Pilotprojekt am „Gefahrenort Drogen“: Auf St. Pauli bleibt Schweigen Gold
Ein Gesprächsformat will in Hamburg-St. Pauli Polizei und Nachbarschaft zusammenbringen. Nun fordern zwei Initiativen, vom Projekt Abstand zu nehmen.
Seitdem die Polizei vor sechs Jahren eine Drogen-Taskforce eingerichtet hat, gibt es im sogenannten „Gefahrenort Drogen“ einen offenen Konflikt zwischen Ordnungsmacht, Anwohner:innen und Aktivist:innen. „Beziehungen zwischen Polizei und lokalen Gemeinschaften sowie zwischen Interessengruppen, die sich kulturell und politisch unterscheiden“, soll das Projekt nun „reparieren“ und aufbauen. Vertrauen und Toleranz sollen gesteigert und „das Niveau der Ablehnung und Vorbehalte gegen die Polizei“ verringert werden, so die Projektskizze der Sozialanthropologin Nadja Maurer.
Maurer hat das an der Forschungsstelle für strategische Polizeiforschung (Fospol) an der Hamburger Polizeiakademie angesiedelte Projekt konzipiert. Hervorgegangen ist es aus einer Studie, die Maurer im vergangenen Jahr durchgeführt hatte. Für die „Multi-Stakeholder-Konfliktanalyse im Stadtraum 'Balduintreppe’“ hatte sie Feldforschung betrieben und Interviews mit Polizist:innen, Anwohner:innen, Aktivist:innen und einem Drogenhändler geführt.
Im Quartier sind die Studie und das Gesprächsformat umstritten. Bereits im Vorfeld hatten Aktivist:innen auf einem Plakat gefordert, „sich weder an diesen polizeilich organisierten Workshops zu beteiligen noch Räumlichkeiten dafür zur Verfügung zu stellen“.
Tragbare Verhältnisse seien nicht zu erreichen
Auch die Gemeinwesenarbeit St. Pauli (GWA), die am Hein-Köllisch-Platz mitten im Gefahrenort das Stadtteilzentrum Kölibri betreibt, hatte ausgeschlossen, sich in dieser Form am Dialog zu beteiligen. Mittlerweile haben sich weitere Initiativen aus dem Viertel öffentlich gegen das Projekt geäußert und seine Einstellung gefordert.
Bereits vor zwei Wochen hat sich die antirassistische Initiative zum Gedenken an Achidi John in einem offenen Brief an Maurer gewandt und sie aufgefordert, von dem Projekt Abstand zu nehmen. Achidi John war am 8. Dezember 2001 gestorben, nachdem ihm mit einer Sonde das Brechmittel Ipecacuanha verabreicht worden war, weil vermutet worden war, dass er Drogen verschluckt hatte.
„Ihre Workshops für Anwohner*innen und Polizist*innen führen hier nicht nur nicht weiter“, schreibt die Initiative. „Indem Sie offensichtlich die grundsätzliche Kritik von Teilen der Anwohner*innenschaft als rechtsstaatlich problematisch denunzieren, stellen Sie vermeintlich 'rechtschaffene’ vermeintlich 'staatsfeindlichen’ Anwohner*innen gegenüber.“ Es liege „auf der Hand“, dass keine tragbaren Verhältnisse damit zu erreichen seien.
Indem Maurer „die Auffassung der Hamburger Innenpolitik bzw. der Polizei“, dass „fast ausschließlich junge Männer westafrikanischer Herkunft“ dort Drogen verkauften, „1 zu 1“ übernehme, ignoriere sie „drei Jahrzehnte Erfahrungen mit der Stigmatisierung Schwarzer Menschen durch die Polizei im Zusammenhang mit dem Straßenhandel mit Drogen“ sowie „die schmerzlichen Erfahrungen der von dieser Stigmatisierung Betroffenen“, kritisiert die Initiative.
Schwarze Anwohner*innen machten die Erfahrung, „dass sie von der Polizei verdächtigt und verfolgt werden“. Den dahintersteckenden institutionellen Rassismus zu ignorieren und die Probleme des Viertels lösen zu wollen, ohne über ihn sprechen zu wollen, legitimiere diesen Rassismus und verstetige ihn weiter, kritisiert die Initiative.
Institutioneller Rassismus werde ignoriert
Am vergangenen Donnerstag hat sich nun auch das Park Fiction Komitee in einem offenen Brief an Maurer gegen das Pilotprojekt gewandt und „die Politik, die Nachbar*innenschaft und die Wissenschaftscommunity“ aufgefordert, „jede Kooperation mit Ihnen zu beenden und stattdessen demokratische und selbstbestimmte Formate der Meinungsbildung zu unterstützen“.
Hintergrund sei, dass auch Park Fiction für das Format „gecastet“ worden sei mit der Bitte „um Teilnahme bzw. Erläuterung von Gründen (…), falls nicht“. Um Maurers „Entpolitisierung der Diskussion entgegenzuarbeiten, haben wir uns entschieden, unsere Antwort als offenen Brief zu formulieren“.
Bestenfalls weniger doofes Verhalten
Vier Kritikpunkte nennt das Komitee: Der Bürgerdialog versuche zum einen, die falschen Akteure zusammenzubringen: „Mit der Polizei lässt sich keine legale Absprache treffen, die diese Situation ändern könnte, denn sie ist ausführendes Organ.“
Die Einrichtung der polizeilichen Task Force und eines „Gefahrenorts“ suspendiere zudem Grundrechte in ganz St.-Pauli Süd, habe keines der Probleme gemildert. „Bestenfalls“ könne Ergebnis sein, „dass sich einige Beamte etwas weniger doof verhalten“.
Brisant ist der dritte Vorwurf, dass mit dem Versuch, die Polizei als „Player in der demokratischen Problemlösung“ zu installieren, das Prinzip der Gewaltenteilung umgangen werden solle „und die demokratische Meinungsbildung unter polizeiliche Aufsicht gestellt“ werde.
Schon die Art, wie Maurer ihre Anfrage stelle, produziere „einen Bekenntnisdruck, der für eine demokratische Gesellschaft unwürdig ist“, so der vierte Vorwurf. Verschärfend komme hinzu, „dass Sie, Dr. Maurer, Institutionen und Einzelpersonen offen unter Druck setzen, sich an Ihrem Verfahren zu beteiligen“.
Darüber hinaus würden „Informationen darüber von Ihnen an Politik und Verwaltung durchgesteckt“. Damit sei „auch der letzte Rest Ihrer wissenschaftlichen Unabhängigkeit dahin“: „aus dem Dialog haben Sie ein Verhör gemacht – ohne richterlichen Beschluss“.
Maurer und die Forschungsstelle für strategische Polizeiarbeit wollten sich auf taz-Anfrage zu den Vorwürfen nicht zu äußern. Die Verfasser beider Briefe hätten „reichlich Gelegenheit“ gehabt, „im Vorfeld sämtliche Fragen beantwortet zu bekommen“. Gesprächsangebote habe es mehrfach gegeben, schreibt Maurer. „Sie waren überdies eingeladen, an dem Bürgerdialog teilzunehmen.“
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