piwik no script img

Pestizid Chlorpyrifos in der EUSkandalöses Zulassungssystem

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Der Fall des Insektenkillers Chlorpyrifos zeigt, wie schlecht die EU Mensch und Umwelt schützt. Immer wieder werden gefährliche Gifte genehmigt.

Die Aktivistin Irma Arroyo spricht über die Pestizide, die auf den Zitrusplantagen in Lindsey, Californien, eingesetz werden Foto: imago images/ZUMA Press

D as Zulassungsverfahren für Pestizide in der Europäischen Union schützt die Bevölkerung nur mangelhaft vor Risiken durch Ackergifte. Das zeigt aktuell der Skandal um die Genehmigung des Insektenkillers Chlorpyrifos, über den die taz am Wochenende berichtet hat.

Die EU-Staaten und die EU-Kommission haben den Wirkstoff 2005 zugelassen, obwohl schon damals Hinweise auf Gesundheitsrisiken vorlagen. Bereits 1998 hatte ein Tierversuch gezeigt, dass die Kleinhirne von Ratten kleiner waren, wenn ihre Eltern Chlorpyrifos gefressen hatten. Die spanischen Behörden, die die Substanz im Auftrag der EU überprüften, ignorierten dieses Ergebnis einfach. Wahrscheinlich, weil es nicht in der Zusammenfassung der Studie, sondern in den Rohdaten stand.

Wie bei Zulassungsverfahren üblich hatte der Pestizidhersteller die Studie selbst in Auftrag gegeben – und auch selbst zusammengefasst. Herausgekommen ist dieses Verschweigen beunruhigender Ergebnisse überhaupt nur, weil 2018 Forscher einer schwedischen Universität die Daten analysiert und dann Alarm geschlagen haben. Deshalb musste nun auch die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit feststellen, dass der Stoff nicht zugelassen sein dürfte.

Und als ob das nicht schon skandalös genug wäre, verlängerte die EU die Zulassung dreimal, ohne die Risiken erneut zu prüfen. Dabei belegten nun Studien sogar kognitive Defizite sowie Verhaltensdefizite bei Kindern, die im Mutterleib der betroffenen Pestizidgruppe ausgesetzt wurden. Leider ermöglicht das Zulassungsrecht „blinde“ Genehmigungen, wenn die Behörden nicht über einen Verlängerungsantrag entscheiden, bevor die alte Erlaubnis ausläuft.

Das Mindeste sollte sein, dass Staaten wie Deutschland nun den Vorschlag der EU-Kommission unterstützen, Chlorpyrifos zu verbieten. Die EU muss aber auch das Zulassungssystem reformieren. Künftig sollte der Staat die Studien beauftragen. Das Geld dafür müssten die Hersteller in einen Fonds einzahlen. Einen zweiten Fall Chlorpyrifos darf es nicht geben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!