Parteitag der Grünen in Münster: Immer noch ein bisschen rebellisch
Die Grünen, jetzt ist es offiziell, werden im Bundestagswahlkampf 2017 für die Vermögensteuer kämpfen – ein Risiko.
Hofreiter wird immer wieder von lautem Applaus unterbrochen. Eine Delegierte mit buntem Schal nickt heftig. Die Debatte, in der Hofreiter spricht, ist der Höhepunkt des Parteitages in Münster, der noch bis Sonntag dauert. Von ihr verspricht sich die Grünen-Spitze die Versöhnung zerstrittener Fraktionen, endlich soll die Ökopartei ihren Endlosstreit über die richtige Steuerpolitik beenden.
Eine gute Stunde später steht Hofreiter wieder auf der Bühne, neben ihm die beiden Frauen, die mit ihm den entscheidenden Antrag geschrieben hatten – seine Co-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. Eine deutliche Mehrheit. Hofreiter klatscht Haßelmann ab, legt einen Arm um Göring-Eckardt. Die Grünen, jetzt ist es offiziell, werden im Bundestagswahlkampf 2017 für die Vermögensteuer kämpfen.
Dabei geht es nicht nur um trockene Zahlen, sondern auch um Grundsätzliches. Sollen sehr Vermögende mehr Geld für die Infrastruktur des Staates zahlen? Wo beginnt Reichtum? Wie mutig sind die Grünen noch, wenn Gegenwind zu erwarten ist?
Nach siebeneinhalb Stunden Debatte und fast 50 Reden an diesem Samstag ist man geneigt zu sagen: Tatsächlich, ein bisschen Rebellentum steckt noch in den Grünen. Die Partei, die sich jüngst erstaunlich biegsam zeigte, etwa bei ihrem Ja bei mehreren Asylrechtsverschärfungen, geht mit der Vermögensteuer ein Risiko ein. Mächtige Wirtschaftsverbände lehnen sie ab, für Union und FDP ist sie des Teufels, der Wahlkampf 2017 dürfte heiß werden.
Für Hofreiter aber ist dies ein wichtiger Sieg. Wenn sich wenige Superreiche immer mehr besetzen und sich in eine Parallelwelt zurückziehen, gefährdet das die Demokratie – so sieht er das. Hofreiter will im Bundestagswahlkampf Spitzenkandidat werden und kämpft in der Urwahl gegen seine Konkurrenten Cem Özdemir und Robert Habeck. Während der Bayer sich früh klar in der Steuerfrage positionierte, hielten sich Özdemir und Habeck bedeckt.
Kretschmann, der starke Mann aus Baden-Württemberg
Für einen weiteren wichtigen Grünen ist das Votum eine Niederlage. Als Winfried Kretschmann mittags ans Mikrofon tritt, wird es ruhig in der Halle. Kameraleute eilen nach vorne und kabbeln sich um den besten Platz. Kretschmann, der starke Mann aus Baden-Württemberg, ist ein entschiedener Gegner der Vermögensteuer, er wirbt seit Langem für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs. In Baden-Württemberg haben viele Familienunternehmen ihren Sitz, die gegen die Steuer kämpfen.
Kretschmann redet ruhig und eindringlich, wie immer schnarrt die Stimme etwas. Der Mittelstand sei die stärkste Säule gegen das Raubtiervermögen, sagt er. Nur mit einer guten Eigenkapitalausstattung könnten deutsche Unternehmen im Wettbewerb mit Firmen aus China oder den USA konkurrieren. „Als Ministerpräsident habe ich die Verantwortung dafür, dass sich baden-württembergische Unternehmen gut am Markt bewähren.“
Dann bringt Kretschmann die Steuerpolitik mit dem Aufstieg der Rechtspopulisten in Verbindung. Schon bei einer guten Wirtschaftslage, sagt er, liege die AfD in seinem Land bei 15 Prozent. „Was passiert, wenn wir in die Arbeitslosigkeit rutschen? Das will ich mir nicht vorstellen.“
Totenstille im Saal, viele verblüffte Gesichter. Der Verzicht auf eine Vermögensteuer schützt vor den Rechten? Diesen Gedanken muss man nicht teilen. Als Kretschmann fertig ist, bekommt er trotzdem viel Applaus. Die Delegierten aus Baden-Württemberg stehen demonstrativ auf, Ödzemir, der ebenfalls aus Baden-Württemberg kommt, federt von der Bühne herunter in die erste Stuhlreihe, wo Kretschmann einen Schuss Wasser nimmt – und gratuliert. Seine Co-Chefin Simone Peter, die zuvor vehement für die Steuer geworben hatte, bleibt mit unbewegter Miene sitzen.
Szenen einer Ehe
Die Grünen und die Steuerpolitik, das wirkt manchmal wie der Filmklassiker „Szenen einer Ehe“. Nach außen soll alles möglichst harmonisch wirken, doch die Beziehung ist längst zerrüttet. Viele Delegierte klatschen nicht für Kretschmann, einer verschränkt demonstrativ die Arme.
Wenig später darf Jürgen Trittin reden, ehemals Fraktionschef und seit jeher ein Gegenspieler des Oberrealos. Er war 2013 der wichtigste Grüne, in einem heute allgemein als zu links und zahlenlastig empfundenen Wahlkampfes. Trittin hatte Glück, weil er für einen gelosten Redebeitrag gezogen wurde, und er nutzt die wenigen Minuten für einen Frontalangriff.
Eine Busladung voller Milliardäre besitze so viel wie die Hälfte der Menschheit, ruft er. „Deutschland ist ein Steuersumpf für Vermögen.“ Gemessen an anderen Industriestaaten nehme Deutschland nur die Hälfte der Steuern auf Vermögen ein. Das Ganze habe auch nichts mit der Gefährdung des Mittelstandes zu tun, sagt Trittin. Vor 25 Jahren hätten Firmen noch ein Viertel ihrer Gewinne investiert, seit zehn Jahren nur noch 10 Prozent – die Ausschüttungen seien aber gestiegen.
Bedürfnis nach klarer Kante
Trittin gewinnt die Delegierten sofort für sich. Immer wieder muss er kurz stoppen, weil der Applaus zu laut wird. Am Ende steht der halbe Saal und jubelt. Es wirkt, als habe da jemand das Ventil eines Dampfdrucktopfes geöffnet. Die Grünen-Basis hat offensichtlich ein riesiges Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und klarer Kante.
Kretschmann hat die Grünen immer wieder verstört. Er schloss ein Bündnis mit der Linkspartei aus, obwohl sich die Bundesspitze sich jenes offen halten will. Er lobte die klassische Ehe und wandte sich gegen zu viel Political Correctness. Und er gestand öffentlich, dass er sich eine neue Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel wünsche. Die Vermögensteuer wird auf diesem Parteitag auch zum Symbol gegen die Dominanz von Kretschmann.
Wie verhärtet die Fronten sind, zeigte auch das hochkomplexe Abstimmungsverfahren. Keiner war im Vorfeld bereit, auch nur einen Millimeter nachzugeben. Die Parteiflügel besprachen ihre Strategie zuvor in internen Treffen. Und Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer und fürs Antragsmanagment zuständig, flüchtete sich am Samstagmorgen in Galgenhumor. Was war bei den Geheimtreffen los, Herr Kellner? „Diese Infos würden Sie verunsichern.“
Am Ende müssen sich die Delegierten durch fingerdicke Papierstapel fräsen. Allein bei der Frage, ob eine Erbschafts- oder eine Vermögensteuer sinnvoller sei, stehen fünf Varianten zur Abstimmung, die mit Rede, Gegenrede und Stimmungsbild abgestimmt werden. Der linkeste Vorschlag forderte beides, der wirtschaftsfreundlichste stammte von wichtigen Realos aus dem Südwesten – initiiert hatten ihn auch Minister aus dem Kabinett Kretschmann. Die Grünen sind, kurz gesagt, ganz bei sich selbst.
Viele Grüne empfinden bei dem Steuerbeschluss ein bisschen Genugtuung. Der Haushälter Sven-Christian Kindler läuft mit einem breiten Lächeln durch die Flure. „Großartiges Ergebnis“, sagt er im Vorbeigehen. „Sehr starkes Signal im Kampf gegen die Ungleichheit.“
Reform des Ehegattensplittings
Man täte den Grünen aber Unrecht, würde man die Debatte nur auf die Vermögensteuer verengen. So beschlossen die Delegierten zum Beispiel auch eine Reform des Ehegattensplittings. Verheiratete Gutverdiener, deren PartnerInnen wenig verdienen, bekommen vom Staat Steuernachlässe. Diese Subvention wird von den Grünen seit Langem kritisiert, weil sie Frauen dazu verleitet, zu Hause die Kinder zu hüten.
Für neu geschlossene Ehen wollen die Grünen diese Subvention abschaffen. Für bereits geschlossene Ehen soll allerdings alles bleiben, wie es ist. Das ist ein wichtiger Unterschied zu dem Wahlkampf 2013, in dem die Grünen Bestandsehen so weit gehenden Schutz nicht gewähren wollten. Diese Rosskur kam auch in grünen Milieus eher schlecht an. Außerdem beschlossen die Delegierten Maßnahmen gegen Kinderarmut. „Es geht in erster Linie darum, dass wir Kinder fördern, Kinderarmut bekämpfen wollen“, sagte Göring-Eckardt.
In einem wichtigen Punkt überstimmte die Basis den Vorstand. Überraschend bekam ein Antrag des NRW-Landesvorsitzenden Sven Lehmann eine Mehrheit, der die komplette Abschaffung der Hartz IV-Sanktionen fordert. Insbesondere gehe es um Sanktionen für Menschen unter 25 Jahren und um Kosten der Unterkunft und Heizung, heißt es in dem Beschluss.
Die große Frage aber ist, ob der Westfälische Frieden der Grünen den Parteitag überdauert. Die Bundesspitze wirbt wegen des anstehenden Bundestagswahljahres für Geschlossenheit, sie will sich Bündnisse mit der Union und der Linkspartei offenhalten. Der Vermögensteuer war zu einer Chiffre für strategische Fragen geworden – ihre Fans bevorzugen Rot-Rot-Grün, ihre Gegner Schwarz-Grün.
Die interessante Frage lautet deshalb: Werden alle Grünen, Kretschmann und seine Leute inklusive, den Beschluss des Parteitags akzeptieren? Oder werden sich alle weiter über Sinn oder Unsinn einer Vermögensteuer streiten? Die Einschätzungen gehen auseinander. Manche hoffen, dass der demokratische Beschluss die Leidenschaft der Streithähne einhegt. Andere sind davon überzeugt, dass die nächste öffentliche Kritik von Grünen an der Vermögensteuer nur eine Frage der Zeit ist.
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