Pegida und Anti-Pegida: Dresdner Interventionen
Hier nahm Pegida ihren Anfang. Warum tun sich die Dresdner so schwer, ihr etwas entgegenzusetzen? Erkundungen in der linken Szene.
Bald darauf hat Riedel in einem Ledersessel im ersten Obergeschoss eines Cafés in der Neustadt Platz genommen. Unten trifft sich die Alternativ- und Hipsterszene, doch oben sitzt fast niemand, hier fühlt Riedel sich sicher. Außerdem kann er hier rauchen, eine nach der anderen.
Die Pegida-Bewegung hat er von Anfang an beobachtet. Sieben, acht Stunden täglich sitzt der Endzwanziger vor dem Computer, liest und speichert alles Relevante, was die rechten Gruppierungen in ihren sozialen Netzwerken verbreiten. Seine Erkenntnisse veröffentlicht Riedel auf der Facebook-Seite Pegida#watch, zu deren Administratoren er gehört – 50.000 Nutzer folgen.
Nach einem ganzen Jahr, in dem er sich in die Strukturen der rechten Szene vertieft, in dem er nahezu jeden Aufmarsch besucht hat, ist er für seine Gegner immer noch ein Unbekannter. Und er hat großes Interesse daran, dass das so bleibt. Daher ist Riedel auch nicht sein richtiger Name.
Der große Frust
Seit Mitte Oktober des vergangenen Jahres gehen die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) auf die Straße. Die linke Szene brauchte drei, vier Wochen, um zu reagieren. Dann fanden jeden Montag Gegenproteste statt. Im Dezember 2014 gelang es mehr als 1.000 Aktivisten, eine Pegida-Demonstration zu blockieren. Doch Pegida ließ sich nicht stoppen, sie machte – erfolgreich – weiter. Im April entschied das Bündnis „Dresden Nazifrei“, die wöchentlichen Proteste einzustellen. Seitdem sind die rechten Aufmärsche ohne vernehmbaren Widerspruch geblieben. Warum?
„Frustrierend“ sei es gewesen, Woche für Woche nichts zu erreichen, sagt Riedel. Einige Pegida-Gegner hätten wohl insgeheim die Hoffnung gehegt, dass sich die rechten Spaziergänger ohne Gegenprotest zu Tode langweilen. Dies sei, meint Riedel, „voll in die Hose gegangen“. Während sich die Akteure in Leipzig durchgängig Gegenprotesten ausgesetzt sahen, seien die Dresdner immer selbstbewusster geworden, weil sie sich völlig ungestört durch die Stadt bewegen konnten. „Sie reden schon von Machtübernahme“, sagt Felix Riedel, „und das spiegelt sich auch auf den Straßen wider.“
Ein Anti-Pegida-Aktivist
Seit Deutschland bewusst Flüchtlinge aufnimmt, hat sich die Stimmung in Dresden und den kleineren Ortschaften im Umland deutlich verschlechtert. Freital, Heidenau, täglich finden Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte statt. Pegida sei von einer „Erweckungsbewegung“ zu einer „Ermächtigungsbewegung“ geworden, konstatiert Riedel. Bei seiner Analyse gerät er nicht einen Moment ins Stocken; er versteckt sich nicht hinter dem soziologischen Vokabular – man merkt, er weiß genau, wovon er spricht.
„An verschiedenen Ecken regt sich aber jetzt Widerstand“, sagt Riedel hoffnungsfroh. Auch ihm, der das ganze Jahr dabeigeblieben ist, reicht es schon längst nicht mehr, volksverhetzende Sprüche oder die Vergangenheit von Pegida-Gründer Lutz Bachmann aufzudecken.
Der Spendenlauf
Das andere, so oft schweigende Dresden bewegt sich an diesem Sonntag im Großen Garten. 3.500 Menschen joggen, radeln oder skaten eine sechs Kilometer lange Runde um den Park. Volksfestatmosphäre. Für den Spendenlauf „Run and Roll“ hat jeder von ihnen 10 Euro Startgebühr entrichtet. Davon wird die Uniklinik der TU Dresden eine Stelle finanzieren, durch die eine schnelle medizinische Versorgung für Flüchtlinge sichergestellt werden soll. Organisiert hat das Ganze das Netzwerk „Dresden für alle“.
Eric Hattke, ein Sprecher der Initiative, strahlt über das ganze Gesicht, als die letzten Läufer die Startlinie überquert haben. „Ich habe ein Jahr lang mein normales Leben ausgesetzt: Studium, Familie, Freunde“, sagt der 23-Jährige, der mit seinen blonden Locken, den bartlosen weichen Gesichtszügen und einer Zahnspange deutlich jünger aussieht. In dieser Zeit hat das Netzwerk, das gute Kontakte zur Stadtpolitik hat, viel auf die Beine gestellt. Ein großes Gastmahl für Flüchtlinge haben sie organisiert, Konzerte, Unterstützung in den Erstaufnahmeeinrichtungen und anfänglich auch Proteste gegen Pegida.
Hattke ist keiner, der sich den Nazis und aggressiven Bürgern an vorderster Front entgegenstellt. Dennoch wird er bedroht, seine Familie versucht man einzuschüchtern. Kürzlich hat jemand unter seinem Namen die Polizei angerufen und erzählt, er habe seine Freundin umgebracht. Daraufhin rückten Polizisten bei ihm zu Hause an. Schnell kommt Hattke auf etwas anderes zu sprechen, überhaupt wägt er seine Sätze sorgfältig ab. „Zeichen setzen reicht schon lange nicht mehr“, sagt er. Er möchte die nichtrechte Mehrheit der Dresdner organisieren, „konstruktive Dinge schaffen“. An diesem Tag sieht man, sein Wort hat Gewicht; viele Dresdner wollen etwas tun.
Silvio Lang hält einen kurzen Moment inne, womöglich überrascht von der Frage, ob er sich den Pegida-Aufmarsch am Abend angucken werde. Dann findet der Sprecher des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ seine Sprache wieder und sagt entschieden: „Nein! Die kennen ja mein Gesicht. Den Gefallen werde ich ihnen nicht tun.“ Seit 2011 steht Lang öffentlich für den Versuch ein, Naziaufmärsche in Dresden durch Massenblockaden zu verhindern. Der einst größte Aufmarsch, der jährlich am Jahrestag der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 stattfand, ist seit 2012 nach drei erfolgreichen Blockaden endgültig Geschichte.
Knappe Ressourcen
In Übigau, im Nordwesten der Stadt, will er sich ein Bild von jenen Anwohnern machen, die seit Tagen den Eingang zu einer Sporthalle besetzt halten, um den Einzug von Flüchtlingen zu verhindern. Doch ein Blick aus dem Auto muss Lang genügen. Näher an die skurrile Szenerie, bestehend aus einem Dutzend Gestalten, die auf Hockern in Schwarz-Rot-Gold Präsenz zeigen, will er nicht heran. Die Polizei ist nicht vor Ort, dafür kam Oberbürgermeister Dirk Hilbert schon zum Dialog. Sächsische Verhältnisse.
Nachmittags sitzt Silvio Lang auf der Elbwiese. Er trägt eine Mütze mit allerlei Buttons mit durchgestrichenen Hakenkreuzen, der Aufschrift „Dresden stellt sich quer“, dazu Sonnenbrille und ein schwarzes Halstuch. Das Protestbündnis „Dresden nazifrei“ reicht von autonomen Antifagruppen bis hin zu kirchlichen Kreisen; der harte Kern besteht aus etwa 30 Ehrenamtlichen. Die Ressourcen sind knapp, berichtet er: Als man sich entschied, nicht mehr auf die Straße zu gehen, war bereits viel Geld verbraucht und das Blockadekonzept gescheitert.
„Jetzt hat Pegida wieder so ein Ausmaß angenommen, dass wir nicht mehr zugucken können“, sagt Lang. Zum Jahrestag am 19. Oktober – vor einem Jahr fand die erste Pegida-Versammlung statt – ruft sein Bündnis erstmals wieder zu Protesten auf. „Herz statt Hetze“ heißt die Kampagne, die Tausende auf die Straße bringen will. Auch Hattkes Netzwerk hat sich ihr angeschlossen. Nach wenigen Tagen haben sich auf Facebook schon mehr als 4.000 Menschen angemeldet. Vier Demonstrationszüge sind geplant, Busse aus Leipzig und Berlin organisiert. Vielleicht wird es sogar zu einer Blockade reichen.
„Dresden Nazifrei“ habe hinsichtlich der Gedenkpolitik der Stadt rund um das Bombardement von Dresden viel erreicht, sagt Lang. „Aber Pegida hat den Erfolg wieder zunichtegemacht.“ Auch er ist sich sicher, dass eine Eskalation unmittelbar bevorsteht. „Hier laufen trockene Heuballen durch die Straßen. Da muss nur noch jemand ein Streichholz reinwerfen.“ Lang berichtet von Pegida-Anhängern um die Ex-AfD-Frau Tatjana Festerling, die kürzlich versucht haben sollen, Waffenscheine zu erwerben. „Bis Ende des Jahres reden wir hier über Tote.“
Ewiger Opfermythos
Ist das Alarmismus? Viele, die sich in Dresden gegen Pegida engagieren, sagen momentan solche Sätze. Einige gehen noch weiter und befürchten bürgerkriegsähnliche Zustände. Sie sagen das ganz nüchtern.
Aber warum zeigt sich gerade in Dresden so offen die Fremdenfeindlichkeit? Lang hält einige Antworten dafür bereit: DDR-Vergangenheit ohne Ausländer; 25 Jahre CDU-Herrschaft in Sachsen; eine Polizei, die keinen Willen zur Strafverfolgung zeigt; soziale Probleme; die Frustration der einst staatstragenden bürgerlichen Eliten, die in der Bundesrepublik nicht richtig mitgestalten dürfen. Dresdens ewiger Opfermythos.
Am Montagabend füllen etwa 8.000 Menschen den Neumarkt. Junge sportliche Männer, zurechtgemachte ältere Damen und viele, die zur Wendezeit ihre Jugend gerade hinter sich hatten. Hunderte Fahnen wehen in der Abenddämmerung, immer wieder schallt es „Volksverräter“ und „Widerstand“ durch die Menge. Lutz Bachmann steht auf der Ladefläche eines Lasters und redet sich in Rage. Am Wochenende wurde bekannt, dass eine Klage wegen Volksverhetzung gegen den Pegida-Begründer läuft. „Hört zu, ihr ganzen links-grün-faschistischen Spinner“, keilt er aus, „ihr werdet auch mich nicht mundtot machen.“ Die Menge johlt.
Es wäre der ideale Moment für Felix Riedels Intervention. Doch nichts passiert. Nicht in diesem Moment und auch nicht bei der zweiten Rede des Abends. Das Transparent hat sich verheddert.
„Dann machen wir das eben ein anderes Mal“, sagt Riedel unverzagt. Er steht am Rande der Zugstrecke. Etwa 300 Menschen sind ganz spontan zur ersten Anti-Pegida-Kundgebung seit April gekommen.Die Zeit, in der Pegida das Feld in Dresden kampflos überlassen wurde, ist vorbei.
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