piwik no script img

Pekinger Markt als InfektionsherdStadtregierung „im Kriegsmodus“

Chinas Hauptstadt geht jetzt radikal gegen einen erneuten Ausbruch des Coronavirus vor. Die Behörden sehen die Schuld im Ausland.

Die Pekinger Polizei riegelt ganze Wohngebiete ab Foto: Mark Schiefelbein/ap

PEKING taz | Wer den Tiantang-Markt im Pekinger Chaoyang-Bezirk betreten möchte, muss eine Wärmebildkamera auf Augenhöhe passieren. Dann öffnet sich dem Kunden eine hell ausgeleuchtete Halle, die nichts mit den gängigen Vorurteilen gegenüber asiatischen Marktplätzen gemein hat: Tropische Früchte liegen sorgfältig in Plastik verpackt, Nudelgarküchen werden von Köchen mit Gesichtsmasken und Hauben betrieben. Die reichhaltige Fleischtheke ist durchgehend gekühlt. An der Kasse bedient eine junge Frau in grüner Schürze, die versichert, dass die Bestände von Gemüse und Fleisch auch die nächsten Tage und Wochen gesichert seien: „Schließlich werden wir nicht vom Xinfadi-Großmarkt beliefert.“

Jener Großmarkt, der seit Samstagfrüh geschlossen ist und zuvor 80 Prozent des Pekinger Nahrungsmittelbedarfs gedeckt hat, ist zum Synonym für die erste Coronavirus-Bewährungsprobe von Chinas Hauptstadt geworden. Fast zwei Monate blieb die Metropole schließlich ohne Neuinfektionen. Nun jedoch haben die Behörden in den letzten fünf Tagen schon über 100 Fälle gemeldet, darunter allein am Dienstag 27 weitere Infektionen. Praktisch alle gehen auf den Großmarkt zurück.

Seitdem ist die Stadtregierung erneut „im Kriegsmodus“, wie sie stolz betont. Der Kampf erinnert schon in seiner Radikalität fast an die strengen Maßnahmen im März: Risikogruppen dürfen Peking nicht verlassen, einzelne Busrouten sowie Taxifahrten außerhalb des Stadtgebiets wurden unterbrochen, Wohnsiedlungen entlang des Großmarkts vollständig abgeriegelt. Im Stadtzentrum wurden gar ganze Bürotürme geschlossen, nur weil ein Angestellter den Markt lediglich besucht hat.

Um potenziell infizierte Hauptstadtbewohner so rasch wie möglich zu finden, lassen die Behörden täglich zehntausende Menschen auf das Virus testen. Beim Corona-Tracking bot die Privatwirtschaft der Regierung erstaunlicherweise Paroli: Die Betreiber der mobilen Bezahlplattformen Wechat-Pay und Ali-Pay weigern sich aus Datenschutzgründen, die Kontaktinformationen der mehreren hunderttausend Kunden des Xinfadi-Großmarkts der letzten Tage weiterzugeben.

ArbeiterInnen eines Desinfektionsteams im Einsatz in der Nähe eine Marktes in Peking Foto: Chen Zhonghao/imago

Zugleich wird auch leise Kritik am massiven Vorgehen der Behörden deutlich. Man solle nicht zulassen, dass die neuen Maßnahmen „zu einer großflächigen oder gar nationalen Panik führen“, kommentierte etwa die staatliche Propagandazeitung Global Times: „Unser Kampf gegen Covid-19 sollte präziser sein.“ Und: „Solange noch immer viele Länder von der Epidemie betroffen sind, ist es unmöglich für China, das Virus vollständig auszurotten.“

Bezeichnend ist, dass staatliche Medien und die Regierung bei jeder Möglichkeit betonen, dass der Virusstrang nicht derselbe wie noch vor Monaten in Wuhan sei, sondern mit ziemlicher Sicherheit aus Europa stammt. „Es ist von außerhalb Chinas nach Peking gebracht. Das Virus könnte aus Europa kommen, oder vielleicht den Vereinigten Staaten oder von Russland“, sagt Wu Zunyou von Chinas Zentrum für Seuchenschutz im staatlichen Fernsehsender CGTN. Bei der Virusbekämpfung hat die Regierung wiederholt die Bedrohung von „außen“ betont, um die eigenen Fehler zu übertünchen.

So auch beim jetzigen Ausbruch in Peking: Bereits am Wochenende meldeten die Behörden, dass der Erreger auf dem Großmarkt Xinfadi auf einem Schneidebrett nachgewiesen wurde, auf dem ausländischer Lachs filetiert wurde. Seither sind die Aktienkurse einiger norwegischer Lachszüchter eingebrochen.

Laxer Umgang mit Lachs?

Damit wird norwegischer Lachs in China zum zweiten Mal politisiert: Bereits 2010, als der damals im chinesischen Gefängnis sitzende Menschenrechtsaktivist Liu Xiaobo in Oslo den Nobelpreis verliehen bekam, stellte die Volksrepublik als wirtschaftliche Vergeltung die Fischimporte aus Norwegen ein.

Die neue Infektionswelle in Peking stellt indirekt die Strategie der Regierung infrage. Denn Chinas Virusbekämpfung war anders als in Europa: Die Kurve wurde nicht abgeflacht, sondern praktisch auf null runtergebracht – mit massiven wirtschaftlichen Kosten. Doch jetzt zeigt sich, dass auch China nicht virusfrei bleiben kann, solange der Erreger nicht weltweit eingedämmt wird. Zumal die Bereitschaft der Bevölkerung merklich gesunken ist, die Maßnahmen vom Frühjahr noch einmal mitzutragen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare