Pläne zur Vorratsdatenspeicherung: EU verursacht Verschiebung
Die Koalition wird es nerven: Brüssel will, dass Daten nicht nur im Inland gespeichert werden. Dies verstoße gegen die Dienstleistungsfreiheit.
Die große Koalition will vorschreiben, dass die Internet- und Telefon-Verkehrsdaten der gesamten Bevölkerung zehn Wochen lang gespeichert werden – für den Fall, dass die Polizei sie brauchen könnte. Standortdaten von Handys sollen nur vier Wochen gespeichert werden. Das sieht ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Mai vor.
Eigentlich sollte er noch vor der Sommerpause im Juli beschlossen werden. Vor allem die SPD wollte das ungeliebte Projekt, das ihr Parteichef Sigmar Gabriel aufgezwungen hatte, schnell vom Tisch haben. Doch dann fiel der Regierung auf, dass technische Vorschriften zunächst der EU-Kommission und den anderen EU-Staaten zu „notifizieren“ sind. Damit sollen Probleme für den Binnenmarkt schon im Ansatz verhindert werden. Die Anfang Juni erfolgte Notifizierung löste dann eine dreimonatige „Stillhaltefrist“ aus. In dieser Zeit durfte der Gesetzentwurf also nicht beschlossen werden. Die Frist endete am letzten Montag.
Inzwischen hat die EU-Kommission aber tatsächlich rechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf angemeldet. In einer Stellungnahme, über die zuerst die Rheinische Post berichtete, wird gerügt, dass die Vorratsdaten nur „im Inland“ gespeichert werden dürfen. Damit verletze Deutschland die Dienstleistungsfreiheit, schließlich sei das Datenschutzniveau in allen EU-Staaten etwa gleich hoch.
Tatsächlich hat die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung die Speicherung in anderen EU-Staaten ausdrücklich abgelehnt. Es bestehe die „nicht nur theoretische Gefahr“, dass die dortigen Geheimdienste nach dortigem Recht auf die deutschen Daten zugreifen. Dabei dürfte insbesondere der britische Geheimdienst GCHQ gemeint sein, der wiederum eng mit der amerikanischen NSA zusammenarbeitet. Außerdem, so die Gesetzesbegründung, könne die deutsche Datenschutz-Beauftragte in anderen EU-Staaten nicht eingreifen, sondern nur die dortigen Behörden um Hilfe bitten.
Aufgrund der Kommissions-Stellungnahme verlängert sich nun die Stillhaltefrist um einen weiteren Monat, bis zum 6. Oktober. Die Bundesregierung muss in dieser Zeit auf die Bedenken aus Brüssel antworten.
Das behindert zumindest die zeitlichen Pläne der Koalition. Danach war vorgesehen, dass der Bundestags-Rechtsausschuss am 21. September, also am Montag in einer Woche, Experten anhört und das Gesetz dann in der gleichen Woche noch im Plenum beschlossen wird. Das ist nun nicht mehr möglich. Der Gesetzesbeschluss muss um mindestens zwei Wochen verschoben werden. Die Anhörung soll aber wie geplant stattfinden.
Risiko: Vertragsverletzungsverfahren
Die Bundesregierung ist nun allerdings nicht verpflichtet, ihren Gesetzentwurf zu ändern. Wenn sie die Bedenken nicht teilt, kann der Bundestag das Gesetz im Oktober unverändert beschließen. Die Kommission könnte dann aber ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten, über das der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden muss.
Justizminister Heiko Maas (SPD) ließ zunächst nur mitteilen, er werde die Stellungnahme prüfen. Johannes Fechner, der rechtspolitische Sprecher der SPD, will die Speicherung „im Inland“ beibehalten. Eine Änderung komme nur in Betracht, wenn das rechtliche Risiko eines gerichtlichen Scheiterns zu groß wäre. Eine Speicherung der Vorratsdaten im Ausland könnte dagegen den Widerstand neu anfachen. „Dann würde unser Privat-und Intimleben ausländischen Spionagediensten auf dem Silbertablett präsentiert“, kritisiert etwa Patrick Breyer, Kieler Abgeordneter der Piratenpartei.
Der EuGH wird am Ende allerdings so oder so über die Vorratsdatenspeicherung entscheiden müssen. Im Mittelpunkt dürfte dann die Frage stehen, ob die anlasslose Massenspeicherung zu tief in die Bürgerrechte eingreift. Im Notifizierungsverfahren spielte dies noch keine Rolle. Hier hatte die EU-Kommmission nur Industrie-Interessen in anderen EU-Staaten zu prüfen.
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