Perfektes Deutsch: Mit Vetter Abdullah-Ibrahim Üstünsürücü beim Frisör
Wenn Vetter Abdullah-Ibrahim zu Besuch ist, gibt er immer mit seinen Deutschkenntnissen an. Und wer ihn nicht versteht, ist bestimmt ein Rassist.
A bdullah-Ibrahim Üstünsürücü, der Vetter meiner Frau, ist mal wieder zu Besuch aus der Türkei. Alle paar Jahre kommt er als Tourist hierher, macht Deutschland mit seinem angeblich perfekten Deutsch unsicher und geht wieder. Er kann nicht mal zwei Wörter richtig aussprechen, aber er ist fest davon überzeugt, dass das Deutsche ihm im Blut liegt, weil sein Opa im Ersten Weltkrieg auf der Seite der Deutschen gekämpft hat.
Und dann wurde er noch von einem deutschen Schäferhund dreimal in den Hintern gebissen, das seien viel sichere Anzeichen des Deutschseins als der läppische Pass, den inzwischen jeder in Deutschland hinterhergeschmissen bekommt.
Aber in Wirklichkeit spricht er so ein schlechtes Deutsch, als wäre er in Sachsen geboren, in Bayern aufgewachsen und mit einer Ostfriesin verheiratet, die bei den Schwaben lebt. Vor einer Stunde ist er breit grinsend in die Stadt gegangen und schon steht er wutschnaubend wieder im Wohnzimmer.
„Mein lieber Vetter Abdullah-Ibrahim, was ist denn passiert?“, frage ich ihn neugierig. „Bei Allah, Osman, was für Ausmaße hat denn in Deutschland die Ausländerfeindlichkeit angenommen, selbst einem Mann wie mir gegenüber“, brüllt er fassungslos.
Es war kein Schnurrbartneid
„Wieso? Hat man dich etwa beleidigt?“, will ich wissen. „Ich wollte mir die Haare schneiden lassen, aber der Frisör hat mich aus dem Laden mehrmals rausgeschmissen.“
„Mein lieber Vetter Abdullah-Ibrahim, vielleicht war er doch nur neidisch auf deinen tollen Schnurrbart“, versuche ich ihn zu trösten. „Aber bist du dir auch sicher, dass du bei einem Frisör warst? Vielleicht warst du ja bei einem Gynäkologen“, lächele ich, um ihn zu beruhigen.
Aber er wird dadurch erst recht sauer: „Ja, ich bin mir absolut sicher! Der ganze Raum war voll mit Spiegeln, es gab viele Sessel und Rasierapparate. Und auf der Schaufensterscheibe stand dick und fett Frisör geschrieben.“
„Na gut, dann lass uns wieder hingehen. Wollen wir mal sehen, warum sie meinen Lieblingsneffen rausgeschmissen haben. Schließlich bist du der einzige Vetter von meiner einzigen Frau.“ Kaum habe ich in der Stadt meinen Ford-Transit geparkt, da ruft Abdullah-Ibrahim: „Das ist dieser Laden, Osman. Lies doch selber, was auf der Scheibe steht: F-ri-sör!“
Wunscherfüllung macht unglücklich
„Du willst also deine Haare unbedingt hier schneiden lassen, Abdullah-Ibrahim?“ „Klar, ich bin nicht bereit, diese Demütigung auf mir sitzen zu lassen!“, brüllt er. Wir gehen rein. Und ich kläre die Modalitäten, während mein angeheirateter Vetter sich auf einem Sessel demonstrativ breitmacht.
Knapp zwanzig Minuten später schaut Abdullah-Ibrahim in den Spiegel und bekommt einen Schock, gemischt mit einem Wutanfall: „Osman, schau dir an, was dieses Schwein aus mir gemacht hat! Ich sehe aus wie ein begossener Königspudel“, brüllt er durch den Laden.
Wegen dieses herrlichen Anblicks kann ich mich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten: „Aber Abdullah-Ibrahim, das ist doch genau richtig, wie du haben wolltest. Du hast doch selbst darauf bestanden, unbedingt hier deine Haare schneiden zu lassen. Ich habe irrsinnige Mühe gehabt, den Mann zu überreden, dich zu bedienen. Du behauptest doch immer, fließend Deutsch zu sprechen. Lies doch mal genau, was auf der Scheibe steht: Hun-de-f-ri-sör!“
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