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Phagen als Alternative zu AntibiotikaResistent gegen Resistenzen

Antibiotikaresistenzen fordern immer mehr Todesopfer. Hoffnung macht die Phagentherapie – eine im Westen fast unbekannte Heilmethode.

Bakteriophagen unter dem Mikroskop des Georgi-Eliava-Instituts in Tiflis Foto: Haytham Pictures/Rea/laif

Wenn nichts mehr hilft, dann führt der Weg oft in die georgische Hauptstadt Tiflis. Zwischen Europa und Asien, zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, zwischen einer Hochhausreihe und einer Wissol-Tankstelle, da liegt das Georgi-Eliava-Institut.

Ein kanadischer Musiker kam hierher, nachdem Ärzte ihm sagten, dass er keine andere Wahl außer einer Fußamputation hätte. Für ein Mädchen aus Seattle war das Institut die letzte Hoffnung, als sich zwei widerspenstige Keime in ihrer Lunge eingenistet hatten. Ein 33 Jahre alter Mann aus Indien litt ein halbes Jahr an einer Prostataentzündung und ständigem Fieber – bis er nach Tiflis flog.

Was die drei gemeinsam hatten: Ihre bakteriellen Infektionen reagierten nicht mehr auf Antibiotika, die Keime hatten eine Resistenz entwickelt. Jedes Jahr sterben weltweit mehr als eine Million Menschen an solchen Unempfindlichkeiten – Tendenz steigend. Wis­sen­schaft­le­r:in­nen suchen deshalb mit Hochdruck nach Alternativen zu Antibiotika und entdecken seit einigen Jahren eine Therapieform wieder, die im Westen lange vergessen war. Die Pha­gentherapie. Sie ist der Grund, warum sich immer mehr Pa­ti­en­t:in­nen und Forschende auf den Weg nach Georgien machen.

Denn für das medizinische Zentrum in Tiflis ist die Methode nichts Neues. Das Georgi-Eliava-Institut für Bakteriophagen, Mikrobiologie und Virologie feiert in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen. Bakteriophagen, das sind Viren, die Bakterien infizieren; wörtlich übersetzt heißen sie Bakterienfresser.

Blasenentzündungen als zweithäufigsten Grund

Sie heften sich an die Zellwand der Krankheitserreger, bohren sich hinein und pumpen das eigene Erbgut in den Innenraum; das Bakterium wird sozusagen umprogrammiert, es verwandelt sich in eine Phagenfabrik und zerstört sich so von innen selbst. Währenddessen knackt das Virus von außen die bakterielle Schutzhülle, sodass die 50 bis 100 neu entstandenen Phagen hinausschlüpfen können. Eine brutale Attacke, die ganz anders funktioniert als herkömmliche Antibiotika. Deshalb wirken Phagen auch dann, wenn die Bakterien bereits eine Resistenz entwickelt haben.

Harnwegsinfektionen wie Blasenentzündungen sind der zweithäufigste Grund für den Einsatz von Antibiotika. Normalerweise dauert es ein bis zwei Tage, bis das Testergebnis vorliegt, deshalb verschreiben Ärz­t:in­nen das Medikament oft auf Verdacht, was die Entstehung von Resistenzen begünstigt. Nun hat ein Forschungsteam der ETH Zürich in zwei Studien demonstriert, wie Blasenentzündungen und andere bakterielle Erkrankungen künftig mittels einer Phagentherapie behandelt werden könnten.

In der ehemaligen Sowjetunion galt die maßgeblich am Tifliser Institut entwickelte Therapie als Standard bei Blasenentzündungen. Doch Phagen sind nicht die besseren Antibiotika, erklärt Samuel Kilcher, der Teil des Forschungsteams aus Zürich war. „Antibiotika waren in der Sowjetunion einfach weniger verfügbar“, so der Mikrobiologe. „Aus klinischer Sicht sind Antibiotika zweifellos die einfachere Wahl.“ Denn Antibiotika sind so etwas wie Alles-platt-Macher. Bakteriophagen hingegen sind wählerisch. Sie infizieren stets nur ganz bestimmte Bakterienstämme. Deshalb müssen Me­di­zi­ne­r:in­nen wissen, welcher Erreger für die Infektion sorgt, um die passenden Phagen auszuwählen.

Jagende Viren sind kein Wundermittel

Um das zu erreichen, entwickelten die ETH-Wissenschaftler:innen sogenannte Reporterphagen für die drei häufigsten Auslöser von Harnwegsinfektionen. Mit der Genschere Crispr/Cas-9 veränderten sie das Erbgut der Bakterienfresser so, dass sie im Urin aufleuchten, sobald sie den passenden Erreger gefunden haben. Die Frage, ob ein bakterieller Infekt vorliegt, ist damit innerhalb weniger Stunden beantwortet. Ein großer Fortschritt im Vergleich zum herkömmlichen Ansatz.

