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Parteitag der CDU im HochsauerlandkreisDer Merz im Schafspelz

Sein Heimatverband im Sauerland nominiert den Oppositionsführer zum Bundestags-Direktkandidaten. Der versucht, möglichst wenige Wäh­le­r:in­nen zu verschrecken.

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz bei seiner Nominierung als CDU-Direktkandidat für den Bundestagswahlkreis Hochsauerlandkreis Foto: Christoph Reichwein/dpa

Schmallenberg taz | Im Kampf um das Bundeskanzleramt hat Unions-Kandidat Friedrich Merz weiter Rückenwind: Ein kleiner Parteitag seines CDU-Heimatverbands hat den 69-Jährigen am Samstagvormittag beinahe einstimmig Bundestagsdirektkandidaten des tiefschwarzen Hochsauerlandkreises gewählt. Von 270 anwesenden Delegierten unterstützten 266 für den derzeitigen Oppositionsführer im Bundestag. Mit Nein stimmte nur ein CDU-Mitglied. zwei weitere enthielten sich, eine Stimme wurde nicht abgeben. Einen Gegenkandidaten hatte Merz allerdings nicht.

„So ein Ergebnis hatte ich noch nie“, freute sich der Herausforderer von Bundeskanzler Olaf Scholz trotzdem nach seiner Wahl in der CDU-Hochburg, die er bereits bei der Bundestagswahl 2021 mit mehr als 40 Prozent gewonnen hat. Den zum überwältigenden Teil männlichen und oft grauhaarigen Delegierten versprach er, vor Ort mit dem Slogan „Mehr Sauerland für Deutschland“ in den Wahlkampf ziehen. Zuvor hatte er bei der Versammlung in dem nicht einmal 25.000 Ein­woh­ne­r:in­nen zählen Städtchen Schmallenberg, wo die nächste Autobahn mehr als 30 Kilometer entfernt ist und wo das Radio in den Tälern selbst starke Sender verliert, eine für seine Verhältnisse bemerkenswert zurückhaltende Rede gehalten.

Auf persönliche Ausfälle wie zuletzt beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen CDU Ende September in Münster, wo Merz versucht hatte, den grünen Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck als „Kinderbuchautor“ lächerlich zu machen, verzichtete er in Schmallenberg vollständig. Auch die Aufregung um das „D-Day“-Papier der Liberalen war ihm keine einzige Bemerkung wert: Das Wort „FDP“ nahm der Christdemokrat ebenso wenig in den Mund wie den Namen seines immer noch denkbaren Koalitionspartners Christian Lindner.

Inhaltlich versuchte der Kanzlerkandidat dagegen, zumindest oberflächlich eine Art Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Ganz offensichtlich will Merz möglichst wenige Wäh­le­r:in­nen verschrecken:

Hatte er bei seiner vorherigen Nominierung zum Bundestags-Direktkandidaten 2021 noch vor zu viel Klimaschutz gewarnt und populistisch gelästert, in der Nationalhymne solle der Begriff „Vaterland“ wohl bald durch das Wort „Mutterland“ ersetzt werden, bekannte sich Merz am Samstag grundsätzlich zu alternativen Energien wie der Windkraft.

Allerdings: Einen „Wildwuchs von Windkraft-Anlagen“ wolle er in seinem Hochsauerlandkreis nicht, schränkte er ein. Auch von einem Comeback der Atomkraft redete Merz nicht.

Stattdessen versprach er, auch mit ihm werde es keine Rentenkürzungen geben. Das „Setting der SPD“, Olaf Scholz als „Friedenskanzler“ zu präsentieren und mit einem „Schwerpunkt auf die Rentenpolitik“ gegen ihn Wahlkampf zu machen, werde nicht funktionieren. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hatte zuvor erklärt, die Weigerung von CDU und CSU, das Rentenniveau gesetzlich festzuschreiben, komme einer faktischen Rentenkürzung gleich – und von einem „Taschenspielertrick von Merz“ gesprochen.

Allerdings: Das von der Ampel eingeführte Bürgergeld gehöre in die „Mottenkiste der Sozialpolitik“, erklärte der Merz auch. Zwar wolle die Union jedem helfen, „der Hilfe braucht“ – allerdings müssten „1,7 Millionen Bürgergeld-Empfänger ermutigt werden, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren“. Ob das die Ausweitung des Niedriglohnsektors oder eine Beschränkung des Mindestlohns bedeuten soll, ließ Merz dagegen offen.

Auch die Grünen ging der Sauerländer hart an. Deren Vorzeigeprojekte „Wärmepumpe und Elektromobilität“ zeigten beispielhaft, „wie grüne Politik die Wirtschaft in die Rezession treibt“. Seine faktisch kaum umsetzbare Forderung nach der Reduzierung „illegaler“ Mi­gran­t:in­nen durch „Zurückweisung“ an den insgesamt knapp 3.900 Kilometern langen deutschen Außengrenzen wiederholte Merz ebenso wie seinen Dauerbrenner Bürokratieabbau.

Gleichzeitig räumte Merz ein, sich außenpolitisch bei der Bewertung Putins „geirrt“ zu haben – der Krieg in der Ukraine habe schon 2014 begonnen. „Wenn wir uns nochmals irren, steht nicht nur unser Wohlstand, sondern auch unsere Freiheit und unser Bild der Demokratie auf dem Spiel“, warnte er – und stilisierte sich zu einer Art Retter der Bundesrepublik: Wenn die nächste Regierung, die natürlich er selbst anführen will, nicht liefere, „werden 2029 die Populisten von links und rechts die Macht übernehmen.“

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1 Kommentar

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  • Ein bißchen realitätsfern ist er schon, oder? Wo bitteschön sind die deutschen Außengrenzen so gut befestigt, daß Migranten freiwillig wegbleiben? Wenn man sie auf der Straße erwischt und "abweist", kommen sie ein paar hundert Meter durch den Wald wieder.

    Und dann das Bürgergeld ... 1,7 Mio Haushaltshilfen für das Haus Merz? Da werden die Bezüge als Kanzler nicht ganz reichen. Wo die Leute nicht gebraucht werden oder nicht zu gebrauchen sind, werden sie nicht eingestellt, auch wenn der Staat die Personalkosten zu 100 Prozent erstatten würde. Man kann Merz nur viel Erfolg wünschen, falls er abseits jeglicher altbekannten statistischen Tricks und schwarzen Löcher die Vermittlungsquote der Jobcenter von den derzeitigen drei oder fünf auf fünfzig Prozent oder mehr steigern will.