Performance „Das Revier“ in Hamburg: Sorry für die Polizeigewalt
Die Gruppe SV Szlachta lädt auf dem Hamburger Hansaplatz in die Installation „Revier“. In Workshops werden Vergehen der Polizei aufgearbeitet.
Ein merkwürdiger Hybrid aus Infopoint, Jahrmarktbude, Trutzburg und Glaspalast steht seit einer Woche auf dem Hansaplatz in Hamburg-St. Georg. Drei Container, zwei übereinander, der oberste gläsern, darauf Zinnen und Fähnchen, davor eine Terrasse mit drei Fernrohren am Geländer. Unten ein gemütlicher Raum mit nach außen offenem Tresen und Donut-Bringmaschine, einer Garderobe mit Polizeimützen und gelben Westen, daneben ein kleiner Verhörraum.
Und dahinter der dritte Container, ein bisschen unheimlicher: hell erleuchtet, zwei Tische, ein Schrank mit Aktenordnern und Kisten – und an der Wand eine Pinnwand mit gruseligen Fotos: der für seine harte Linie berüchtigte G20-Gesamtpolizeiführer Hartmut Dudde, daneben Jetzt-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), hier noch mit aller Lockenpracht aus seiner Zeit als Innensenator Hamburgs, als der er 2001 die später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Folter verurteilten Brechmitteleinsätze verantwortete, die in Hamburg mit Achidi John auch ein Todesopfer forderten. Und darüber der Rechtsmediziner Klaus Püschel, der die Brechmittelfolter ebenfalls befürwortet hatte.
„Revier“ steht auf dem Schild über der Installation, das „v“ und das I-Tüpfelchen in Herzform. Einladend sieht das aus, so schön erleuchtet in der Abendsonne. Und zur Eröffnung am 14. April versammelten sich dann auch nicht nur alle vor den Containern, die eine Karte erstanden hatten für die Teilnahme an der immersiven Installation des Hamburger Kunstkollektivs SV Szlachta, sondern auch ein Teil derjenigen, für die der große Platz in der Nähe des Hauptbahnhofs mit seinen Lindenbäumen und dem Hansabrunnen in der Mitte sowieso ein wichtiger Treffpunkt ist und der aufgebaute Container eine willkommene Abwechslung.
Mit der Polizei hat man hier Erfahrung. Seit den 1980ern war der Platz immer wieder in den Medien und Gegenstand politischer Debatten und kontrollierender Interventionen: Heroin, Alkohol, Sexarbeit, Straßenkriminalität, Schlägereien. Schon einmal, von 2007 bis 2009, gab es hier Kameraüberwachung. Seit knapp drei Jahren gibt es sie wieder. 22 Objektive überblicken den Platz. Wie die Reeperbahn ist er eine Waffenverbotszone, die Polizeipräsenz ist hoch. Vor gut zehn Jahren wurde er für zweieinhalb Millionen Euro aufgehübscht, seitdem gibt es dort neben Kneipen und Sozialarbeit auch teurere Restaurants und ein paar Tourist*innen.
„Das Revier“: Do, 21. 4., bis So, 24. 4., 15 und 19 Uhr, Hamburg, Hansaplatz. Karten gibt es bei Kampnagel.
Und so wird es vor bunt gemischtem Publikum schnell lebendig und ein bisschen chaotisch, als zum Auftakt der zehntägigen Installation die „Blaulichtparty“ beginnt, während gerade ein echter Polizeiwagen im Schritttempo vorbeifährt. Die Polizei wolle sich entschuldigen, verkündet Conférencière Diana Damm nach einem schief-blechernen Abgesang einer zweiköpfigen Polizeikapelle.
Aber so richtig scheint sie nicht zu wollen. Der Polizeipräsident erscheint gar nicht, die Polizeisprecherin nur in desolatem Zustand und unwillig, die erwartete Entschuldigung für gut 200 Jahre von Skandalen und Misserfolgen geprägte Polizeiarbeit in der Stadt auszusprechen. Einen angeblich von Innensenator Andy Grote (SPD) gebackenen blauen Kuchen überbringt sie noch. Auch der ist eine Enttäuschung.
Dann beginnen die dreistündigen Workshops in der „Transformationswache“. Keine andere, bessere Polizei wolle man sein, erklären die „Officers“ vom Revier, als wir Mützen, Westen und Badges bekommen, sondern das Kapitel abschließen und das Danach organisieren, eine Polizei-Utopie ausloten.
Nach einer kleinen Choreografie auf dem Platz, in der wir lernen, mit der Hand an der Gürtelschnalle zu patrouillieren und nach Verdächtigem Ausschau zu halten, sollen wir die Arbeit „der Alten“, ihre strukturellen Probleme und Verbrechen, aufarbeiten. In Bewerbungsworkshops geht es darum, ein Gespür für eine Gesellschaft nach der Polizei, für die Transformation in eine polizeilose Gesellschaft zu bekommen. Denn das sei gar nicht so leicht, wie wir bald merken würden.
Mit dem „Schein für die betreute Auflösung“ in der Tasche geht es dann in kleinen Gruppen nacheinander ins Archiv, auf Streife, ins Verhör oder zum Plausch übers kindliche Detektivspielen. Und wer Sorge hatte, dass die mit dem Kopenhagener Kunstkollektiv Signa verbandelten Szlachtas hier ein ähnlich beklemmendes immersives Theater einrichten, wird schnell beruhigt.
Beklemmend ist hier zwar die Realität, über die man beim Ermitteln im Archiv mehr erfährt – der Fall eines in der Elbe ertrunkenen jungen Ghanaers am belebten Fischmarkt, dessen Bergung eine ganze Stunde dauerte und in dessen Totenschein später als Ursache seines Sterbens „Covid“ stand.
Was ist da schiefgegangen? Was haben die zehn Polizist:innen und die Feuerwehr eine Stunde lang getan? Meine Gruppe vermutet, das Problem heißt: Rassismus. Es sind Fälle, die die Schwarzen Officers der Wache während der Recherche zum „Revier“ zu den Akten genommen haben. Fälle, von denen keine*r von uns gehört hatte –, aber überall entwickelt sich bald eine offene, freundliche und auf angenehme Weise intime Stimmung, ein Spiel zwischen Infotainment, Workshop und Vorabendkrimi-Persiflage.
Im Verhör geht es um unsere kulturellen Vorbelastungen: Wie sind wir groß geworden, was haben wir als Kinder gemacht? Kennen wir die uns als Fotos vorgelegten Tatortkommissare? Wie oft haben wir derlei im Fernsehen gesehen? So entstehen an jeder Station tatsächlich interessante Gespräche über die Polizei, die Gesellschaft, die sie poliziert, und aktuelle Entwicklungen in der Stadt.
Wie sie konkret aussehen könnte, die polizeilose Gesellschaft, bleibt am Ende natürlich offen. Aber die Stimmung ist schon mal gut: Applaus für uns alle. Wir haben die Aufnahmeprüfung versemmelt und damit die besten Voraussetzungen, die Arbeit ernsthaft beginnen zu lassen, jubeln die Officers. Und wir sind ja erst die ersten neuen Unpolizist*innen. Bis Sonntag lädt die kleine Polizeiauflösungsschule noch zweimal täglich zum Workshop.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen