Personaldebatte im UN-Weltklimarat: Neue Klima-Kassandra gesucht
Der Weltklimarat wird 2015 einen neuen Chef bekommen. Damit ist das Rennen um den vielleicht politischsten aller Wissenschaftsjobs zur Unzeit eröffnet
BERLIN taz| Mitten im Tauziehen um den neuen Klimareport in Stockholm, der am Freitag verabschiedet werden soll, steht dem UN-Weltklimarat IPCC nun auch noch eine Personaldebatte ins Haus. Der Vorsitzende des Gremiums, der indische Wissenschaftler Rajendra Pachauri, erklärte gegenüber Spiegel Online, er werde nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit 2015 nicht für eine weitere Kandidatur zur Verfügung stehen.
Die überraschende Ansage – eine dritte Amtszeit sieht die Satzung des IPCC gar nicht vor – führt dazu, dass dieser politisch sehr aufgeladene Chefposten des obersten Klimawarners der Welt wieder in das globale Machtgerangel um die Klimapolitik gerät. Und zwar genau bis 2015, wenn in Paris das entscheidende internationale Klimaabkommen beschlossen werden soll.
Der 73-jährige Pachauri wurde 2002 gewählt und gilt spätestens seit dem 4. IPCC-Report 2007 als Stimme der Klimawissenschaften und Mahner vor den Auswirkungen des Klimawandels. Ebenfalls 2007 nahm er zusammen mit dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore den Friedensnobelpreis für das IPCC entgegen.
Der Wissenschaftler, selbst Vegetarier, machte klare Ansagen: Die Industriestaaten müssten ihre Emissionen drastisch reduzieren, den armen Ländern bei der Anpassung an den Klimawandel helfen und ihre Konsumgewohnheiten überdenken. „Manchmal ergreift mich der Zorn“, sagte er zu den trägen Reaktionen auf die Klimakrise.
Gehackte Emails und falsche Daten
Sein exponiertes Amt brachten ihm viel Ärger ein. Im Zuge der „Climategate“-Affäre von 2009, als gehackte E-Mails den Eindruck erweckten, im IPCC würden Daten manipuliert und im Bericht tatsächlich Zahlendreher auftauchten, forderten auch einige Wissenschaftler seinen Rücktritt. Pachauri blieb – auch als eine Kommission zur Reform des IPCC vorschlug, die IPCC-Chefs nur noch für eine Amtszeit zu nominieren.
Dass Pachauri überhaupt IPCC-Chef wurde, hat er indirekt den Klimaskeptikern um den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush zu verdanken. Dieser wollte 2002 eine zweite Amtsperiode des US-Atmosphärenwissenschaftlers Robert Watson verhindern. Watson hatte 20 Jahre lang zu Klimawandel geforscht und laut die Meinung vertreten, die Veränderungen seien real und gefährlich.
Deshalb fragte Exxon-Lobbyist Randy Randol in einem internen Memo an die Regierung, das auch andere Wissenschaftler aus der US-Delegation streichen wollte, ob „Watson auf Bitten der USA ersetzt werden kann“. Daraufhin unterstützte Washington Watsons Stellvertreter: Rajendra Pachauri.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“