Petition der Woche: Freuds umstrittenes Erbe

In Frankfurt soll die Professur für Psychoanalyse zukünftig offen für alle Verfahren ausgeschrieben werden. Studierende wollen das verhindern.

Sigmund Freud sitzt an seinem Schreibtsich und liest ein Manuskript

Der Lehrstuhl für Psychoanalyse an der Goethe Universität hat eine lange Tradition Foto: United Archives/imago

Es ist inzwischen mehr als 130 Jahre her, dass der Wiener Neurologe Sigmund Freud die Psychoanalyse begründete, und für viele ist sie bis heute ein Synonym für die Psychotherapie. An deutschen Universitäten hat sie aber einen schweren Stand. Auch wenn sie eine zentrale Therapieform ist, gibt es landesweit nur wenige psychoanalytische Professuren. An der Goethe-Universität in Frankfurt am Main droht jetzt der Verlust einer weiteren.

Ihren Erhalt fordern Studierende in einer Petition mit bisher knapp 8.500 Unterschriften. Für die Zeit nach der Emeritierung des aktuellen Professors 2022 plant das Institut für Psychologie eine verfahrensoffene Ausschreibung. Dann könnten nicht nur Psy­cho­ana­ly­ti­ke­r*in­nen die Professur bekommen. Die zuständige Dekanin, Sonja Rohrmann, erklärt gegenüber der taz, dass das Ziel „die Berufung von Personen mit Approbationen in unterschiedlichen Therapieverfahren“ sei.

Denn neben den auf Psychoanalyse basierenden, den sogenannten psychodynamischen Therapien sind in Deutschland zwei weitere Verfahren zugelassen: die Verhaltenstherapie und die Systemische Psychotherapie.

Was bedeutet Verfahrensvielfalt?

Erst 2020 wurde die Psychotherapieausbildung in Deutschland reformiert. Unter anderem wurde festgelegt, dass alle wissenschaftlich anerkannten Therapieformen im Studium fachkundig gelehrt werden müssen. Der Kasseler Psychoanalytiker Cord Benecke war an der Reform beteiligt und verweist auf genau diesen Kontext: „Wenn man schon den Luxus einer psychoanalytischen Professur hat“, sagt Benecke, ergebe die Frankfurter Entscheidung „gerade jetzt wenig Sinn“. Schließlich brauche man Spezialist*innen.

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Auch Dekanin Rohrmann bezieht sich auf die festgeschriebene Verfahrensvielfalt – interpretiert sie jedoch komplett anders. Statt am Institut Pro­fes­sor­*innen verschiedener Verfahren zu versammeln, sollten die Lehrenden lieber verschiedene Verfahren kombinieren können. Statt die Auswahl „rein formal an vorhandene Verfahrenszulassungen zu koppeln“, sollen auch die „Exzellenzkriterien“ berücksichtigt werden.

Eben diese Ausrichtung an formalen Kriterien kritisiert die Studierendeninitiative scharf. In der Frankfurter Studizeitschrift diskus äußerte sie die Befürchtung, dass durch Anforderungen „wie die Anzahl der Publikationen und die erwartete Einwerbung von Forschungsgeldern, Bewerber_innen aus dem Feld der psychodynamischen Verfahren systematisch benachteiligt würden“. Diese Einschätzung bezeichnet die Dekanin wiederum als „diskriminierend für Be­wer­be­r*in­nen mit diesem Qualifikationshintergrund“.

Allerdings sind diese Kriterien keineswegs neutral. „Innerhalb der Psychologie gibt es verschiedene Traditionen“, sagt Cord Benecke. „Die Standards einer Tradition zu den Standards der ganzen Psychologie zu erklären, benachteiligt die anderen.“ Aufgrund des Verfahrens und der Ausbildung könne in der Psychoanalyse schlicht nicht so viel publiziert werden. Die Ausschreibung würde so psychoanalytische Verfahren faktisch ausschließen – „ein Etikettenschwindel“.

Der Streit um die zukünftige Ausrichtung der Frankfurter Professur für Psychoanalyse steht also für einen Richtungsstreit der Psychologie insgesamt. Will man Vielfalt der Verfahren oder ein vielfältiges Verfahren?

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