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Pläne für digitales GesundheitssystemDigitale Patientenakte mit Hürden

Der Gesundheitsminister treibt die Digitalisierung voran. Bei einer Anhörung gibt es Lob – aber auch viel Kritik an Details.

Gesundheitskarte mit Mikrochip (detailaufnahme) Foto: Marie Waldmann/photothek/imago

Berlin taz | Ex­per­t:in­nen haben im Gesundheitsausschuss des Bundestags die Digitalisierungspläne der Bundesregierung überwiegend positiv bewertet – haben aber Kritik an zahlreichen Details.

So sagte etwa Kristina Spöhrer vom Verband der Hausärztinnen und Hausärzte, sie gehe davon aus, dass sich durch die Digitalisierungspläne die Versorgung der Pa­ti­en­t:in­nen verbessern werde. Grundsätzlich positive Reaktionen kamen unter anderem auch von den Ver­tre­te­r:in­nen der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Bundesärztekammer und vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).

Die Bundesregierung plant, mit zwei Gesetzespaketen die Digitalisierung des Gesundheitssystems maßgeblich voranzutreiben. Zunächst das Digitalgesetz, dessen Kern die elektronische Patientenakte (ePA) ist. Dort sollen, jeweils bezogen auf den:­die einzelne Patient:in, sämtliche Behandlungs-, Diagnose- und Medikationsdaten gespeichert werden.

Anders als bislang soll sie den Plänen zufolge ab 2025 für alle gesetzlich Versicherten zum Standard werden – wer sie nicht will, muss widersprechen. Das zweite Vorhaben ist das Gesundheits­daten­nutzungs­gesetz. Es regelt, dass Wissenschaft und Industrie die Daten aus den Akten für die Forschung verwenden können. Auch hier sollen Widersprüche möglich sein.

Die großen Linien sind also klar, doch bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss geht es vor allem um die Details. Zum Beispiel um die Frage, auf welchen Wegen die Widersprüche formuliert werden können und wie detailliert die Betroffenen entscheiden dürfen, welche Daten sie für welche Praxis, Klinik, Apotheke oder Forschungsinstitution freigeben.

Widerspruch für Menschen ohne Laptop oder Smartphone

„Die Erklärung eines Widerspruchs und die fein granularen Einstellungsmöglichkeiten müssen so einfach wie möglich gehalten werden und auch ohne digitales Endgerät“, sagte der vzbv-Experte Thomas Moormann im Ausschuss. Der Verband warnt außerdem vor umfangreichen Auswertungsrechten der Krankenkassen.

Die sollen laut den aktuellen Plänen die Gesundheitsdaten aus der ePA auswerten können, um Pa­ti­en­t:in­nen über potenzielle Krankheitsrisiken zu informieren. Moormann befürchtet, dass Pa­ti­en­t:in­nen dadurch verunsichert werden und unnötige Untersuchungen entstehen.

Auch die Bundespsychotherapeutenkammer sieht die geplanten Leistungsempfehlungen durch die Krankenkassen kritisch. Es gebe ökonomische Interessenkonflikte; außerdem fehle jegliche Evidenz, dass solche Empfehlungen den Pa­ti­en­t:in­nen dienten, heißt es in der Stellungnahme. Die Kammer fordert außerdem, dass eine Weitergabe von Daten an die Forschung nur mit ausdrücklicher Einwilligung erfolgen darf. Aktuell ist vorgesehen, dass die Datenweitergabe standardmäßig erlaubt ist. Wer das nicht will, muss aktiv widersprechen.

EU treibt eigene Pläne voran

Bei der Anhörung zeichnete sich auch ab, dass sich der Startpunkt der ePA für alle auf Mitte 2025 verschieben könnte. Die Vertreterin des GKV-Spitzenverbands rechnet damit, dass die Kassen ab Verabschiedung mindestens ein Jahr für die Umsetzung brauchen.

Parallel zu den Plänen in Deutschland treibt die EU ihr Vorhaben eines digitalen Gesundheitsdatenraumes (EHDS) voran. Dem Vorschlag der EU-Kommission zufolge, soll es damit eine elektronische Patientenakte für alle EU-Bürger:innen geben – ohne die Möglichkeit zum Widerspruch. Die Beschränkung von Zugriffsrechten wäre dann vermutlich noch möglich, nicht aber ein Widerspruch zu der Datensammlung an sich.

„Die von der EU geplante Zwangs-elektronische Patientenakte mit europaweiter Zugriffsmöglichkeit zieht unverantwortliche Risiken eines Diebstahls oder Verlustes persönlichster Behandlungsdaten nach sich und droht Patienten jeder Kontrolle über die Digitalisierung ihrer Gesundheitsdaten zu berauben“, kritisiert Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei und Verhandlungsführer der Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz im Innenausschuss des EU-Parlaments.

Breyer fürchtet, dass gerade bei besonders sensiblen Kontexten wie Psychotherapie oder einer Suchterkrankung Pa­ti­en­t:in­nen davon abgehalten würden, sich in Behandlung zu begeben. Im Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene ist aktuell das Parlament am Zug – dessen Positionierung wird in den kommenden Wochen erwartet.

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