Picasso-Ausstellung in Bremen: Die Schönheit und das Biest
Die Kunsthalle Bremen zeigt ihre Pablo Picassos. Die Ausstellung soll aber die Geschichte des örtlichen Kunsthändlers Michael Hertz erzählen.
Dass er eine Zeit lang Stalin toll fand, damit lässt sich ja im historischen Kontext umgehen: Von Frankreich aus konnte Joseph Dschugaschwili als Friedensfürst erscheinen, den Irrtum teilt er mit fast allen antifaschistischen Künstler*innen Kontinentaleuropas. Aber die Misogynie, ehrlich: dieser Mann! Der hat amerikanischen Bewunderinnen, die ihn besuchen kamen, die Pässe weggenommen, damit sie ihm, so lange er wollte, zu Gefallen wären. Er hat Frauen, die ihn nicht mehr inspirierten, wie verbrauchte Pinsel ausrangiert.
Er hat sie vergöttert, was eine verbreitete Taktik der Ermächtigung ist: Vom Gott zum Objekt ist es seit jeher weniger als ein Schritt. Und wenn sein Enkel Bernard Ruiz-Picasso anlässlich einer Ausstellungseröffnung in Málaga 2019 behaupten muss, sein Opa sei ein großer Feminist gewesen, denn er habe Frauen so oft zu Bildgegenständen gemacht, dann klingt das doch allzu sehr nach einer zumal in Deutschland vertrauten Argumentationsstruktur, die sicherstellt: Großväter sind niemals Täter.
Und doch: Es führt kein Weg vorbei an Picasso. Niemand hat die Kunst des 20. Jahrhunderts mehr geprägt als Pablo Ruíz Picasso, das Arschloch. Der Begriff der Schönheit ist seit ihm ein anderer. Was wir wahrnehmen hat er geformt. Wir wissen gar nicht, wie die Wirklichkeit um uns aussähe, hätte nicht dieser Maler aus ihr eine solche umwerfende darstellerische Kraft gesogen und in seine Bilder übertragen.
Picasso bestimmt unsere Wirklichkeit
Als skandalös erschienen ist seinen Zeitgenoss*innen diese Neuerfindung der Welt aus Lust und Freude, während sein gewalttätiger Sexismus in seiner Epoche fast schon zum guten Ton gehörten. Nein, das ist jetzt falsch: Er gehörte zur Selbstinszenierung als potentes Genie. Sie lässt den Bilderproduzenten als Monster auftreten: Minotaurus heißt die Bestie der griechischen Sage, halb Mensch, halb Stier, die im Labyrinth sitzt, und der Mädchen und Jungen geopfert werden, bis Ariadne … Als Minotaurus hat Picasso sich selbst oft dargestellt.
Aber wie heute damit umgehen? Die Kunsthalle Bremen wählt einen Ausweg für Helden: Erzählt werden soll statt der Geschichte vom Künstler und seinem Modell die vom Galeristen Michael Hertz und seinem Künstler. Der Fokus liegt aus mehreren Gründen nahe: Einmal, weil die Perspektive, wie Picasso im deutschen Sprachraum vermarktet wurde, noch nicht erzählt war.
Und dann, weil der Kernbestand der Bremer Picasso-Sammlung, die Direktor Christoph Grunenberg, für ihn untypisch unbescheiden, als „eine der besten Europas und der Welt“ vorstellt, auf den engen Kontakt des Museums zum damaligen Alleinvertreter für Picasso-Grafik in Deutschland Michael Hertz zurückgeht.
Die Nähe zu ihm rührt daher, dass Hertz selbst Bremer war: Hier ist er geboren, macht eine Ausbildung zum Kunsthändler in einer noch heute existierenden Buchhandlung. Der politischen Verfolgung – Hertz ist KPD-Mitglied – entzieht er sich durch Umzug ins Rheinland, erst spät wird er eingezogen und an die Front geschickt.
Schon 1946 erlaubt ihm die amerikanische Militärverwaltung, sich in Bremen als Kunsthändler und Verleger zu betätigen. Schon ein Jahr später gelingt es ihm, ein erstes Blatt an die Kunsthalle zu verticken: Die Zeichnung „Alte Frau von vorne im Garten sitzend“ stammt von Paula Modersohn-Becker.
Eine Galerie hat Hertz damals noch nicht. Erst Mitte der 1950er eröffnet er einen repräsentativen Show-Room in der Schwachhauser Heerstraße. Das Geschäft läuft bestens. Von der Hauptverkehrsader in eine der stilleren Straßen dieses Nobelstadtteils verlegt er seine Galerie nur wenige Jahre später. Ab 1970 gehen die Preise für Picasso so sehr durch die Decke, dass Hertz nicht mehr mithalten kann. Stattdessen spezialisiert er sich auf DDR-Maler wie Werner Tübke, Willi Sitte und Bernhard Heisig.
Die Forschungen hierzu sind bestimmt von großem Wert und die gewonnenen Erkenntnisse haben die Kuratorinnen Manuela Husemann und Barbara Nierhoff-Wielk in einem vorbildlich gestalteten Katalog niedergelegt. Aber lässt sich dieses sonderwirtschaftshistorische Kapitel auch zeigen? Ehrlich gesagt: Vielleicht. Aber die Ausstellung tut es nicht.
Wahrscheinlich hätte sie dafür mehr Dokumente als Kunstwerke präsentieren müssen, in den Diskurs gehen, und sich vor allem nicht auf das Genie, das die Sonne überstrahlt, beschränken dürfen. Fast will es sogar scheinen, als wäre die Galeristen-Perspektive nur dafür aufgerufen worden, um mal wieder so viel wie möglich aus dem in der Tat spektakulären Sammlungsbestand zeigen – und alles, was unbequem ist, an den Rand schieben zu können.
Das fällt leicht, auch weil es nicht viel zu erzählen gibt: Hinweise darauf, dass Hertzens Bilderhandel auf Picassos Kunst Einfluss ausgeübt hätte, fehlen. Die Beziehung beider bleibt sporadisch. Ab und zu fährt der Bremer ins Atelier nach Vauvenargues oder wohin auch sonst und schaut sich die neuen Sachen ganz frisch an. Die Verkäufe werden dann mit Daniel Henry Kahnweiler abgewickelt.
Konflikte? Als Nöte sind vor allem die Finanzierungsprobleme benannt, die Hertz hie und da hatte. Ja, für ihn ist es einfach eine tolle Sache gewesen, wenn er, obwohl er es sich nicht leisten kann, in der Galerie Louise Leiris einen Schweizer Millionär aussticht, weil die Besitzerin dem Geschäftsführer Kahnweiler entsprechende Anweisung gibt.
Bloß das Monster nicht wecken
Jippie!, Hertz kann das schwarz-graue Sylvie-Gemälde ergattern und ratzfatz auch an die Bremer Kunsthalle weiterverkaufen, und zwar zu einem Preis, der in Deutschland bis dato nur mit Edvard Munch erzielt worden war: 45.000 D-Mark! Das entspräche inflationsbereinigt und währungsumgerechnet knapp 100.000 Euro. Dass die Summe 65 Jahre später so lächerlich gering wirkt, sagt etwas aus über die Entwicklung des Kunstmarkts. Aber eigentlich nichts Neues.
Durch die Fokussierung auf die Handelsbeziehungen und die eigene Sammlung rückt das grafische Werk Picassos ins Zentrum. Dass Grafik aber notgedrungen durch ihren illustrativen Charakter viel enger und direkter an Auseinandersetzungen der Entstehungszeit anknüpft, als immer schon für die Wand gemalte Ölschinken, scheint den Kuratorinnen keinen Gedanken wert gewesen zu sein.
Die Picasso-Connection. Der Künstler und sein Bremer Galerist. Ausstellung in der Kunsthalle Bremen, bis 18. Juli 2021. Für den Besuch auch zu den üblichen Öffnungszeiten ist coronabedingt eine Anmeldung erforderlich unter www.kunsthalle-bremen.de
Zur Ausstellung erschienen ist ein Katalog von Manuela Husemann und Barbara Nierhoff-Wielk, Hatje Cantz, Ostfildern, 224 Seiten, 44 Euro.
Warum illustriert er die Naturgeschichte Buffons und die Lyrik von Aimé Césaire, dem Dichter und Vordenker der Dekolonialisierung? „Der private Picasso“ heißt ein Raum voller Bilder seiner Partnerinnen. Wie kann jemand, der auch mal mit Simone de Beauvoir hobbymäßig Theater spielt und gut Freund mit ihr im Café sitzt, so sehr Macho bleiben?
Und dann ist da noch die weltpolitische Dimension: In ein geradezu inquisitorisches Verhör sieht sich Hertz bei der ersten Begegnung involviert, als Picasso von dessen Zugehörigkeit zur KP erfährt. Dazu hängen in der Kunsthalle ein paar Täubchen und daneben die „Traum und Lüge Francos“-Blätter: Für Picasso sei das Engagement für den Frieden sehr, sehr wichtig gewesen, heißt es erläuternd in der Führung.
Das muss reichen. Bloß keine Schwierigkeiten. Bloß das Monster nicht wecken: Augenlust ohne jede Kontroverse. Das ist zwar legitim. Aber auch langweilig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin