicht hinnehmbar“, teilte er mit. Welche Maßnahmen er sich vorstellt, will er nicht sagen.
Was weder die GdP-Juristin noch Brenneinsen ahnten: Hintz hatte Anfang des Jahres wieder einen Aufsatz produziert und bei einer anderen Fachzeitschrift, nämlich der Kriminalistik, eingereicht. Offenbar ein wenig verunsichert durch den Plagiatsskandal aus dem Jahr 2020 hatte er nun hinter seinen Autorennamen ein Sternchen setzen lassen. Das Sternchen führt in den Fußnoten zu der Feststellung: „Dieser Beitrag wäre ohne die Datenerhebungen und Grundlagenforschung von KKA Tobias Evers nicht zustande gekommen.“
KKA – Kriminalkommissar-Anwärter ist der Titel der Studierenden, es ging um eine studentische Bachelorarbeit. Über diese „Fußnote“ scheint niemand gestolpert zu sein, auch nicht der Chefredakteur der Kriminalistik.
Ein Blick in den Hintz’schen Fachaufsatz zeigt dabei, dass da keine „Datenerhebung“ verarbeitet wurde und auch keine „Grundlagenforschung“. In dem Aufsatz des Dozenten wird die zugrunde liegende Arbeit seines Studenten an keiner Stelle wörtlich zitiert.
Der Studierende Evers hatte 2019 eine Bachelorarbeit unter dem Titel „Der Tatort als Psychogramm des Täters“ bei seinem Prüfer Hintz abgegeben. Dieser fügte in seinem Kriminalistik-Aufsatz aus dem Februar 2021 bloß der Überschrift ein Fragezeichen hinzu: „Der Tatort als Psychogramm des Täters?“
Der Text in der Kriminalistik referiert Ausbildungsliteratur über die Grundlagen der Tatortarbeit, etwa ein „Handbuch der Kriminalistik-Kriminaltaktik für Praxis und Ausbildung“. Das polizeiliche Allgemeinwissen wird in dem Aufsatz mit dem Gestus von besonderen Erkenntnissen wiedergeben. Da erfährt man zum Beispiel: „Menschen werden mit nur stark begrenztem Verhaltensrepertoire geboren. Im Vergleich von Säugling und Erwachsenen wird schnell deutlich, dass der Mensch innerhalb seiner Lebensspanne einem erheblichen Lernprozess unterliegt. Diesen Lernprozess bezeichnet man auch als Sozialisation.“
Das wenig überraschende Fazit der fleißigen Arbeit: „Die Tathergangsanalyse ist kein Allheilmittel“, in Filmen werde ein falsches Bild vom genialen Profiler am Tatort gezeichnet. Es ist kaum vorstellbar, dass es sich bei dem Text um die Arbeit eines Dozenten handelt, zu der ein Studierender in seiner Bachelor-Arbeit zugearbeitet hat. Das spräche zumindest gegen die Qualifikation des hauptamtlichen Dozenten.
Die Bachelorarbeit in der Bibliothek der Fachhochschule wurde nach der Anfrage der taz gesperrt: „VS/Nur für den Dienstgebrauch“. Begründung des Landespolizeiamtes Schleswig-Holstein: Es gehe um „bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit“. Da in dem Fachaufsatz des Dozenten keinerlei Hinweis auf brisantes Polizeiwissen aus der Bachelor-Arbeit enthalten ist, stellt sich die Frage, ob hier eher die öffentliche Thematisierung eines Plagiatsfalles zum „bedeutsamen Schutzgut“ der Polizei erklärt wird.
Von der taz auf diesen möglichen zweiten Fall hingewiesen, ließ der Innenminister von Schleswig-Holstein am 23. März mitteilen, der zweite Aufsatz sei „bisher nicht Gegenstand der Überprüfung des möglichen Urheberrechtsverstoßes gewesen“. Aber immerhin gibt es inzwischen eine „Prüfung“, die eine „dienstrechtliche Würdigung“ einschließe.
Hintz selbst wollte sich gegenüber der Presse nicht auf Nachfragen einlassen, er legt am Telefon sofort auf. Im Gespräch mit der GdP-Juristin hatte er immerhin einen Hinweis auf sein Motiv gegeben: Er arbeitet an der Fernuniversität Hagen an seiner Doktorarbeit und will sich mit Publikationen für eine Stelle empfehlen – ihm sei es, so zitiert die GdP-Juristin ihn wörtlich, „wichtig, raus aus der Polizei zu kommen“.
Offenbar hat die oberste Polizeibehörde des Innenministeriums die Sache an sich gezogen – von Seiten der Fachhochschule gibt es keinen Kommentar. Sowohl deren Präsident, Jens Kowalski, als auch der Leiter der Abteilung Polizei, Michael Kock, verweisen Nachfragen an das Innenministerium.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen