Petition zu Studiengebühren in BaWü: Das Ländle kassiert ab
Baden-Württemberg will 1.500 Euro pro Semester verlangen – aber nicht von allen. Nur Menschen aus Nicht-EU-Ländern sollen zahlen.
Als in Baden-Württemberg 2011 gewählt wurde, kam Erstaunliches heraus: Mit Winfried Kretschmann nämlich ein grüner Ministerpräsident. Den Erfolg verdankten die Grünen unter anderem dem GAU in Fukushima. Jetzt Antiatomkraft wählen, entschieden die Wähler, und alle wussten: Das ist nun wirklich sattgrünes Terrain. Kretschmann erhielt also nie für möglich gehaltene 24,2 Prozent der Stimmen, ein politisches Beben im eigentlich tiefschwarz geprägten Südwesten.
Für Studierende hielt dies einen angenehmen Nebeneffekt bereit: das Ende der Studiengebühren. „Wir wollen einen fairen Hochschulzugang ohne finanzielle Hürden“, hatte Kretschmann vor der Wahl versprochen. Er hielt Wort.
Seit Sommer 2012 bezahlen die Studierenden an den über 80 staatlichen Einrichtungen im Land nicht mehr die zuvor üblichen 500 Euro pro Semester, sondern nur noch die Sozial- und Verwaltungsgebühren. Dass diese – wie im Falle Freiburgs – nach der Machtübernahme von Grün-Rot von 105 Euro (Wintersemester 2011/12) direkt auf 145 Euro (Wintersemester 2012/13) angehoben wurden, nahmen die Studierenden klaglos hin.
Auch der Preis für das Semesterticket stieg, etwa in Freiburg von 79 auf 89 Euro. Nervig fand man das, zumal die Mieten – gerade in den Uni-Städten wie Freiburg, Konstanz oder Tübingen – ebenfalls gestiegen sind.
1.500 Euro – pro Semester
Mehr noch nervt die Studierende aber das neue, etwas sperrig klingende „Gesetz zur Änderung des Landeshochschulgebührengesetzes und des Akademiengesetzes“ der Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne). Es sieht vor, dass Studierende in Baden-Württemberg ab Oktober – wenn das nächste Wintersemester startet – 1.500 Euro pro Halbjahr zahlen müssen.
„Köln“ ist zur Chiffre geworden für Silvesternächte, die aus dem Ruder laufen. Was diesmal wirklich passiert ist und was daraus folgt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Januar 2017. Außerdem: Die digitale Patientenkarte ist Pflicht beim Arztbesuch. Unsere Autorin will sich dem System verweigern, weil sie Angst vor Datenmissbrauch hat. Geht das? Und: Der zweite Band der neapolitanischen Saga „Meine geniale Freundin“ ist erschienen. Andreas Fanizadeh hat ihn gelesen. Das alles und noch viel mehr – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Der ganz große Aufschrei ist bislang ausgeblieben. Denn die grün-schwarze Regierungskoalition will zwar zur Kasse bitten – aber ausschließlich die Studierenden aus Nicht-EU-Ländern.
Wissenschaftsministerin Bauer, die noch im Urlaub weilt, wird in einer Pressemitteilung so zitiert: „Unsere Hochschulen und unsere Gesellschaft profitieren davon, dass internationale Studierende zu uns kommen. Aber mit der enorm wachsenden Zahl müssen wir auch die Bedingungen dafür schaffen, dass die jungen Menschen bei uns erfolgreich sein können. Das erfordert zusätzliche Mittel.“ Ob der Einzelne mit 1.500 Euro weniger in der Tasche erfolgreicher sein kann?
Adrian Nelius, 30, zweifelt daran. Er hat aus mehreren Gründen die Petition „BW: Studiengebühren für Nicht-EU-Studierende stoppen!“ initiiert. Ihm missfällt zum einen, dass nur 300 von 1.500 Euro in die Hochschulen investiert werden sollen. Der Rest dient dazu, den Haushalt von Bauers Ministerium ausgeglichen zu halten. „Um dieses Loch zu stopfen, hätte Baden-Württemberg als eines der bundesweit reichsten Länder sicher andere Möglichkeiten“, sagt Nelius.
Im Zweitstudium zahlen alle
Es wundert ihn zudem, dass die Grünen einerseits eine „Willkommenskultur propagieren und andererseits fremde Menschen ausschließen“. Rund 7.000 Nicht-EU-Ausländer beginnen jährlich ein Studium an den Hochschulen in Baden-Württemberg und wären von dem Gesetz betroffen. Nelius, der in Plochingen nahe Stuttgart bei der Telekom arbeitet, hat bislang rund 11.000 Unterschriften für seine Petition gesammelt. Sein Ziel: Bis zum 24. Februar sollen es 32.000 werden. „Dann wollen wir diese beim Landtag einreichen.“
Der Konflikt: Baden-Württemberg will Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer einführen
Das will der Initiator: Gleiche Bildungschancen für alle
Das will er nicht: Finanzielles Racial Profiling
Das will er eigentlich: Keine Studiengebühren
Zu finden unter: www.change.org
Engagiert ist er auch wegen seiner Frau. Die ist 26, kommt aus Vietnam und hat dort als Englischlehrerin gearbeitet. 2013 folgte sie Nelius nach Deutschland und studiert nun im fünften Semester Amerikanistik in Tübingen. Da sie verheiratet sind, wäre sie von der Bauer’schen Gebühr aber ausgenommen. Auch wer bereits eingeschrieben ist, soll beitragsfrei bleiben – nur die Erstsemester müssten blechen. Ebenso all jene – egal ob Nicht-EU-Ausländer oder Deutsche –, die ein Zweitstudium aufnehmen. Sie sollen künftig 650 Euro pro Semester zahlen.
Derzeit befindet sich Bauers Gesetzentwurf in der Anhörungsphase. Schon am 13. Januar werden die Studierenden auf dem Kronprinzenplatz in Stuttgart demonstrieren, mit einem „Black Friday“ – und gegen Studiengebühren aller Art.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin