Performance von Feist in Hamburg: Doch nicht ganz auf Augenhöhe

Feist spielt am Mittwoch das erste Mal die Performance „Multitudes“. Den Beat auf Kampnagel Hamburg erzeugt ein Drucker.

Feist bei den Proben am Boden des Hamburger Kampnagel Theaters

Auf Kampnagel in Hamburg: Leslie Feist Performance „Multitudes“ Foto: Christophe Abric

Leslie Feist gehört spätestens seit dem Jahr 2007 zur Oberklasse der Singer-Songwriter-Gilde – und ungefähr seit damals beschäftigt sie auch einen Manager, der die Pressemeute im Zaum hält. Die hatte zwar für die 1976 im kanadischen Nova Scotia geborene Sängerin seit jeher viel Lob zu verteilen, aber man weiß ja nie. Das bisschen Privatsphäre sei Feist gegönnt. Dabei ist es die 45-Jährige selbst, die intime Vorgänge immer wieder in die Öffentlichkeit trägt – verklausuliert durch Musik natürlich. Feist ist eine Meisterin der anmutigen Heartbreak-Songs, wie ihr größter Hit „1234“ beweist.

Man darf also davon ausgehen, dass ihr die Corona-bedingten Publikumsbeschränkungen dieser Tage durchaus gefallen. Schließlich entfalten diese zarten Indiepop-Songs vor 2.000 Zu­schaue­r*in­nen eine ganze andere Wirkung als vor 200. Genau so viele haben sich am Mittwochabend in Hamburg-Winterhude eingefunden. Draußen tröpfelt der kühle Sommerregen, ein Oud-Spieler zupft an seinem In­strument. Das alljährliche Sommerfestival der Kulturfabrik Kampnagel lockt mit einem kostenlosen Open-Air-Programm und mehreren Weltpremieren.

Eine davon ist „Multitudes“, zu Deutsch: Vielzahl. Feist will damit nichts weniger, als das Ende der Corona-bedingten Konzertpause feiern, und ihre eigene Bühnenkarriere als eine Performance-Inszenierung fortsetzten. Vier Jahre nach Veröffentlichung ihres letzten Albums wird sie elf neue Songs spielen, die zuvor noch niemand gehört hat. Zehn Konzerte an fünf Abenden – Feist ist in der ersten Festival-­Woche das One-Woman-Residenz­orchester von Kampnagel.

Es ist warm und stickig in der großen Halle K6. Erste Überraschung: Das Publikum sitzt an der Stelle, wo sonst die Band auf der Bühne steht. 200 braune Papp-Hocker sind um ein kreisrundes Podest verteilt, keine drei Meter im Durchmesser. „Wir wissen ja alle noch, wie es früher auf Konzerten zuging“, sagt Feist im Gespräch zuvor. „Die Band hoch oben auf einer Plattform, es wird dunkel, grelle Lichter, Laserstrahlen. Das Publikum? Eine einzige Masse. Wir wollen dieses Podest zerstören und ein Erlebnis auf Augenhöhe bieten.“

Der geplante Zuschauer-Chor fliegt raus

Der Programmtext kündigt eine „radikal gemeinschaftliche Produktion“ an, die die Rollen zwischen Publikum und Performerin durcheinanderbringe. Davon kann am Mittwochabend keine Rede sein. Ein Publikumschor war geplant gewesen – und wurde von der Künstlerin wieder verworfen. So ist man Feist zwar körperlich ungewohnt nah – und wird doch auf Distanz gehalten durch ihr resolutes Charisma.

Sie beginnt alleine, singt zur Westerngitarre, und sofort weiß man wieder, warum sie einmal als „hinreißendste Stimme des Indie-Pop“ bezeichnet wurde. Feists sanfter und dennoch durchdringender Gesang, der zu solchen Höhen fähig ist und doch nie zu kippen droht – ein Wunder. Pure Bühnenmagie. Feist braucht auch deswegen keinen Chor, weil sie das selbst am besten kann: mit Loops arbeiten, die die eigene Stimme um ein Vielfaches multiplizieren und raffiniert verschachteln.

Gedimmtes Licht

Im dritten Song eine kleine Explosion: Zwei Instrumentalisten, die zuvor im Publikum gesessen haben, setzen an Violine und Keyboards ein. Das Licht wird gedimmt, gleichzeitig entflammen Projektionen auf beiden Seiten des Raumes. Riesige Nahaufnahmen werden an schwarze Vorhänge projiziert, live erzeugt durch das Publikum umkreisende Handkameras.

Die elf neuen Stücke vereinen Früh- und Spätwerk der Künstlerin. Die zerbrechlich folkigen treffen auf die bluesig angehauchten Songs der letzten beiden Alben. Feist gibt kurze ekstatische Kiekser von sich, sie ist eine passable Rockgitarristin. Ein altmodischer Nadeldrucker, der das Publikum schon beim Einlass beschallte, beginnt erneut zu rattern. Dessen Rhythmus integriert sie in einen Song.

Nach einer Stunde geht Feist ab und zieht an einem Seil. Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick auf die trostlose leere Zuschauertribüne frei. Leichte Ratlosigkeit setzt ein. Soll das Publikum sich nun als Performer fühlen? Offene Fragen bleiben, wie so oft bei großer Kunst. Die Sängerin selbst hat sich im Interview wolkig ausgedrückt. „Das Mysterium des Lebens wird subjektiver, wenn man jemanden verliert“, hatte sie über ihren einem Verstorbenen gewidmeten Song „Become the Earth“ gesagt. „Es bleiben nach dem Tod mehr Fragen als Antworten – und doch sehe ich alles in Technicolor. Alles wird magischer.“

Eine zauberhafte Performance hat Feist in der Tat absolviert. Aber – wie ist sie eigentlich auf die Idee mit dem Drucker-Rhythmus gekommen? „It’s pandemic, man. Wer weiß schon, wo der Drummer ist? Kaum versiehst du dich, da jammst du mit dem Drucker.“

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