Piratenpartei und "Junge Freiheit": Die Untiefen der Freiheit
Das Interview mit der "Jungen Freiheit" entlarvt die Piraten: Freiheit allein ist kein Parteiprogramm. Die Piratenpartei muss schleunigst ihren Freiheitsbegriff klären – und zwar ernsthaft.
Seit einigen Tagen schlägt ein Interview hohe Wellen, das der stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei Andreas Popp der rechten Wochenzeitschrift "Junge Freiheit" gegeben hat. Wenn es sich dabei bloß um einen Ausrutscher handeln würde, könnte man von den Geburtswehen einer noch jungen, aber hoffnungsvollen Partei sprechen.
Tatsächlich aber ist, mehr noch als das Interview selbst, die Art, wie der Interviewte sich dafür entschuldigte, symptomatisch für den nach wie vor höchst unpolitischen Charakter der neuen Partei. "Mir war die Zeitung überhaupt nicht bekannt, also dachte ich mir nichts dabei", lautete Popps denkbar schlichtes Eingeständnis. Dabei handelt es sich bei der "JF" nicht um ein neues Blatt, sondern um eine Zeitschrift, die seit nun schon über 20 Jahren ihr rechtslastiges Unwesen im Sinne ihres Vordenkers Carl Schmitt, des "Kronjuristen des Dritten Reichs" (Bernd Rüthers), treibt.
Deutlicher als mit der Unkenntnis ihres Vize-Chefs hätte die erstaunlich unpolitische Arg- und Sorglosigkeit wohl nicht auf den Punkt gebracht werden können, die erhebliche Teile der Piratenpartei bis heute auszeichnet. Insofern war es wohl auch mehr als ein Zufall, dass das Interview der "Jungen Freiheit" gegeben wurde. "Die wollen die Freiheit, das wollen wir, die Piraten, auch, und jung sind wir obendrein. Was also sollte dabei schon schiefgehen?", mag sich der Interviewte gedacht haben. Schließlich lautete der zentrale Slogan, hinter dem sich unlängst 25 000 Piraten-Demonstranten versammelten, kurz und knapp: "Freiheit statt Angst".
Albrecht von Lucke, geboren 1967, Jurist und Politikwissenschaftler, ist Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" (www.blaetter.de).
Zuletzt erschienen von ihm die Bücher: "68 oder neues Biedermeier. Der Kampf um die Deutungsmacht (2008)", und "Die gefährdete Republik. Von Bonn nach Berlin: 1949-1989-2009 (2009)", beide im Wagenbach Verlag Berlin.
Also alles Freiheit – oder was? Hier aber liegt das eigentliche Problem. Hier nämlich zeigt sich, dass das Freiheitslabel keineswegs hinreichend ist, um die für eine Partei erforderliche inhaltliche Übereinstimmung zu stiften. Denn offensichtlich verbirgt sich hinter dem Flaggschiff der Freiheit höchst Unterschiedliches.
Richtig ist, dass sich das Freiheitsverständnis der Piraten bisher in erster Linie auf die Freiheit im world wide web bezieht. Diese Schöne Neue Welt ist eine gewaltige Projektionsfläche für ein enormes Unbehagen an der realen alten und immer stärker "verwalteten Welt" (Max Weber). Insofern ist es kein Wunder, dass vor allem ein freies Internet im Fokus der Freiheitsbedürfnisse der Piraten ist.
Wie problematisch dieses unhinterfragte Freiheitsverständnis sein kann, zeigte jedoch bereits die völlig unkritische Aufnahme des früheren SPD-Abgeordneten Jörg Tauss, der allein seiner Prominenz wegen jubelnd begrüßt wurde – ungeachtet der bis heute nicht ausgeräumten Vorwürfe gegen ihn. Hier bereits zeigte sich, dass es der Piratenpartei an Gespür dafür fehlt, dass sich hinter dem Freiheitspostulat sehr unterschiedliche Positionen verbergen, die Lichtjahre voneinander entfernt sind.
Noch weit problematischer wird dies jedoch in der realen Welt, die stets neben – und vor – der virtuellen Welt existiert. Jede virtuelle Welt hat eine reale Basis; und kaum eine Freiheit kommt ohne materielle Basis aus. Auch deshalb ist mit dem großen Liberalen Isaiah Berlin stets zu unterscheiden zwischen negativer Freiheit (von etwas, etwa dem Staat) und positiver Freiheit (zu etwas, etwa zur Betätigung der freien Meinung). Für Letzteres müssen aber in der Regel erst die die politischen und materiellen Voraussetzungen geschaffen werden. Hierfür reicht es nicht aus, gegen den "Überwachungsstaat" zu demonstrieren.
Schon aus diesem Grund wird die neue Partei nicht umhin kommen, ihren Freiheitsbegriff zu klären. Mit dem bloßen Postulat nach "mehr Freiheit" ist es in der politischen Auseinandersetzung nicht getan. Letztlich geht es darum, zu definieren, in welchem Verhältnis die drei großen Werte der Moderne "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" (bzw. Solidarität) für die Piratenpartei zueinander stehen. Daran wird sich klären müssen, ob eine Partei in Zukunft eher rechts- oder linksliberal ist. Alles andere ist letztlich unpolitisch und eine Illusion.
