Parlamentswahlen in Indien: Kommunisten in der Krise
Im Bundesstaat Kerala setzten sich bei den letzten Landtagswahlen die Kommunisten durch. Auf nationaler Ebene ringen sie um Anerkennung.
Die 67-Jährige tritt an diesem Freitag in Kerala bei der zweiten von sieben Abstimmungsrunden der indischen Parlamentswahlen für die CPI(M), der Communist Party of India – Marxist, an. Zwischen 2016 und 2021 war sie Gesundheitsministerin in Kerala. Dann wurde sie dort erneut ins Landesparlament gewählt und hofft nun auf einen der 543 Sitze im Unterhaus des Parlaments in Delhi.
Dieser Artikel wurde möglich durch die finanzielle Unterstützung des Recherchefonds Ausland e.V. Sie können den Recherchefonds durch eine Spende oder Mitgliedschaft fördern.
Kerala ist einer der wenigen Orte weltweit, wo Kommunisten noch von demokratischen Wahlsiegen träumen können. Doch trotz der Siege bei den Wahlen 2019 und 2021, seitdem sie Keralas Regierung stellen, müssen sie jetzt um den Wiedereinzug ins nationale Parlament bangen. Größte Konkurrentin ist ausgerechnet die linksliberale Kongresspartei, die heute vor allem in Südindien, anders als im Norden, eine politische Kraft ist.
So gleicht Shailajas Wahlkampf dem vieler anderer in Kerala: Hier steht die von der CPI(M) geführte Linke Demokratische Front (LDF) der von der Kongresspartei geführten Vereinigten Demokratischen Front (UDF) gegenüber. Dritte Kraft ist in Kerala die auf nationaler Ebene regierende hindunationalistische Volkspartei BJP unter Premierminister Narendra Modi. Bisher in diesem Bundesstaat aber ohne nennenswerten Erfolg.
Ungewöhnlich hoher Minderheitenanteil
In Kerala, das kleiner ist als die Schweiz, stellen Hindus mit 55 Prozent nur eine knappe Mehrheit der 33 Millionen Einwohner, neben 27 Prozent Muslimen und 18 Prozent Christen. Ein für Indien ungewöhnlich hoher Minderheitenanteil, der bisher der Kongresspartei zugute kam, die als landesweit größte Oppositionspartei das Gegenstück zur rechten BJP darstellt.
„2019 wurde propagiert, dass Rahul Gandhi [von der Kongresspartei] Premierminister wird“, sagt Shailaja der taz. Das sei der Grund, warum die CPI(M) bei den letzten Parlamentswahlen kläglich abgeschnitten habe. Die Wähler:innen wollten eine weitere BJP-Regierungszeit verhindern: „Die Menschen fürchten sich vor der BJP-Führung, da diese fundamentalistisch und gegen den Säkularismus ist“, so Shailaja. Doch bescherte Nordindien mit seiner großen Hindu-Mehrheit der BJP einen Erdrutschsieg. In Kerala dagegen gewann damals die Vereinigte Demokratische Front 19 der 20 Sitze. Nur ein Mandat ging an die CPI(M).
„Unser Land darf nicht weiter so kapitalistisch regiert werden“, sagt Shailaja. „In Indien gibt es viele Millionäre, aber mehr als 60 Prozent der Menschen können ihre Lebensbedingungen nicht verbessern.“ In Kerala regiert die Linke seit 1957 im Wechsel mit der Kongresspartei: „Wir haben Gesetze erlassen, um das Leben der Armen zu verbessern, ein sozialistisches Planungsmodell“, sagt sie. Deshalb sei auch der Entwicklungsindex in Kerala hoch. Dort gebe es „smarte Klassenzimmer auch in ländlichen Regionen“. Die Bewältigung etwa des Nipahvirus oder der Coronapandemie habe den „kommunistischen Traum“ bestätigt, schreibt sie in ihrer Biografie.
