Phänomen in der Agrarwirtschaft: So viele Königinnen wie Kartoffeln
Japan hat niedliche Fantasiewesen als Maskottchen. Deutschland jede Menge Pseudoadelige. Nun ja.
D er Twitteraccount „Mondo Mascots“ hat sich der schillernden Welt der japanischen Maskottchen verschrieben. In Japan gibt es nämlich für so ziemlich alles Maskottchen, für Städte, Flughäfen, Motorenhersteller und Nudeln, für lebenslanges Lernen, das mexikanisch-japanische Austauschprogramm und therapeutische Knochenübungen. Die Maskottchen sind knallbunte, freundliche Comicfiguren, etwa ein fliegendes Schwein mit herzförmigen Nasenlöchern, ein Küken im Sumoringer-Dress oder ein Schloss mit einem Rettungsring.
In Deutschland sind derartige anthropomorphe Wesen jenseits von Sportveranstaltungen eine große Ausnahme. Doch wir haben unsere eigene Variante: die Produktkönigin. Die ist aus Fleisch und Blut und durch und durch menschlich, ein Zwiegeschöpf aus regionalem Brauchtum und Absatzwirtschaft, das mit Trachtenkleid und Diadem ein Lebensmittel sowie einen Landstrich repräsentiert.
Angefangen hat das 1931 mit der Krönung der ersten Weinkönigin, inzwischen ergänzt durch mehr als ein Dutzend regionaler Weinmajestäten. Es folgten Bier- und Milch-, Blumen- und Obstköniginnen, und inzwischen herrscht eine fröhliche Kleinstaaterei wie zu Zeiten des Heiligen Römischen Reichs. So gibt es etwa eine Meerrettichkönigin (Theresa I.), eine Wurzelkönigin (Luisa), es gibt Spargel-, Mehl-, Kraut-, Heidekartoffel- und Pellkartoffelköniginnen, in Thüringen findet sich ein Olitätenkönigspaar und im Saarland gar ein Linsenkönig (Matthias I.)
Manche haben sogar ein kleines Gefolge, so bringt die Prenzlauer Schwanenkönigin noch eine Prinzessin und eine Hofdame mit. In Merzig gibt es eine Viezkönigin, für den lokalen Apfelwein Viez. Ob ihre beiden Viezprinzessinnen automatisch auch Vizeviezköniginnen sind, ist nicht bekannt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Im Spreewald wiederum war 2018 die Verzweiflung groß: Niemand wollte Gurkenkönigin werden! Immer noch wird ein Königspaar per Online-Anzeige gesucht – der Spreewaldverein bietet u. a. „gurkenroyale Kontakte“ und „unvergessliche Erlebnisse + Aufwandsentschädigungen“. Gurkenköniginnen gibt es allerdings auch in Biblis (Leonie-Marie I.) und Gommern (Caterina I.).
Einmal in Amt und Würden tingeln die Produktmajestäten von Volksfest zu Volksfest, von Standortmarketingevent zu Agrarmesse. Und einmal im Jahr kommen sie zu einer großen Parade auf der Grünen Woche zusammen – 2023 waren 144 von ihnen anwesend und ein Blick aufs Gruppenfoto zeigt: sehr weiß, blond und weiblich ist das Feld, mit wenigen Ausnahmen, wie dem Schwulen Lüneburger Heidekönig Ben I. Aber so ist es halt – jedes Land hat die Maskottchen, die es verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin