Pfarrer über Oktoberfest: Hochwürden, noch ein Bier!
Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler kennt das Oktoberfest wie kaum ein Geistlicher. Viele Jahre hat er dort als Bedienung gearbeitet.
taz: Herr Pfarrer, am Samstag geht’s wieder los: 17 Tage lang Feierlaune, Fahrgeschäfte und Festbier. Wie werden Sie nach zwei Jahren Abstinenz die Rückkehr der Wiesn begehen?
Rainer Maria Schießler: Ich bin erst in der zweiten Woche in München. Ich habe meinen Urlaub extra so gelegt, dass ich gar nicht erst in die Gefahr gerate, wieder zu bedienen. Denn es juckt mich immer dermaßen. Aber die Vernunft sagt: Nicht rückfällig werden! Du hast damit abgeschlossen, du bist alt, das ist was für Junge. Deshalb bin ich jetzt in der ersten Woche in der Bretagne, ganz weit weg.
Rainer Maria Schießler wurde 1960 wenige Tage nach dem Oktoberfest geboren. Seit 1993 ist er Pfarrer in St. Maximilian in München. Wenig medienscheu gehört er zu den bekanntesten katholischen Priestern des Landes. Von 2006 bis 2012 und von 2015 bis 2018 arbeitete er als Bedienung auf der Wiesn. Sein Buch „Wiesn-Glück“ ist bei Bene/Droemer-Knaur erschienen.
Aber in der zweiten Woche gehen Sie schon raus aufs Oktoberfest?
Ja, natürlich. Da freue ich mich auch schon drauf. Ich habe schon etliche Einladungen. Allen voran besuche ich natürlich meine ehemaligen Kollegen im Schottenhamel, dem Bierzelt, wo ich jahrelang bedient habe. Aber ich werde mich da nicht durchfressen und -saufen. Das ist nicht mein Stil, sondern ich sage einfach Grüß Gott und nehme für einen Moment teil an dem Fest. Ich fahre auch keine Achterbahn, kaufe mir keinen türkischen Honig, keine Zuckerwatte. Sondern ich trinke eine Mass Bier, ess’ a Stückerl Brezn und genieß’ einfach nur, da zu sein.
Kein Hendl?
Nein, da habe ich zehn Jahre zu viele verkauft.
Und bei der einen Mass bleibt es dann auch?
Ja, mehr vertrage ich nicht. Die zweite würde mir gar nicht mehr schmecken. Und bei der ersten ist der erste Schluck eh der allerbeste.
Hat Ihnen die Wiesn gefehlt?
Sehr. Für mich ist es ganz wichtig, dass sie wieder stattfindet. Wäre sie jetzt ein drittes Mal ausgefallen, weiß ich nicht, ob wir sie nicht für immer verloren hätten. Das war für uns Münchner eine unglaublich schwere Sache, nicht nur ökonomisch, auch psychologisch. Die Wiesn ist ja Teil unseres Lebensgefühls, und das ist einfach weggebrochen. Deshalb bin ich auch allen kleineren Volksfesten dankbar, die – trotz Corona – vorher gefeiert wurden, und die gezeigt haben: Es geht.
Aber jüngst nach dem Gäubodenfest in Straubing, der kleinen Schwester der Wiesn, sind dort die Infektionszahlen in die Höhe geschnellt. Und das Oktoberfest ist um Einiges größer und internationaler.
Ja, die Inzidenzen waren hoch, aber nicht die Hospitalisierung. Natürlich werden sich viele infizieren da draußen. Den perfekten Schutz gibt es nicht, aber die Krankenhäuser werden nicht überlaufen. Und das ist das Wichtigste.
Sie haben zwischen 2006 und 2018 insgesamt zehn Mal auf der Wiesn bedient, jetzt haben Sie Ihre Erfahrungen in dem Buch „Wiesn-Glück“ aufgeschrieben.
Mir geht es aber nicht nur um die zehn Jahre. Die Wiesn hat mich ja schon als kleines Kind begleitet. Ich bin in Laim drüben aufgewachsen, in einem Mietshaus im dritten Stock, und vom Balkon aus haben wir den Lichtkegel im Osten gesehen, wo die Wiesn war, und wenn der Wind gut stand, konnten wir sie sogar riechen – diese Mischung aus süßen Mandeln und Hendl. Die Wiesn hat einen ganz eigenen Duft.
Sie nennen ihr Buch eine „Liebeserklärung“, beschreiben die Wiesn als Kulturgut, Tradition und Heimat, Auftrag und Geschenk, Verpflichtung und kreative Möglichkeit. Ich war schon beruhigt, dass Sie als Kirchenmann nicht auch noch von einem „Hochamt der Zwischenmenschlichkeit“ gesprochen haben.
Dafür sind so ein paar Verweise auf die Apostelgeschichte und das Buch Jesaja drin.
Auch auf die Speisung der 5000.
Das drängt sich ja auf. Aber die schönste Bibelassoziation ist für mich immer noch die der Gemeinschaft ohne Standesunterschiede im Neuen Testament. Das Unterscheidende dieser jungen christlichen Gemeinde war ja dieses Leben ohne Unterschiede, ohne Standesunterschiede. Diese Tischgemeinschaft, die diese Christen da gebildet haben. Dass hier Menschen aus allen Ständen zusammenkamen und an einem Tisch saßen, das hat diese besondere Strahlkraft gehabt. Und darum schreibt ja Paulus im Galaterbrief: Wir sind alle eins in Christus. Es gibt keinen Unterschied mehr. Juden, Griechen, Sklaven, Freie, Männer, Frauen. Alles aufgehoben, alle eins in Christus. Und dieses Bild hatte ich immer im Kopf. Und dann schaust du von der Galerie runter ins Zelt und siehst all diese Menschen, die am Nachmittag noch in verschiedenen Büros gearbeitet haben, wo der eine vielleicht der Vorgesetzte von der anderen ist, aber jetzt tanzen sie gemeinsam, sind alle gleich! Und sag mir bitte nicht, dass das nur der Alkohol ist! Manche trinken keinen Tropfen und erfahren trotzdem dieses Gemeinschaftserlebnis.
Als Bedienung ist man ja nicht wirklich Teil davon.
Ja und nein. Du bist ein Bestandteil dieses Konstrukts Bierzelt, das es möglich macht, dass die Menschen da feiern können. Du trägst dazu bei, indem du Essen und Trinken bringst, indem du mit den Leuten flirtest und Jux und Gaudi machst. Damit bist du ein Teil dieser guten Stimmung. Mein Naturell wäre es sowieso nicht, mich als Gast auf die Bierbank zu stellen und „Komm, hol das Lasso raus“ zu singen. Aber ich genieße es, Menschen zu sehen, die so ausgelassen sein können.
Nicht einmal bei Ihrem Lieblings-Wiesnhit „Sweet Home Alabama“ steigen Sie auf die Bank?
Nein, da stehe ich, tief in mir ruhend, sinnierend, irgendwo im Zelt. Denke an meinen Dammerl, einen sehr guten, inzwischen leider verstorbenen Freund, der in der Kapelle gespielt hat, und bin innerlich glücklich ohne Ende.
Wie kam es überhaupt, dass Sie als Pfarrer Wiesn-Bedienung wurden?
Das war mein loses Mundwerk. Das war einfach schneller als Hirn. Ich bin auf einem Empfang jemandem aus der Familie Schottenhamel vorgestellt worden und habe ihn plötzlich gefragt: „Könnte ich mal bei Ihnen im Bierzelt arbeiten?“ Ich hatte mich davor nie mit diesem Gedanken getragen. Aber plötzlich war die Frage da. Und noch während ich gefragt habe, war mir eigentlich klar, dass ich eine Absage bekomme. Stattdessen hieß es sofort: „Ja natürlich.“
Und dann haben Sie es sich nicht noch einmal überlegt?
Nein. Aus der Nummer konnte ich nicht mehr raus.
Inwieweit haben Sie sich da draußen neben ihren Hendln auch um ihre Schäfchen kümmern können?
Ein Priester ist ja immer Priester. Ich habe da nichts forciert, aber die Menschen sind auf mich zugekommen. Kollegen, Gäste, die wussten, dass ich Priester bin, und dann kam schon immer wieder die Frage: Hast du mal einen Moment Zeit, kann ich mit dir über was reden.
Sie waren also ein Leib- und Seelsorger.
Genau. So kann man es sagen.
Einmal hat ein Gast neben der Brotzeit auch eine Taufe bei Ihnen bestellt.
„A Mass Bier“, hat er gesagt, „a Hendl und a Tauf.“ Hab’ ich geantwortet: „Die ersten zwei Sachen bringe ich gleich, über das andere reden wir dann noch.“ Es war mittags, noch nicht so viel los, drum konnte ich mich ein bisschen zu ihm setzen. Und da hat er mir erzählt, dass sein Pfarrer sein Kind nicht taufen will, weil er und seine Frau aus der Kirche ausgetreten waren. Aber das Problem konnten wir lösen. Am Ende hat der Gast seine Taufe auch noch bekommen.
Viele Besucher sind ja genügsamer und wollen nur Bier. Wie viele Krüge haben Sie denn gleichzeitig gestemmt?
Also ein normales Mannsbild trägt vierzehn Mass, sieben in jeder Hand. Notfalls kann man noch eine 15. dazwischen einzwicken.
Das sind über 30 Kilo.
Es ist aber nicht nur eine Sache der Muskeln. Du musst vor allem mental stark sein. Und du musst immer alles bedenken: Wie lang ist die Strecke, die du gehen musst? Ist der Weg frei oder musst du durchs Gedränge? Was machst du, wenn du mal nicht mehr kannst? Wo kannst du die Krüge abstellen? Wenn sie dir runterfallen, ist das ja dein Verlust. Du bist als Bedienung Subunternehmer.
Stimmt es, dass es keinen Schichtbetrieb gibt, Bedienungen also von 8 bis 23 Uhr durcharbeiten?
Ja. Werktags geht es allerdings etwas später los, da ist Schankbeginn erst um 10 Uhr. Und natürlich macht man Pausen.
Eines der wichtigsten Themen der Münchner Lokalpresse ist ja jedes Jahr der Bierpreis …
Ich kann mich daran nicht abarbeiten. Gehe ich in ein Wirtshaus, kostet dort die Halbe Bier auch 4,50 Euro, also 9 Euro pro Liter. Wenn man dann berücksichtigt, dass das Oktoberfestbier nach einem speziellen Verfahren gebraut wird, und die Location einzigartig ist, ist der Preis schon gerechtfertigt.
Gibt es denn überhaupt Aspekte der Wiesn, die Sie kritisch sehen?
Was mir schon immer wieder negativ aufgestoßen ist, ist der Umgang mit Lebensmitteln. Ich finde, der Satz im Grundgesetz „Eigentum verpflichtet“ beginnt nicht bei der Eigentumswohnung, sondern auf meinem Teller. Einmal musste ich einen fast vollen Teller wegschmeißen. Ein Kollege, der im Winter in Kolumbien lebt, stand neben mir und sagte: In meinem Dorf würden da jetzt zehn Leute herumsitzen und ein Fest feiern. Der Satz hat sich in mir eingebrannt. Aber da kann die Wiesn nichts ändern, da müssen wir uns ändern.
Ihre Gastspiele auf der Wiesn waren ja auch gleichzeitig Spendenaktionen.
Das hat sich so ergeben. Ich war ja nicht auf das Geld angewiesen. Und ich tu mich mit den Anstrengungen leichter, wenn ich ein übergeordnetes Ziel habe. Deshalb habe ich die ersten Jahre meinen Wiesnverdienst an Lotti Latrous gespendet, die sich in der Elfenbeinküste in beeindruckender Weise um Kranke und Waisen kümmert. Und 2015 war dann die Flüchtlingskrise der Grund, warum ich nach einer Pause überhaupt wieder mit dem Bedienen begonnen habe. Da ging dann das Geld an den von meinem Freund, dem Kabarettisten Christian Springer, gegründeten Verein Orienthelfer. Der kümmert sich um Flüchtlinge im Libanon.
Noch ein Tipp für den Wiesn-Novizen: Was sollte man auf dem Oktoberfest auf gar keinen Fall tun?
Vorglühen! Gerade junge Besucher machen oft den Fehler, sich auf dem Weg zur Wiesn schon mit irgendeiner billigen Plörre in Stimmung zu trinken. Und dann wundern sie sich, wenn sie das Wiesnbier nicht mehr vertragen. Das hat mehr Alkohol als normales Bier, vor allem aber deutlich mehr Stammwürze. Und das kann auf den Magen gehen. Deshalb: Genießt das Bier und spielt nicht den Kampftrinker!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag