Performance im HAU: Rauschendes Fest für die Sinne

Wallende Stoffbahnen bekommen bei der neuen Performance von Showcase Beat Le Mot im HAU eine Hauptrolle. Einiges erschließt sich erst im Nachhinein.

Performer an einem riesigen Stück Stoff

Luftschloss oder Stoffbahn? Der textile Protagonist der Performance in Aktion Foto: Misha Shenbrot

Ich weiß wirklich nicht, was mich erwartet. Und ich will auch gar nicht wissen, was kommt. Diese Haltung hat sich bei mir eingebürgert, wenn Showcase Beat Le Mot das HAU mit einer Performance entert. Bei „Die schwarze Mühle“ (2022) bin ich im Theaterfoyer in einem Sarg mit Rollen gelandet und dann auf die Bühne kutschiert worden. Das war dann meine Zuschauerperspektive (mit Loch im Sarg fürs neugierige Auge) bei der Annäherung von Showcase Beat Le Mot an den Jugendbuchklassiker von Jurij Brězan.

Meine Sinnesorgane revanchierten sich für diese ungewöhnliche Situation, in die ich uns gebracht hatte, mit hundertfünfzigprozentigem Einsatz. Das Erlebnis war so intensiv, dass mein Körper das Kurzzeitlebensgefühl dieses Theaterabends noch heute abrufen kann: Ich war wahnsinnig im Jetzt. Die Vorstellung ein einziger langer Überraschungsmoment.

Und das alles im geschützten Raum des Theaters. Und weil ich dieses Lebensgefühl gern reproduziere, bin ich Stammzuschauerin bei Showcase Beat Le Mot. Am extremsten war die geschärfte Sinneswahrnehmung bei „Dreckiges Neon Babylon“ (2021): Ich habe mich mit verbundenen Augen dem Performer Dariusz Kostyra ausgeliefert, der mich durch die Kellergewölbe der Kindl-Brauerei lotste und Situationen schuf, in denen ich den unbekannten Raum nur mit den Ohren ausmessen konnte.

Vor einem Jahr dann „1000 Things Falling“: Schwerkraft kreativ gedacht. Und jetzt „The Top Five Letters of Liaisons Dangereuses“, das exakt dort beginnt, wo „1000 Things Falling“ aufhört: Vom Schnürboden fällt ein dickes Stoffpaket. Ausgebreitet bedeckt es die ganze Bühne im HAU2. Schweigend beschäftigen sich vier Performer mit dem mehrfarbigen Riesenstück Stoff. Entschleunigt drehen und wenden sie es, bis sich unter dem Tuch genügend Luft angesammelt hat und die Bühne zum Wellenmeer wird, beleuchtet von Scheinwerfern jeder Couleur, sogar rosa.

Geheimnisvolle Gerätschaften

„The Top Five Letters“ ist jetzt ein Fest fürs Auge, umgeben von einer demonstrativen Stille. Bis unter dem Zeltdach geheimnisvolle Gerätschaften ihren Platz finden, lautstark herangekarrt aus einer Seitentür direkt in den Zeltraum hinein. Zuerst ist es, als ob das Luft-Stoff-Konvolut laut atmen würde. Ein Schlagzeug ertönt im Riesenzelt. Als seine Schläge an Kraft gewinnen, ist es, als bekäme das Ganze eine Stimme. Und schnell ist unter den wallenden Stoffbahnen musikalisch so viel los, dass man sich vorkommt wie „Draußen vor der Tür“.

Aber dann schält sich Nikola Duric aus dem Stoff, steht in Rippenunterhemd vorm Publikum und tut so, als wäre vor uns ein Riesenschloss. Was vor uns real während der Vorstellung entstanden ist, ist ein Luftschloss, ein temporärer Raum. Showcase Beat Le Mot geht es gerade um diese Metapher, für die sie ein Bild schaffen wollen. Das verstehe ich, als ich den Info-Text zur Inszenierung auf der HAU-Webseite lese. Nach dem Theatererlebnis.

Erst mal konzentriere ich mich auf meine Sinnesorgane. Die werden gefordert, denn Duric lädt das Publikum zur Besichtigung des Luftschlosses ein. Neugierig schlüpfe auch ich in das Riesenzelt. Auf dem Boden leuchten kleine blaue Lichter und geben Orientierung. Über einem ist der Stoff, den man mit der Hand nach oben stupst oder übers Haar streichen lässt. Rechts das Mischpult mit Keyboard, links das Schlagzeug, in der Mitte die Bar und dazwischen viel Raum. Ich nehme einen alkoholfreien Martini, wandle und möchte gar nicht mehr raus, so poetisch-sinnlich ist das Erlebnis.

Wie fiepende Hühner

Auf einmal liegt der Stoff zusammengerollt auf einem großen Haufen, übrig ist eine leere Bühne mit ein paar Instrumenten sowie Musikerinnen und PerformerInnen (darunter auch Barbara Morgenstern, die die Musik komponiert hat), die sich erst wie verschreckte, orientierungslose, fiepende Hühner auf dem Luftschloßrelikt drängen und dann neugierig den neuen Raum erkunden.

Beim späteren Lesen des Info-Textes verknüpfe ich diesen letzten Teil der Performance inhaltlich mit Showcase Beat Le Mots wiederholtem Nachdenken über das Wesen der Revolution, das auch hier zu starken Bildern führt. Zunächst bin ich vom sphärischen Klang des Theremins ganz eingenommen. Auch der Abgang hinterlässt Eindruck: Die Riesenstoffplane wird theatral im Zuschauerraum abgelegt. Es ist wie ein Auftrag, „die Performance nach-zu-denken“. Gerade bei Showcase Beat Le Mot kann es sinnvoll sein, dass Zuschauende die intellektuelle Anstrengung zeitversetzt leisten. Damit das sinnliche Erlebnis so ungefiltert ist wie nur möglich. Es lohnt sich.

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