piwik no script img

Penthesilia von Nino HaratischwiliPlädoyer für Tod und Unentschieden

Autorin und Regisseurin Nino Haratischwili zeigt am Deutschen Theater Berlin eine Penthesilea zwischen Liebe und Krieg – auf Deutsch und Georgisch.

Penthesilea (Eka Nizharadze) und Alcibie (Anano Makharadze) in Nino Haratischwilis Inszenierung am Deutschen Theater Berlin Foto: Jasmin Schuller

Bei Nino Haratischwili gibt es Penthesilea zwei Mal. Almut Zilcher ist die weise, melancholische Penthesilea, die in allen Zeit­ebenen zu Hause ist. Sie weiß, was war und weiß, was werden wird. Und so schaut sie auf ihr Alter Ego, das nur in der Gegenwart lebt, mit einem Blick, der Ironie und Empathie vereint. In den ersten Minuten ist die zeitlose Penthesilea allein auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin. Almut Zilcher kauert auf dem Boden. Um sie herum weiße Stoffbahnen, die an Flügel erinnern (Kostüme: Gunnar Meyer).

Wie ein gefallener Engel wirkt sie, richtet sich auf und geht in medias res: „Sie werden gleich hier sein, dann soll ich mich in Hass üben, den ich doch längst verlernt habe.“ Ihre Kriegerinnen werden von ihr den Sieg gegen den Griechen Achill einfordern. Denn neun Jahre tobt der Krieg bereits um Troja, die Amazonen haben sich in ihn hineinziehen lassen. Aber Feldherr und Feldherrin begehren sich jetzt und nennen es Liebe.

„Unser Blut wenigstens darf sich vereinen. Töte mich. Oder ich töte dich“, endet Zilcher den Auftaktmonolog. Autorin Haratischwili führt das animalische Begehren der beiden in ein gegenseitiges Abschlachten über. Eine neue Variante im Penthesilea-Achill-Komplex: Im antiken Mythos mordet Achill die Amazonenkönigin, bei Kleist ist es umgekehrt. Haratischwili plädiert für Tod und Unentschieden.

Bei „Penthesilea: Ein Requiem“ dauert es zwei Stunden bis zum Doppelmord. Die Gunst der Zuschauer wandert zwischen den Figuren hin und her. Manuel Harders Achill gibt sich kriegsmüde, seine Herrschergesten unterlegt er mit Ironie. Seine Alphatier-Coolness wird dadurch nicht geschmälert. Das weiß er.

Sie hält die Pose der Kriegerin lange durch

Eka Nizharadzes Gegenwarts-Penthesilea hält die Pose der Kriegerin lange durch, schaut wahnsinnig streng und knickt dann ein. Nino Haratischwili hat ein zweisprachiges Stück geschrieben. Die deutsche und die georgische Sprachmelodie treffen aufeinander und laden sich gegenseitig auf. Ein sinnlicher Hinweis, dass die beiden Hauptfiguren aus ganz unterschiedlichen kulturellen Kontexten kommen.

Als Nebenfigur wird Thersites, Achills Diener, eingeführt und bekommt den wichtigsten Monolog im ganzen Stück: eine Abrechnung mit dem selbstbezogenen, verantwortungslosen und unmenschlichen Verhalten seines Chefs. Tote über Tote sind das Resultat. DT-Neuzugang Jens Koch steht an der Rampe und spricht gegen seinen Heerführer an, der ihn mit Schlägen mundtot machen will und letztendlich ersäuft. Kochs Thersites kann seine Würde nicht verlieren, denn er hat sie sich schwer errungen. Das ist die Schwingung, die im Saal ankommt.

Wecker-Ticken kündigt den Countdown an, Trommelwirbel ertönt, und dann werden vom Schnürboden dehnbare Bänder heruntergelassen. Regisseurin Haratischwili macht Harder und Nizharadze zu schwingenden Marionetten. In den Bändern hängend spielen sie fast schwerelos Begehren und Zerstörung. Minuten vorher stehen beide hinter fahrbaren Glaswänden. Sie verwischen so die Trennung zwischen Realität und Fiktion, erzählen von Illusion und erinnern gleichzeitig an Projektion (Bühne: Julia B. Nowikowa).

Zum zweiten Jahrestag des russischen Angriffskriegs in der Ukraine geht einen Penthesilea anders an als vor gut zwei Jahren. Haratischwilis energiegeladener Text fordert auf, sich zu den Figuren zu verhalten. Und er schafft es, Fragen neu zu stellen, dadurch, dass er die Figuren in ihrer ganzen Ambivalenz zulässt. Am Schluss ist Almut Zilchers Über-Ich-Penthesilea wieder allein auf der Bühne und stellt fest: „Die Toten werden zu Schatten. Und wir nehmen ihre Plätze ein.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!