Pekinger Markt als Infektionsherd: Stadtregierung „im Kriegsmodus“
Chinas Hauptstadt geht jetzt radikal gegen einen erneuten Ausbruch des Coronavirus vor. Die Behörden sehen die Schuld im Ausland.
Jener Großmarkt, der seit Samstagfrüh geschlossen ist und zuvor 80 Prozent des Pekinger Nahrungsmittelbedarfs gedeckt hat, ist zum Synonym für die erste Coronavirus-Bewährungsprobe von Chinas Hauptstadt geworden. Fast zwei Monate blieb die Metropole schließlich ohne Neuinfektionen. Nun jedoch haben die Behörden in den letzten fünf Tagen schon über 100 Fälle gemeldet, darunter allein am Dienstag 27 weitere Infektionen. Praktisch alle gehen auf den Großmarkt zurück.
Seitdem ist die Stadtregierung erneut „im Kriegsmodus“, wie sie stolz betont. Der Kampf erinnert schon in seiner Radikalität fast an die strengen Maßnahmen im März: Risikogruppen dürfen Peking nicht verlassen, einzelne Busrouten sowie Taxifahrten außerhalb des Stadtgebiets wurden unterbrochen, Wohnsiedlungen entlang des Großmarkts vollständig abgeriegelt. Im Stadtzentrum wurden gar ganze Bürotürme geschlossen, nur weil ein Angestellter den Markt lediglich besucht hat.
Um potenziell infizierte Hauptstadtbewohner so rasch wie möglich zu finden, lassen die Behörden täglich zehntausende Menschen auf das Virus testen. Beim Corona-Tracking bot die Privatwirtschaft der Regierung erstaunlicherweise Paroli: Die Betreiber der mobilen Bezahlplattformen Wechat-Pay und Ali-Pay weigern sich aus Datenschutzgründen, die Kontaktinformationen der mehreren hunderttausend Kunden des Xinfadi-Großmarkts der letzten Tage weiterzugeben.
Zugleich wird auch leise Kritik am massiven Vorgehen der Behörden deutlich. Man solle nicht zulassen, dass die neuen Maßnahmen „zu einer großflächigen oder gar nationalen Panik führen“, kommentierte etwa die staatliche Propagandazeitung Global Times: „Unser Kampf gegen Covid-19 sollte präziser sein.“ Und: „Solange noch immer viele Länder von der Epidemie betroffen sind, ist es unmöglich für China, das Virus vollständig auszurotten.“
Bezeichnend ist, dass staatliche Medien und die Regierung bei jeder Möglichkeit betonen, dass der Virusstrang nicht derselbe wie noch vor Monaten in Wuhan sei, sondern mit ziemlicher Sicherheit aus Europa stammt. „Es ist von außerhalb Chinas nach Peking gebracht. Das Virus könnte aus Europa kommen, oder vielleicht den Vereinigten Staaten oder von Russland“, sagt Wu Zunyou von Chinas Zentrum für Seuchenschutz im staatlichen Fernsehsender CGTN. Bei der Virusbekämpfung hat die Regierung wiederholt die Bedrohung von „außen“ betont, um die eigenen Fehler zu übertünchen.
So auch beim jetzigen Ausbruch in Peking: Bereits am Wochenende meldeten die Behörden, dass der Erreger auf dem Großmarkt Xinfadi auf einem Schneidebrett nachgewiesen wurde, auf dem ausländischer Lachs filetiert wurde. Seither sind die Aktienkurse einiger norwegischer Lachszüchter eingebrochen.
Laxer Umgang mit Lachs?
Damit wird norwegischer Lachs in China zum zweiten Mal politisiert: Bereits 2010, als der damals im chinesischen Gefängnis sitzende Menschenrechtsaktivist Liu Xiaobo in Oslo den Nobelpreis verliehen bekam, stellte die Volksrepublik als wirtschaftliche Vergeltung die Fischimporte aus Norwegen ein.
Die neue Infektionswelle in Peking stellt indirekt die Strategie der Regierung infrage. Denn Chinas Virusbekämpfung war anders als in Europa: Die Kurve wurde nicht abgeflacht, sondern praktisch auf null runtergebracht – mit massiven wirtschaftlichen Kosten. Doch jetzt zeigt sich, dass auch China nicht virusfrei bleiben kann, solange der Erreger nicht weltweit eingedämmt wird. Zumal die Bereitschaft der Bevölkerung merklich gesunken ist, die Maßnahmen vom Frühjahr noch einmal mitzutragen.
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