Weltgrößte Wahlen Vom 19. April bis 1. Juni wird im bevölkerungsreichsten Land der Welt in sieben Etappen ein neues Parlament gewählt. 497 Mio. Männer und 471 Mio. Frauen sind wahlberechtigt. Die zweite Etappe ist diesen Freitag, u. a. in Kerala.
Narendra Modi regiert Indien seit 2014 und kämpft jetzt um seine dritte Amtszeit. Der 73-Jährige modernisierte Indiens Infrastruktur, beschnitt aber auch Bürgerrechte. Zuletzt gerieten Oppositionspolitiker:innen in den Fokus von als parteipolitisch motiviert wahrgenommenen Gerichtsverfahren. So sind die Konten des Kongress, der größten Oppositionspartei, seit Januar gesperrt.
Kerala hat aufgrund der progressiven Politik der hier traditionell starken Kommunisten mit die besten Sozialdaten und höchste Alphabetisierungsrate Indiens. Während sich die von der CPI(M) geführte Linksfront in Kerala oft mit der Kongresspartei an der Regierung ablöste, wurde sie in Westbengalen sieben Mal hintereinander demokratisch wiedergewählt und führte dort 1977 bis 2011 die Regierung: Weltrekord für demokratisch gewählte Kommunisten.
Konkurrenz von der Kongresspartei
Vom Parlamentssitz in Delhi muss sie aber noch träumen. Denn ihr steht ein starker Konkurrent der Kongresspartei gegenüber: Shafi Parambil, ebenfalls Abgeordneter im Landesparlament, hat schon den BJP-Kandidaten lokal besiegt. Shailaja wird es gegen den 41-jährigen Parambil schwer haben. Der muslimische Politiker ist insbesondere unter den muslimischen Wähler:innen populär. Wie bei „Teacher“ kamen auch zu seiner Kundgebung viele Frauen, die ihn bei einem Auftritt am Strand feierten, als wäre er schon Sieger. „Wir brauchen eine säkulare demokratische Regierung, wir brauchen Rahul Gandhi, um diese Nation zu führen“, sagt er der taz. Die Bevölkerung bedauere, 2021 die Kommunisten gewählt zu haben.
Parambil teilt auch gegen Premierminister Modi von der BJP aus. „Ich brauche uneingeschränkte Unterstützung“, bittet er seine Anhänger. Dabei hofft er auch auf Stimmen der Inder:innen, die in den Golfstaaten arbeiten und extra zur Wahl anreisen. Die Diaspora-Organisation Kerala Muslim Cultural Centre (KMCC) will 10.000 ihrer Mitglieder zur Wahl einfliegen lassen. Dabei war der Wahlkreis Vadakara bis 2009 Kommunisten-Hochburg, doch seither konnte ihn die CPI(M) nicht zurückgewinnen.
Kommunismus in Kerala hat lange Geschichte
Die Wurzeln des Kommunismus in Kerala liegen im Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft, gegen das Kastensystem und im Engagement für eine Landreform. Der Kommunismus wurde für viele Teil ihrer Identität. In den 1970er und 1980er Jahren war es nicht ungewöhnlich, dass Eltern ihre Kinder „Stalin“ oder „Pravda“ nannten. Einst waren Indiens kommunistische Parteien in den Bundesstaaten Westbengalen, Kerala und Tripura am stärksten. Doch war der Kommunismus in Indien früher wesentlich populärer.
Der heutige Star der Kommunisten, Generalsekretär Sitaram Yechury, kommt aus diesen „goldenen Zeiten“. Er spricht in Keralas Hauptstadt Thiruvananthapuram (Trivandrum) bei Gluthitze zu einer großen Menschenmenge. Dabei greift er die BJP wie auch die Kongress-Partei an. Zwar gehören CPI(M) und Kongress zum breiten Oppositionsbündnis INDIA (Indian National Developmental Inclusive Alliance). Yechury argumentiert aber, dass die BJP nur durch das direkte Gegenüberstellen der kommunistischen Linken und der vom Kongress geführten Koalition in Schach gehalten werden kann.
Besonders wettert Yechury gegen die BJP-Regierung in Delhi. Durch die Privatisierung des öffentlichen Sektors werde der nationale Reichtum Modi-nahen Unternehmen zur Verfügung gestellt, sagt er. Hinzu komme Modis hindunationalistischer Kurs. „Wir haben keine Angst vor Verhaftungen. Die Ängstlichen haben die Kongresspartei verlassen und sind zur BJP übergelaufen“, ruft Yechury.
Auch Parvathi, eine junge Juristin und Mitglied der CPI(M), ist zur Kundgebung gekommen. Sie ist besorgt über die von der BJP verkündeten Reformen wie das Staatsbürgerschaftsgesetz CAA, durch das sich Muslime benachteiligt fühlen. Sie hofft, dass die Kommunisten über Kerala hinaus wieder stärker werden.
Präsent ist ihre Partei auch auf dem Campus des Universitätskrankenhauses in der Landeshauptstadt. Mitglieder der Jugendorganisation verteilen dort kostenlose Mahlzeiten an Patienten und ihre Angehörigen. Hier sind die Linken nah an der Realität der ärmeren Bevölkerung.
Kampf um Indiens politische Richtung
Was man vom Kongress-Abgeordneten Shashi Tharoor nicht unbedingt sagen kann. „Diese Wahl ist in vielerlei Hinsicht ein Kampf für Indien“, sagt der frühere Top-Diplomat Tharoor der taz. „Wir erwarten von den Menschen eine klare Antwort auf die Frage, ob sie den bisherigen Weg weitergehen wollen. Der bedeutet ein gewisses Maß an Autokratie, einen starken Hindunationalismus und einen gewissen Missbrauch der nationalen Ermittlungsbehörden wie auch die Unterdrückung der Opposition.“
Allerdings hat Tharoors Kongress auch in Kerala organisatorische Probleme, obwohl die Partei landesweit präsent ist. Die CPI(M) ist nur ein wichtiger Akteur in Kerala. Die BJP kämpft derweil darum, sich zu etablieren, sagt Professor G. Gopa Kumar. Er leitete einst die Abteilung für Politikwissenschaft an der Uni Kerala. Die CPI(M) hofft dort jetzt auf fünf, sechs Parlamentssitze. „Doch mehr als zwei werden sie wohl nicht bekommen“, sagt er der taz.
Die CPI(M) sei auf nationaler Ebene nicht mehr wichtig. Anders noch bei den Landtagswahlen in Kerala: „Die Regierung erhielt viel Anerkennung für ihr effektives Krisenmanagement während der Pandemie und der Überschwemmungen“, sagt Kumar. Bis 2022 gab es kaum Korruptionsvorwürfe gegen ihre Regierung. Doch jetzt sei das positive Image verblasst. Zudem sei die konventionelle Linke stark geschrumpft, habe sich neoliberaler Politik angepasst. Indiens Linke steckt seit Jahren in der Krise, die CPI (M) hat viele Sitze verloren und im Mehrheitswahlsystem kaum noch Chancen. Insgesamt halbierte sich die Zahl der Sitze der CPI (M) und der konkurrierenden kommunistischen Partei Indiens (CPI) von zehn auf fünf. 2004 hatte die linke Partei noch insgesamt 43 Sitze beziehungsweise fünf Prozent der Mandate.
Kerala ist jetzt der einzige Bundesstaat, in dem die CPI (M) die Regierung stellt. Viele Wähler:innen sehen in ihr keine Alternative mehr. Dabei spielt auch das schlechte Image der Naxaliten, Indiens bewaffnet kämpfenden Maoisten, eine Rolle. Einst haben sie mit Sprengstoffanschlägen versucht, Wahlen zu verhindern. Der letztlich zu Sozialdemokraten mutierten CPI(M) droht außerhalb Keralas der Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Trotzdem gibt „Teacher“ nicht auf. „In Delhi kann ich mich für Säkularismus einsetzen und dafür, dass Kerala einen fairen Anteil seiner gezahlten Steuern zurückbekommt, der uns jetzt verweigert wird.“
Mitarbeit: K.S. Ashik
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe