Pipeline zur Unabhängigkeit: Europas Sucht nach russischem Gas
Die Nabucco-Pipeline soll der EU die gewünschte Unabhängigkeit von russischem Gas verschaffen. Ob sie überhaupt gebaut wird und woher das Gas kommen soll, ist bisher offen.
BERLIN taz | Es wäre zu früh von einem endgültigen Durchbruch zu sprechen, wenn an diesem Montag nach jahrelangen Verhandlungen der Rahmenvertrag für die Nabucco-Pipeline unterzeichnet wird. Denn noch immer bleibt offen, ob es der Europäischen Union (EU) mit diesem Projekt gelingt, sich wirklich unabhängiger vom russischen Erdgas zu machen.
Schon heute liefert der flüchtige Brennstoff ein Viertel der Primärenergie in der EU. 80 Prozent der europäischen Erdgasimporte stammen aus nur drei Ländern: Russland, Norwegen und Algerien. Die ehemalige Sowjetrepublik verfügt mit 47 Billionen Kubikmeter über die weltweit größten Erdgasvorräte und wird dauerhaft der wichtigste Erdgaslieferant der EU bleiben.
Sowohl Russland als auch die Europäische Union sind jedoch von der massiven gegenseitigen Abhängigkeit beunruhigt. Beide Seiten verfolgen daher Strategien, um ihre Erdgasexporte bzw. -importe zu diversifizieren.
Die Nabucco-Pipeline ist ein Gemeinschaftsprojekt von sechs Energieversorgern aus den Transitländern Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Österreich sowie der deutschen RWE. Wenn alles gut geht, soll die 3.300 Kilometer lange Röhre ab 2015 jährlich 31 Milliarden Kubikmeter (m(3)) Erdgas aus den riesigen Vorräten des Kaspischen Meeres nach Europa transportieren. Die Pipeline könnte damit 5 bis 10 Prozent des Europäischen Erdgasverbrauchs decken.
Der am Montag zu unterzeichnende Rahmenvertrag lässt aber noch einige entscheidende Details offen. Die endgültige Entscheidung, ob die Pipeline überhaupt gebaut wird, soll erst Anfang 2010 fallen. Aber auch nach der Realisierung ist fraglich, ob die Nabucco-Pipeline ihren Zweck erfüllt. Denn bis heute ist nicht klar, woher das nötige Erdgas überhaupt kommen soll.
Tatsächlich zeichnet sich schon heute ab, dass es nicht genügend Gas für Nabucco geben wird, da sich Russland und China mit bilateralen Abkommen bereits den Zugriff auf große Teile der kaspischen Gasvorkommen gesichert haben. Selbst Aserbeidschan, das als Hauptlieferant für Nabucco vorgesehen ist, hat dem russischen Gasmonopolisten Gazprom den Zuschlag für seine 1,2 Billionen m(3) Gasreserven erteilt. Die Europäer hoffen zwar auf weitere Quellen aus Ägypten, dem Nordirak und dem Iran, doch weder die dafür notwendige politische Stabilität noch die ebenfalls nötigen Erdgasleitungen aus diesen Regionen sind absehbar.
Erschwerend kommt hinzu, dass Russland mit eigenen Pipeline-Projekten, die sein Erdgas direkt nach Westeuropa fördern, Nabucco schwer zusetzt. Der staatliche russische Erdgasmonopolist Gazprom will langfristig nicht nur Erdgaslieferant sein, sondern direkten Zugang zu den Energieverbrauchern in Europa erlangen. Als wichtiger Meilenstein dafür gilt der Bau der Pipeline Nord Stream von Wyborg/Russland nach Greifswald und der Pipeline South Stream von der russischen Hafenstadt Noworossijsk nach Warna/Bulgarien.
Um dem etwas entgegenzusetzen, fällt der Nabucco-Pipeline für Europa vor allem eine strategische Bedeutung zu. Denn sicher ist, dass wie auch in anderen Regionen der Welt die europäische Nachfrage nach Erdgas kontinuierlich zunehmen wird. Schätzungen gehen davon aus, dass der Bedarf in Europa von 517 Mrd m(3) im Jahr 2008 auf rund 640 Mrd m(3) bis zum Jahr 2020 steigen wird. Bis zum Jahr 2020 werden die europäischen Erdgasimporte von heute 60 auf 80 Prozent steigen. Das bedeutet, dass 4 von 5 m(3) Erdgas die Europa dann verbraucht, importiert werden müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken