Pjöngjang zündet Mittelstreckenrakete: Nordkorea schickt Japaner in Keller
Noch nie flog eine nordkoreanische Rakete so weit. Der jüngste Waffentest könnte jedoch nur Vorbote für weitere Provokationen sein.
Mehr noch: Der Flugkörper legte eine Rekorddistanz von über 4.500 Kilometern zurück und überquerte dabei die japanische Inselgruppe, wo er in gleich zwei Regionen einen seltenen Raketenalarm auslöste. Die Regierung in Tokio rief dort ihre Bürger auf, in Gebäuden oder Kellern Schutz zu suchen.
Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol sprach von einer „rücksichtslosen“ Provokation, Japans Premier Fumio Kishida nannte den Raketentest „ungeheuerlich“.
Dabei könnte dies wohl nur ein Vorbote für deutlich größere Provokationen in den nächsten Wochen und Monaten sein. Das legt nicht nur die verschärfte Rhetorik der nordkoreanischen Staatsmedien nahe, sondern auch ein Blick ins Archiv: Das letzte Mal, als Nordkorea im Jahr 2017 eine Rakete über Japan fliegen ließ, dauerte es lediglich eine Woche, bis Machthaber Kim Jong Un einen Atomwaffentest folgen ließ.
Noch dürfte Pjöngjang Rücksicht auf China nehmen
Dagegen spricht derzeit, dass Pjöngjang seinen großen Nachbarn China wohl nicht verärgern will, ehe dieser am 16. Oktober einen historischen Parteikongress in Peking abhalten wird. Doch danach könnten die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel deutlich zunehmen.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Atomtest später im Laufe des Monats passieren könnte, scheint jetzt sehr hoch“, kommentiert der renommierte Experte Go Myong Hyun vom Seouler Asan-Institut in Seoul: „Doch selbst dann könnte Nordkorea wohl von Glück sprechen, wenn es nur ein Zehntel der Aufmerksamkeit erhalten würde, die es noch 2017 genossen hat.“
Denn gefühlt ist die internationale Staatengemeinschaft derzeit mit deutlich dringlicheren Problemen befasst – etwa dem russischen Krieg in der Ukraine sowie der Energieknappheit und globalen Inflation. An die nordkoreanischen Raketentests hat sich die Weltöffentlichkeit fast schon wie eine Art Hintergrundrauschen gewöhnt.
Auch handelte es sich ja bislang vor allem „nur“ um Kurzstreckenraketen. Zudem wurden sie in einer derartigen Frequenz abgefeuert, dass die Fähigkeit zur Empörung selbst innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft deutlich nachließ.
Pjöngjang zündete allein letzte Woche vier Raketen
Allein letzte Woche zündetet Pjöngjang bei vier Gelegenheiten Kurzstreckenraketen – offenbar als Reaktion auf US-südkoreanische Seemanöver, für die erstmals seit vier Jahren ein US-Flugzeugträger entsendet wurde.
Dennoch gibt es kaum einen Zweifel daran, dass sich das Konfliktpotenzial schon bald deutlich erhöhen wird. Denn wie Südkoreas Verteidigungsministerium am Dienstag erneut betonte, bereitet Nordkorea derzeit die Tests von weit bedrohlicheren Flugkörpern vor: So soll das Regime den Start einer Interkontinentalrakete sowie einer ballistischen U-Boot-Rakete planen.
Denkbar ist zudem – basierend auf einer Analyse von Satellitenaufnahmen –, dass Nordkorea seinen ersten Atomwaffentest seit 2017 durchführen wird.
Im Grenzdorf Panmunjom, wo sich Kim Jong Un und Donald Trump noch vor drei Jahren die Hände reichten, ist der triste Zustand der innerkoreanischen Beziehungen mit bloßen Augen zu erkennen: Unkraut wuchert auf der nordkoreanischen Seite, die Fenster der blauen Militärbaracken sind mit dickem Staub bedeckt. Wo vor der Pandemie die Aushandlung eines Friedensvertrags noch denkbar schien, zeigt sich nun eine regelrechte Geisterstadt.
Nordkorea beantwortet Anruf aus Seoul nicht
Da passt auch ins Bild, dass Nordkorea an diesem Dienstag nicht einmal mehr den Hörer abnimmt: Die Anrufe über die innerkoreanische Telefonleitung, neben einer Militär-Hotline die einzige direkte Verbindung zwischen den zwei Ländern, gehören traditionell zur täglichen Routine, um den Kontakt zu halten und Eskalationen zu vermeiden.
Doch erstmals seit Monaten blieb der morgendliche Anruf der Südkoreaner im Norden unbeantwortet. Ob es sich um ein technisches Problem oder eine bewusste Entscheidung der Nordkoreaner handelt, sei derzeit noch offen.
Südkoreas Militär reagierte dementsprechend ohne Vorwarnung auf den nordkoreanischen Raketentest – indem es am Dienstag zwei seiner Kampfflugzeuge Präzisionsbomben über dem Gelben Meer abfeuern ließ.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei