Pläne für Deutsch-Polnisches Haus: Gedenken am Ort der Lüge geplant
Erinnern an die NS-Besatzungszeit in Polen: Das Deutsch-Polnische Haus soll am Standort der früheren Kroll-Oper in Berlin entstehen.
Mit Superlativen wird an diesem Vormittag nicht gespart. „Weltweit einzigartig“ sei das Projekt, sagt Anna Lührmann, grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Man plane einen „Leuchtturm der Empathie“, erklärt Peter Oliver Loew von Darmstädter Polen-Institut. Es handle sich um „das wichtigste erinnerungspolitische Projekt Deutschlands“, heißt es im Eckpunktepapier für das Vorhaben.
Die Rede ist vom „Polen-Denkmal“, wie das Erinnerungszeichen landläufig in Berlin genannt wird. Vor knapp drei Jahren beschloss der Bundestag, einen Ort des Erinnerns und der Begegnung zur deutsch-polnischen Geschichte zu schaffen. Dahinter stand die Erkenntnis, dass es am Wissen um die Gräuel während der NS-Besatzungszeit im Nachbarland in der deutschen Öffentlichkeit mangelt – und dass die deutsch-polnischen Beziehungen durchaus freundlicher gestaltet werden könnten.
Jetzt endlich wird dieser Plan konkreter. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die die Verantwortung für das „Polen-Denkmal“ nach dem Regierungswechsel vom Auswärtigen Amt erbte, hat die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas mit der weiteren Ausgestaltung der Pläne beauftragt.
Dessen Direktor Uwe Neumärker skizzierte auf einer Pressekonferenz am Dienstag im Kanzleramt in Berlin das, was später einmal das „Deutsch-Polnische Haus“ ausmachen soll. Er stellte drei Säulen vor: Gedenken, Information und Begegnung. Zu dem Bau soll also ein „Gedenkzeichen“ gehören, das auch bei offiziellen Anlässen der Erinnerung dient. Doch es bleibt erfreulicherweise nicht bei diesem „Polen-Denkmal“.
Weiterhin sehen die Pläne ein Museum mit Dauerausstellung vor, in dem es primär um die deutsche Besatzungsherrschaft in Polen zwischen 1939 und 1945 gehen soll, aber eben auch um die polnische (und deutsch-polnische) Geschichte insgesamt. Und drittens soll dieses Museum auch zu einem Begegnungszentrum werden. Man wolle jungen Menschen vermitteln, wozu Faschismus und Nationalismus führen konnten, ergänzte Loew. Neumärker versprach, dass „überraschende Themen und ungewöhnliche Fragen“ die Ausstellung prägen sollten. Ein Restaurant mit Küchen beider Länder etwa könnte gewiss zum gegenseitigen Verständnis beitragen, sagte er.
Fehlendes Wissen um Verbrechen in Polen
„Ohne Kenntnis der Geschichte kann es kein wahrhaftes Gedenken geben“, sagte Claudia Roth einleitend zu den Plänen. Nur wer die Geschichte kenne, könne „Gegenwart und Zukunft gestalten“. Sie beklagte das „fehlende Wissen um die Verbrechen in Polen“. Der Historiker und Holocaust-Experte Stephan Lehnstaedt fand gegenüber der taz lobende Worte für das Konzept: Das sei „inhaltlich überzeugend“. In der Umsetzung sieht er allerdings einige Probleme am Horizont.
Das beginnt schon mit dem geplanten Ort für das „Deutsch-Polnische Haus“. Als Standort ist das Gelände der früheren Kroll-Oper nahe dem Berliner Hauptbahnhof und dem Kanzleramt vorgesehen, dort, wo Adolf Hitler am 1. September 1939 seinen Überfall mit der berühmt-berüchtigten Lüge „Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen“ begründete.
Die ursprüngliche Idee, das Haus am Anhalter Bahnhof zu errichten, ist also vom Tisch. Das Gelände gehört dem Berliner Bezirk Tiergarten. Der verlangt dem Vernehmen nach für die Abtretung eine Ausgleichsfläche. Die aber kann die Stiftung Denkmal nicht anbieten, schließlich ist sie kein Immobilienunternehmen. Da könnten nur Bundesregierung und Bundestag helfen.
Wann der Komplex einmal fertiggestellt werden wird? Dazu wollten sich weder Politiker noch Experten festlegen. Fest steht nur: Es wird dauern. „Ein paar Jährchen wird das brauchen“, sagte Loew. Ebenso wenig war zum Finanzrahmen etwas in Erfahrung zu bringen.
Bis zum Frühjahr nächsten Jahres soll ein Realisierungsvorschlag vorliegen. Dann ist auch eine erneute Debatte und ein Beschluss des Bundestags geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit