Parlamentswahlen in Pakistan: Terror verhindert Wahlkampf
Hunderte Menschen in Pakistan sind im Vorfeld der Wahlen Opfer einer Taliban-Terrorkampagne geworden. Ob religiös-konservativen Kräfte davon profitieren, bleibt offen.
PESHAWER taz | Unzählige Parteiflaggen hängen über den engen Straßen des alten Stadtviertels von Peshawar. Wahlplakate kleben an den staubigen Häuserfassaden. Doch von der Partei, die hier ihre Stammwähler hat, ist auch wenige Tage vor der Parlamentswahl am Samstag kaum etwas zu sehen. Das einzige Wahlkampfbüro der Awami National Party (ANP) liegt versteckt zwischen Wohnhäusern.
Ein paar rote Flaggen über der schmalen Gasse und ein Plakat deuten auf das kleine Büro hin, das leer steht. ANP-Sprecher Zahid Khan sagt, seine Politiker wagten sich tagsüber nicht mehr aus dem Haus. Die säkulare Paschtunen-Partei, die hier auch die Provinzregierung führt, stellt sich offen gegen die Taliban. Sie hat seit Beginn des Wahlkampfs viele Mitglieder und Kandidaten bei Terroranschlägen verloren.
Über 200 Menschen sind seit Jahresbeginn bei Anschlägen auf Wahlkampfbüros und Kandidaten getötet worden. Mehr als 600 wurden verletzt, darunter oft unschuldige Zivilisten. Die pakistanischen Taliban haben besonders die bisher regierende Volkspartei (PPP) und ihre Koalitionspartner Muttahida Qaumi Movement (MQM) und ANP im Visier, denn sie gelten als weltlich und unterstützen den Kampf der Armee gegen die Taliban.
Am Donnerstag wurde der kandidierende Sohn von Ex-Premier Yousuf Raza Gilani bei einer Wahlveranstaltung entführt. Die Taliban sind gegen die Wahlen und warnen, nicht an die Urne zu gehen. „Wir können unseren Wahlkampf nicht mehr betreiben. Wie kann man so für Wahlen kandidieren?“, sagt Khan von der ANP.
Zweite Zivilregierung
Die Parlamentswahl am Samstag ist ein Meilenstein für Pakistans zerbrechliche Demokratie. Denn erstmals in der 66-jährigen Geschichte des Landes hat eine gewählte zivile Regierung ihre volle Amtszeit beendet und soll durch eine neue Zivilregierung abgelöst werden. Bisher wurden Regierungen entweder vom Militär entmachtet oder durch Korruptionsvorwürfe zum Rücktritt gezwungen.
Offen ist, wie viele der 86 Millionen registrierten Wähler am Samstag aus Angst vor Anschlägen zu Hause bleiben werden. Ein Großaufgebot von Militär und Polizei soll die 69.000 Wahllokale sichern. Die Lage ist so instabil, dass internationale Wahlbeobachter viele Landesteile meiden.
Favoritin im Rennen um die 272 Sitze, die per Mehrheitswahl vergeben werden, ist die oppositionelle konservative Muslimliga (PML-N) von Nawaz Sharif. Er war in den 90er Jahren schon zweimal Premierminister. Sharif gelobt wirtschaftliche Besserung, ein Ende der Energiekrise und Arbeitsbeschaffung. Beobachter erwarten nicht, dass die PML-N allein die Mehrheit gewinnt. Sie würde zur Regierungsbildung auf mehrere kleine Parteien angewiesen sein, darunter die religiös-konservativen.
Der PML-N droht vor allem in ihrem Stammland, der Provinz Punjab, ernsthafte Konkurrenz vom Ex-Cricket-Star Imran Khan. Mit seiner Partei „Bewegung für Gerechtigkeit“ (Pakistan Tehrek-e-Insaf – PTI) mischt er den traditionellen Machtkampf zwischen den Clans der Bhuttos und der Sharifs auf. Khan ist außer Sharif einer der wenigen Politiker, die noch große Wahlkundgebungen abhalten. Doch seine Auftritte wurden gestoppt, nachdem er am Dienstag bei einer Kundgebung in Lahore von einer Hebebühne stürzte und sich an Kopf und Rücken verletzte. Der Unfall könnte seiner Partei Sympathiestimmen zutragen. PTI gilt als drittstärkste Kraft, könnte aber für eine Überraschung sorgen.
Antiamerikanismus und Religiosität
Khan und seine Partei profitiert vom Frust vieler Bürger über die herrschende Elite, die das Land heruntergewirtschaftet und sich schamlos bereichert hat. Viele junge Leute aus der urbanen Mittelschicht sehen in Khan einen Hoffnungsträger für Wandel. Er verspricht ein Ende der umstrittenen US-Drohnenangriffe, will die Reichen zum Steuerzahlen zwingen, die Korruption beenden und mit den Taliban verhandeln. Khan bedient sich geschickt des Antiamerikanismus und der Religiosität.
Beobachter erwarten, dass die PPP für ihre miserable Regierungsbilanz abgestraft wird. Die von Präsident Asif Ali Zardari geführte Partei hatte die letzte Parlamentswahl 2008 dank einer Sympathiewelle kurz nach der Ermordung seiner Frau und Expremierministerin Benazir Bhutto gewonnen. Seitdem ist der als äußerst korrupt geltende Präsident sehr unbeliebt geworden. Die Regierung unternahm nichts gegen die Energiekrise, die zu Stromausfällen von bis zu 18 Stunden am Tag führt. Die Wirtschaft steht am Abgrund. Die hohe Arbeitslosigkeit und steigende Lebensmittel- und Benzinpreise machen der Bevölkerung schwer zu schaffen.
Die neue Regierung hat einen äußerst schwierigen Job. Ihr Handlungsspielraum wird weiterhin durch die mächtige Armee begrenzt sein. Die Militärführung hält sich zwar bei diesen Wahlen zurück. Doch wird sie auch weiterhin über Außen- und Sicherheitspolitik entscheiden.
Anschlag in Taliban Hochburg
Einen Tag vor der Parlamentswahl in Pakistan sind bei einem Anschlag vier Menschen getötet worden. 15 weitere wurden verletzt, als die Bombe am Freitag auf dem Basar von Miranshah in Nord-Waziristan explodierte, wie Sicherheitsbeamte erklärten. Einige der Verletzten befinden sich nach Angaben von Krankenhausmitarbeitern in Lebensgefahr. Nord-Waziristan gilt als Hochburg der radikalislamischen Taliban und des Terrornetzwerks Al-Qaida.
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