Peking nach dem Coronavirus: Virus-Witze, bis die Polizei kommt

In Pekings Kneipen feiern die Gäste wieder ausgelassen. Doch Bier bekommen nur jene, die sich ihre Körpertemperatur messen lassen.

Vier Menschen an einem Tisch im Restaurant, die von einem Kellner bedient werden

Wer bereit ist, vor dem Restaurant einen QR-Code zu scannen, kann in Peking wieder ausgehen Foto: Carlos Garcia Rawlins/reuters

PEKING taz | Die Scheinwerfer zeigen auf die Bühne, als Tony, ein Endzwanziger in rotem Shirt, zum Mikrofon greift. 50 Gäste, ein Mix aus abgehalfterten Englischlehrern, jungen Chinesinnen in schicker Kleidung und Volkswagen-Expats beim Feierabendbier, schauen erwartungsvoll auf den Amateur-Komiker. „Früher dachte ich, sämtliche Spezies erwachen stets dünner aus dem Winterschlaf“, sagt der US-Amerikaner leicht nervös und nach einer Kunstpause: „Spätestens seit Ende des Lockdowns weiß ich: Der Mensch gehört nicht dazu.“

Das skeptische Publikum goutiert die Pointe kaum, also legt Tony mit einem Schenkelklopfer nach: „Wir hatten heute nur 17 neue Virusfälle! Nur 17! Oder wie es übersetzt in chinesische Statistiken heißt: 2 neue Fälle“.

Bei der Stand-up-Nacht im Paddy O’Shea’s, einem Irish Pub beim Pekinger Botschaftsviertel, kreisen zwar die Pointen über das Coronavirus. Doch scheint die Pandemie hier so weit entfernt wie derzeit wohl an nur wenigen Orten der Welt.

Ob die vertäfelten Wände, die Fußball-Schals britischer Clubs an der Decke oder die Menschentraube, die am Tresen auf Fassbier und Whisky wartet: Alles deutet auf eine Normalität hin, die in Chinas Hauptstadt längst wieder eingekehrt ist.

Bier nur gegen Scan, Temperatur, Handy- und Passnummer

Nur die Kellnerin am Eingang, die von jedem Gast die Körpertemperatur misst, Handynummer und Passdaten notiert, erinnert daran, welche Jahrhunderttragödie zu Jahresbeginn in China ihren Ausgang genommen hat.

„Vom normalen Umsatz sind wir noch weit entfernt“, murrt der Besitzer des „Paddy’s“, ein Franzose Mitte vierzig mit Bierbauch. Ob er sich nicht glücklich schätze, derzeit in Peking zu sein? „Wir mussten immerhin niemals schließen“, sagt er.

Der Staat habe zudem die Steuern gesenkt und die Sozial­abgabenpflicht gestrichen. Überleben werde man, so viel sei sicher. Die undurchsichtigen Regeln der chinesischen Bürokratie ­hingegen frustrieren den Gastronomen jedoch sichtlich: „Das ist China. Wenn etwas heute o. k. ist, kann morgen schon jemand kommen und dir sagen, das ist verboten.“

Nach nun einem Monat ohne Covid-19-Neuinfektion hat auch Pekings Gastronomie das Gröbste der Viruskrise hinter sich gelassen. Im Ausgehviertel Sanlitun konsumieren die Jungen und Gutbetuchten wieder wie zuvor: Vorm Kleidungsriesen Uniqlo wartet eine Menschentraube auf Einlass und durch die Gassen flanieren Pärchen in neonfarbenen Turnschuhen und kurzen Röcken.

Wieder volle Kneipen

„Bei den meisten Restaurants muss ich zwar einen QR-Code scannen, aber eigentlich sehen die meisten Läden die Regeln mittlerweile recht locker“, sagt die taiwanesische Kollegin beim Freitagabendbier, während sie ihr Fahrrad entlang der Lokale in Jidianyuan schiebt, einem früheren Fabrikgelände mit heute belgischen Craft-Beer-Kneipen und Dachterrassen-Bars.

Die Lokale sind alle voll. Doch kommt niemand rein, der sich nicht zunächst mit seinem Smartphone registriert, einen QR-Code scannt und an drei Checkpoints mit schwarzuniformierten Nachbarschaftswächtern seine Körpertemperatur misst.

Im Paddy O’Shea’s erinnert um 22.42 Uhr eine Patroullie aus vier Polizisten in blauen Hemden daran, dass der Normalzustand noch weit entfernt ist. „Ist das eine angemeldete Veranstaltung?“, möchte ein Beamter von einer Kellnerin wissen.

Polizeivorladung bei zu geringem Abstand der Kneipentische

Sein Kollege schießt mit dem Smartphone Fotos; wohl um sie seinem Vorgesetzten weiterzuleiten. Die Polizisten sind freundlich, doch ihr Urteil ist streng: Der Abend ist beendet, die Abstände der Tische sind zu gering.

Der französische Besitzer, der am nächsten Tag auf die Polizeiwache vorgeladen wird, nimmt es gelassen. Er weiß, dass in gut einer Woche der Nationale Volkskongress in Peking tagt; eines der wichtigsten politischen Ereignisse des Landes. Der Wirt will bis dahin nicht erneut in den Fokus der Behörden gelangen.

Schon einmal hatten diese einen Polizisten eine Woche lang jeden Abend zur Inspektion in den Pub abkommandiert. „Wir müssen jetzt aufhören, weil … nun ja, es ist Corona“, sagt ein Mitarbeiter noch ins Mikrofon. Die Gäste erheben sich enttäuscht. „Bitte vergesst nicht eure Maske zu tragen.“

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Seit 2019 China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Arbeitete zuvor fünf Jahre lang als freier Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.

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