Performance zur Geschichte des Hasses: Aus Angst mach Hass und Mord
Die Berliner HAU führt „Hate Hate But Different“ auf. Die Performance versucht sich an einer Analyse der rechtsradikalen Mobilisierung.
Der Abend beginnt mit einer kleinen Provokation. „Wir müssen uns den Nazi als einen ängstlichen Menschen vorstellen“, sagt Ingo Tomi. Und während diese Worte so langsam ins Bewusstsein sickern und vor dem inneren Auge Bilder von Demonstrationen vorbeiziehen, auf denen stiernackige Männer mit kahl geschorenen Schädeln und vor Hass verzerrten Gesichtern Wut aus ihren Schlünden herausquellen lassen und im Hintergrund andere mit jener aufgepumpten Mannhaftikgkeit marschieren, die schon Klaus Theweleit für die weißen Männer der Freikorps beschrieben hat, wird die Berechtigung dieses Satzes immer deutlicher.
Denn die rechtsradikalen Morde der letzten Jahre, angefangen vom NSU über den Mord an Walter Lübcke und das Attentat in Halle bis hin zu den Hanauer Morden, verbindet vor allem Heimtücke und Feigheit. Sie sind, folgt man dem, was über die Motivationen der Täter und der einen Täterin bekannt ist, von Hass getrieben, der sich selbst aus Wahnvorstellungen von Ängsten sowie echten Abstiegsängsten und Frustrationen speist. Sich den Nazi mal als ängstlichen Menschen vorzustellen, könnte tatsächlich ein Schlüssel zum Verstehen des Phänomens sein.
Die Berliner Gruppe Futur II Konjunktiv verlässt in ihrer Performance „Hate Hate But Different“, die im HAU 3, einer Spielstätte des Hebbel-Theaters in Berlin, uraufgeführt wurde, leider zwischenzeitlich diesen Weg. Tomi und seine Bühnenpartnerin Agnes Mann verlegen sich aufs Predigen vor den bereits Bekehrten. Die Häufigkeit der neonazistischen Gewalttaten wird betont, die oft laxe Ermittlungsarbeit der Polizei kritisiert. Die rechten Netzwerke in Polizei und Justiz werden beklagt. Das sind alles Tatsachen, gewiss, leider. Ihr Referieren verleiht diesem Theaterabend aber weder Gewicht noch Tiefe.
Der Weg des Attentäters
Die Performance gewinnt erst wieder an Kraft, als Mann und Tomi einen Besuch in Hanau schildern. Sie fahren die Orte ab, die auch der Attentäter Tobias R. abfuhr. Sie beschreiben die Morde, die ganze schlimme Banalität des neunfachen Tötens. Sie geben zugleich den Opfern ihre Namen, ihre Gesichter zurück. Sie sprechen auch vom Gedenken der Angehörigen an ihre toten Kinder und Geschwister.
„Hate Hate But Different“, im HAU 3 in Berlin, bis 17. Oktober, 20 Uhr.
Der Gedanken und Emotionen des Schützen werden sie allerdings nicht habhaft. Wie auch, R. fuhr nach der Tat zurück in sein Elternhaus, erschoss dort seine 72-jährige, bettlägerige Mutter und dann sich selbst. Sein Vater, der selbst mit rechtsradikalen und rassistischen Schreiben auffiel, und deswegen letzte Woche vom Amtsgericht Hanau auch verurteilt wurde, behauptet gern, der Sohn sei Opfer einer Geheimdienstoperation.
Auch in diesen Kopf kann man mit den Mitteln des Theaters nur schwer gucken.
Über einen Umweg, zugleich dem stärksten Teil der Vorstellung, gelingen Mann und Tomi immerhin Einblicke in eine werdende Radikalisierung. Sie schildern eine Dresdner Rede von B. H.. Die Anspielungen legen nahe, dass es sich bei dem Redner um Björn Höcke handelt. Beschrieben wird das Einverständnis im Publikum. Es breitet sich eine Ahnung aus, wie dort die kollektive Furcht um ein Deutschland, das von Migration und Multikultur, von Kapitalismus und Globalisierung bedroht sei, immer neue, größere und gespenstischere Formen annimmt.
Dann schlägt diese Angst in Hass um, der jeden und jede Anwesende umspült, erfüllt und erhöht und letztlich zu einer wandelnden Zeitbombe macht. Nur der Zündmechanismus ist noch nicht in Gang gesetzt. Geschieht das, muss im Nachgang wieder über die nächsten Einzeltäter ermittelt werden. Einzeltäter allerdings, die aus einem kollektiven Einverständnis heraus handeln. Diesen Zusammenhang modelliert dieser spekulative Theaterabend dann doch sehr eindrücklich heraus.
Auch eine kleine medienhistorische Delikatesse ist eingebaut. Hitler & Co. mussten in die frühen Mikrofone ihrer Zeit noch schreien, weil die technische Qualität von Aufzeichnung und Übertragung nicht so gut gewesen sei, argumentiert Tomi. Technologische Notwendigkeit und individuelle Vorlieben führten also zur besonderen Performanz des A. H. B. H. und dessen Zeitgenossen könnten aber mit leiser Stimme locken, werben und klagen.
Eine neue Wehleidigkeit, nicht in diesem Maße überliefert bei den Nazis des letzten Jahrhunderts, beobachten Futur II Konjunktiv bei den heutigen Oratoren der extremen Rechten. Eine Charakterveränderung, nur weil die Mikrofone besser werden. Ein schräger Aspekt. Und ein weiteres Argument dafür, dass man sich den Nazi vielleicht tatsächlich als ängstlichen Menschen vorstellen kann. Das bedeutet nicht bemitleiden. Denn feige Bösartigkeit gipfelt immer wieder im Tötungsverbrechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“