Doch selbst wenn man den richtigen Erreger kennt, sind die jagenden Viren kein Wundermittel. „Bakteriophagen sind die natürlichen Feinde von Bakterien; beide Arten entwickeln sich seit dreieinhalb Milliarden Jahren miteinander“, sagt Samuel Kilcher. „Die Bakterien haben also auch einige Tricks auf Lager, um sich zur Wehr zu setzen.“

Daher hat die Forschungsgruppe weitere Phagen genetisch verändert und mit einer zweiten Waffe ausgestattet: den Bakteriozinen. Das sind Stoffe, die eigentlich von Bakterien ausgeschieden werden, um sich gegen konkurrierende Stämme zu wehren. Die optimierten Phagen zwingen ihre Opfer nicht nur, weitere Phagen zu produzieren, sondern auch Bakteriozine, die dann die verbliebenen Bakterien angreifen.

Fehlende Erfahrung im Umgang mit Methode

Als die Forschenden diese genmanipulierten Phagen auf Bakterien in Urinproben losließen, erwiesen sie sich als deutlich wirkungsvoller als ihre natürlich vorkommenden Artgenossen. Können sich Menschen, die häufig an Blasenentzündungen leiden, also bald auf eine neue Therapie freuen – ohne die Sorge, von einem antibiotikaresistenten Keim betroffen zu sein? „Ob das tatsächlich funktioniert, wird erst die klinische Studie zeigen, die wir gerade planen“, sagt Kilcher.

Klinische Studien – wenn sie könnten, hätten Bakteriophagen wohl gehörigen Respekt vor diesem Begriff. Denn auch wenn es am Georgi-Eliava-Institut von Erfolgsgeschichten wimmelt, systematische Untersuchungen nach modernen Forschungsstandards enden häufig enttäuschend.

Woran das liegt? Einer Übersichtsarbeit von 2022 zufolge vor allem an der fehlenden Erfahrung im Umgang mit der für den Westen ungewohnten Methode. Oft werden nicht genügend Phagen oder die falschen verabreicht; oder sie schaffen es gar nicht erst an den Ort der Infektion. Doch ohne wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis gibt es keine Zulassung als Medikament. So sieht die Realität für die Phagentherapie aus, zumindest in der EU und den USA.

Die Schweizer Forschungsgruppe hat für ihre klinische Studie jedoch eine vielversprechende Versuchsgruppe gefunden. In der Neuro-Urologie der Schweizer Universitätsklinik Balgrist sind viele Pa­ti­en­t:in­nen auf einen Katheter angewiesen, also einen Schlauch, der den Urin aus der Blase ableitet. Das begünstigt Harnwegsinfektionen und kann zu Antibiotikaresistenzen führen. Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen wollen die Katheter aber für ihre Zwecke nutzen und die Phagen über den Schlauch verabreichen. So können sie sich sicher sein, dass sie in der Blase ankommen, dort, wo sie gebraucht werden.

Es tut sich was

„Natürlich kann man sich schwer vorstellen, sich wegen einer einfachen Harnwegsinfektion freiwillig katheterisieren zu lassen“, sagt Kilcher. Doch es sind nicht nur solche praktischen Probleme, die dazu führen, dass Phagen bislang keine wirkliche Alternative zu Antibiotika darstellen.

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In der EU werden Medikamente nur mit einer unveränderlichen Wirkstoffzusammensetzung zugelassen. Phagentherapien müssen aber an den jeweiligen Erreger angepasst werden, weshalb sie häufig auf die Pa­ti­en­t:in­nen zugeschnitten werden. Auch für die Pharmaindustrie ist das wenig lukrativ. Die starren rechtlichen Vorgaben bremsen also Wirtschaft und Wissenschaft, so das Fazit eines im Juli veröffentlichten Berichts des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag.

Doch es tut sich was. „In Europa und den USA laufen derzeit ungefähr zehn bis fünfzehn klinische Studien für verschiedene Infektionen“, berichtet Kilcher. „In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wohl die ersten auf Phagen basierten Medikamente auf den Markt kommen. Sofern die regulatorischen Bedingungen vereinfacht werden, könnten in Zukunft noch mehr Menschen von Phagentherapien profitieren.“

Das Weltwirtschaftsforum zählt „Designerphagen“ zu den zehn vielversprechendsten Technologien 2023. Passend dazu ist Samuel Kilcher im Januar von der ETH Zürich zu einem kleinen Start-up gewechselt, das auch Therapien mit Phagen entwickeln will. Bis es im Westen so weit ist, werden Hoffnungssuchende wohl weiterhin nach Tiflis reisen, zur Klinik zwischen Tankstelle und Hochhaussiedlung.

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