"Was bedeutet ‚links’ in der heutigen Politik? Dass die Piraten liberal sind, steht außer Frage. Allerdings ist die Aufteilung in linke und rechte Lager, in meinen Augen, Schnee von gestern." Diese heute für die Piratenpartei typische Position eines Bloggers geht völlig an der Sache vorbei und ist Ausdruck der beschriebenen unpolitischen Haltung.
Denn auch CDU und Linkspartei würden stets für sich reklamieren, liberal, also freiheitlich zu sein – und die FDP als "Freiheitlich Demokratische Partei" sowieso, wie auch die österreichischen Freiheitlichen um Heinz-Christian Strache, den Nachfolger Jörg Haiders. Und doch bestehen offensichtlich bis heute gewaltige Unterschiede. In Zukunft wird die Piratenpartei also klären müssen, um welche Form des Liberalismus es sich bei ihr handeln soll.
Tut sie dies nicht, kann sie sich über das Ergebnis nicht wundern. Denn bei einem derart unhinterfragten, undifferenzierten Freiheitsbegriff wie bisher können sich alle möglichen Gruppen auf die neu gegründete Partei berufen. Hier zeigt sich das eigentliche Problem der Partei – und ihrer Erfolge: Bisher firmiert sie als ein großes Sammelbecken vermeintlich "Liberaler" – von den rechten "Freiheitlichen" der Jungen Freiheit, die ihre Freiheit vor allem von einer angeblich linken Deutungselite bedroht sehen – wobei man sich fragt, wo diese in den letzten beiden, neoliberal dominierten Jahrzehnten gewesen sein soll – bis zu jenen Radikalliberalen, die gegen jeglichen sozialstaatlichen Etatismus kämpfen.
Die Radikalsten unter ihnen um André F. Lichtschlag und seine Zeitschrift "eigentümlich frei" fordern bereits, sogenannten "Nettostaatsprofiteuren" das Wahlrecht zu entziehen. Denn: "Beamte, Politiker, Arbeitslose und Rentner stimmen mit ihren Mehrheiten jeden noch produktiven Menschen nieder und beuten ihn weiter und immer mehr aus." Deshalb fordert Lichtschlag den Wahlrechtsentzug für die "Unproduktiven": "Wählen dürfen demnach in Zukunft nur noch die Nettosteuerzahler, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft".
Damit argumentiert Lichtschlag ganz im Geiste von Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek, des Gurus der Wirtschaftsliberalen, der in seiner "Verfassung der Freiheit" gefordert hatte: "Es kann vernünftigerweise argumentiert werden, dass den Idealen der Demokratie besser gedient wäre, wenn alle Staatsangestellten oder alle Empfänger von öffentlichen Unterstützungen vom Wahlrecht ausgeschlossen wären." Letztlich ist die Devise klar: "Weniger Demokratie wagen", sprich: vom Verhältniswahlrecht zurück zum Zensus- oder Klassenwahlrecht.
Hier zeigt sich, was mit einem undifferenzierten Freiheitsgedanken alles angestellt werden kann. Der völlige Einklang von "Junger Freiheit" und "eigentümlich frei" in ihrem Kampf gegen die angebliche Dominanz der political correctness (Lichtschlag: "Und aus ist es mit dem möglichen Wahlerfolg der Piratenpartei. Nicht aufgrund des Interviews, sondern wegen solch formvollendeter Selbstenthauptung vor dem Altar der Politischen Korrektheit."), diese Übereinstimmung zeigt auch, wie glänzend sich rechtsradikale und neoliberale Strömungen vertragen – nämlich in ihrem "freiheitlichen Kampf" gegen einen linksliberalen Sozialstaat. Beide können sich dabei auf Carl Schmitt berufen. Dieser war entschiedener Apologet eines zwar autoritär-machtvollen, aber stets schlanken Staates, der sich aus der Wirtschaft heraus halten sollte. Sprich: Für seine ökonomisch-soziale Absicherung soll der Einzelne schon selber sorgen.
Angesichts dieser Untiefen des Freiheitsbegriffs ist klar, vor welcher Herausforderung die Piratenpartei heute steht. Die Gretchenfrage lautet nicht schlicht: Wie hältst Du‘s mit der Freiheit?, sondern komplexer: Was verbirgt sich konkret hinter Deinem Freiheitbegriff? Was ist damit gemeint? Eine inklusive Freiheit für alle Bürger, zu deren Gunsten Staat und Politik Handlungschancen und -möglichkeiten schaffen. Oder eine exklusive Freiheit, in der sich Staat und Politik aus allem heraushalten, getreu der zynischen Devise: Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt.
Wird diese Debatte um das konkrete Freiheitsverständnis der neuen Partei jedoch nicht ernsthaft geführt, wird man sich nicht darüber wundern können, wenn sich auch in Zukunft hinter dem Piraten-Label alle möglichen zwielichtigen "Freiheitlichen" versammeln werden.
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