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Parteitag der Linken„Wir müssen Leuten Fragen beantworten können“

Beim Parteitag der Linken in Chemnitz fordert die neue Bundestagsabgeordnete Maren Kaminski aus Hannover mehr Debatten – auch zu heiklen Themen.

Erfolg macht glücklich: Die Linke gibt sich ungewohnt harmonisch Foto: Hendrik Schmidt/dpa
Lotte Laloire
Interview von Lotte Laloire

taz: Beim Parteitag der Linken wurde kaum debattiert. Wieso nicht?

Kaminski: Ich glaube, das liegt noch an der Euphorie aus der Wahl. Und das ist auch völlig in Ordnung. Aber wir dürfen nicht verkennen, dass jetzt die tiefgründige Arbeit anfangen sollte. In Niedersachsen haben wir nächstes Jahr Kommunalwahlen und allein für Hannover reden wir über 600 Leute, die auf Listen kandidieren. Einen Wahlkampf gewinnst Du nicht mit Schlagworten, wir müssen Leuten Fragen beantworten können.

Im Bundestagswahlkampf wurden alte Konflikte zurückgestellt und der war erfolgreich.

Ja, das klappt vielleicht eine gewisse Zeit, aber irgendwann brechen die wieder durch. Dann muss man die Debatte führen. Jetzt, wo der ganze Wagenknecht-Flügel endlich weg ist, werden wir eine deutlich bessere Debattenkultur haben.

Im Interview: Maren Kaminski

Maren Kaminski, Jahrgang 1979, ist Sozialwissenschaftlerin und war früher als Gewerkschaftssekretärin bei der GEW tätig. Für die Linke war sie bereits im Bundesvorstand und Landesgeschäftsführerin von Niedersachsen. Jetzt ist sie erstmals in den Bundestag eingezogen.

Auch beim Nahost-Konflikt?

Bei diesem Thema kommt es auf eine gute Vorbereitung an. Da muss man tolle und vor allem gegensätzliche Referentinnen zusammenholen – und sich gewisse Dinge einfach erst einmal anhören. Nur dann kann das schwarz-weiß-Denken überwunden werden. Dabei gibt es unverhandelbare Grundsätze, wie das Existenzrecht Israels und dass wir jeden Antisemitismus verurteilen.

Am Samstagnachmittag stimmte eine Mehrheit der Delegierten in Chemnitz für die umstrittene Antisemitismus-Definition entsprechend der Jerusalem Deklaration. Parteichef Jan van Aken hatte sich unter Verweis auf die wissenschaftliche Forschung dagegen ausgesprochen.

Auslöser des Krieges war der terroristische Überfall der Hamas auf Israel. Gleichzeitig verurteile ich die israelische Kriegsführung in Gaza. Netanjahu führt eine knallrechte Regierung an, da gibt es nichts schönzureden. Dass dieser Antrag angenommen wurde, halte ich für einen Fehler, wir hatten in Halle auf dem Parteitag einen guten Kompromiss zum Thema Nahost gefunden. Der ist dadurch infrage gestellt. Wir müssen uns als Partei keiner dieser Definitionen anschließen, wir sollten dazu in der Debatte bleiben. Dass wir über Definitionen, über die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen seit Jahren streiten, auf einem Parteitag in einer Viertelstunde entscheiden, ist der Komplexität des Themas nicht angemessen.

Mehr Einigkeit herrscht unter Linken bei der Forderung nach einem AfD-Verbot. Der Verfassungsschutz (VS), der auch Sie persönlich als Linken-Politikerin früher überwacht hat, hat diese kürzlich als rechtsextremistisch eingestuft. Heidi Reichinnek hat das in ihrer Eröffnungsrede beim Parteitag erwähnt. Wie finden Sie, wenn Linke sich auf den VS beziehen?

Dass die AfD rechtsextrem ist, muss uns nicht erst der VS sagen. Den lehne ich rundweg ab. Immer, wenn der rechtsterroristische NSU gemordet hat, war der Verfassungsschutz mit im Raum. Dann mit dem VS zu argumentieren, ist natürlich widersprüchlich. Auch das NPD-Verbot ist ja am VS gescheitert, weil nicht klar war, wo die Arbeit der Nazis aufhört und die des Geheimdienstes anfängt.

Die Linke hat viele neue Mitglieder, aber hier sehe ich kaum welche. Das liegt daran, dass sie noch keine Delegierten sind, oder?

Doch, teilweise schon. Bei uns aus Niedersachsen sind einige zum zweiten Mal dabei, zum Beispiel weil wir nachgewählt haben, als Leute ausgeschieden sind, gerade die vom BSW.

Wie finden Sie, dass einige BSWler jetzt wieder bei der Linken angekrochen kommen?

Oh, da bin ich sehr skeptisch. Da muss man gut aufpassen. Es gibt viele, die sich wegen des Misserfolges des BSW ärgern, dass sie von uns weggegangen sind. Das sind bei uns komischerweise auch nur Männer. Die allermeisten von denen möchte ich hier einfach nie wieder sehen.

Machen Ihnen die vielen Neuen auch Angst?

Ja, weil viele mit einer großen Hoffnung kommen. Bei uns im Kreisverband sind wir von knapp 500 auf mehr als 1.700 angewachsen. Aber das Parteileben ist oft auch sehr starr. Rituale, wie Parteitage, sind vielen Neuen sehr fremd. Und ich habe etwas Sorge, dass manche von frustriert sein könnten, wenn es ihnen nicht schnell genug geht, aber das hat eben auch mit Demokratie zu tun, die braucht Zeit.

Im Leitantrag steht: „Die Linke muss sich auch strukturell erneuern“. Was könnte die Partei dafür konkret tun?

Wir sollten die Methoden aus dem Wahlkampf auf Dauer weitermachen: Haustürgespräche, Infostände, Campaigning. Denn der Vorwurf, Parteien sähe man immer nur im Wahlkampf, ist ja richtig.

Was ist beim Parteitag an struktureller Erneuerung rumgekommen?

Nichts. Zumindest nicht im Sinne von Änderungen an der Satzung.

Was wollen Sie im Bundestag künftig für eine Aufgabe übernehmen?

Ich werde vermutlich Mitglied in diesem Riesenausschuss für Bildung, Familie, Frauen, Senioren und Jugend. Die Bildung hat die Regierung ja zerhackt und in zwei Ressorts verteilt. Jedenfalls möchte ich mich für ein globales Recht auf Bildung einsetzen, also im Bereich der Entwicklungspolitik. Bildung ist in den vielen Kriegs- und Krisengebieten gefährdet, gerade für Mädchen und Frauen. USAID wurde abgeschafft – das ist mit das Bitterste, was für den globalen Süden passieren konnte. Reiche Länder wie wir sollten das kompensieren. Das ist nicht nur eine Frage der Solidarität, soziale Sicherheit ist auch eine Bedingung für Frieden und Stabilität.

Wie wollen Sie diese Bundesregierung davon überzeugen?

Das wird natürlich schwierig. Ich wundere mich ohnehin, dass sie das Entwicklungsministerium beibehalten, aber ich begrüße das sehr. Wie viel Geld es zur Verfügung haben wird, ist eine andere Frage.

Wie war denn das Ankommen im Bundestag für Sie?

Ach, ich habe mich total geärgert. Schon im April hätte es eine Sitzungswoche geben sollen, die haben sie wieder weggekegelt. Das fand ich schon frech. Das ist Arbeitsverweigerung. Der Bundestag kann auch tagen, ohne dass eine Regierung steht. Ich bin ungeduldig, dass es endlich losgeht.

Darf man auch radikalere Ansätze als Ausschussarbeit von Ihnen erwarten?

In Hannover möchte ich zum Beispiel eine Kampagne zur Enteignung eines riesigen Gebäudekomplexes starten. Da gab es mehrere Eigentümerwechsel und das Ding ist über die Jahre immer mehr verfallen. Jetzt gehört es dem Investor Windhorst. Der sollte enteignet werden, da das öffentliche Interesse eindeutig Vorrang hat. Für sowas wie Autobahnen wird ja auch andauernd enteignet. Sinnvoller wäre das meiner Meinung nach, um dringend benötigte Schulen zu bauen.

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1 Kommentar

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  • Tja, wer immer nur nörgelt, bekommt eben auch keine Kommentare.