Parlamentswahlen in Frankreich: Alles andere als salonfähig
Bei den Parlamentswahlen sind unter den Kandidaten von Rassemblement National Rassisten, Antisemiten – und eine frühere Geiselnehmerin.
Annie Bell ist dank mehr als 30 Prozent der Stimmen in ihrem Wahlkreis für die Stichwahl qualifiziert, obwohl sie in ihrem westfranzösischen Wohnort Ernée so gut wie nie als Kandidatin aufgetreten ist. Vielleicht hat sie sich mit gutem Grund nicht allzu sehr in den Vordergrund gestellt: Denn die Bürgermeisterin erinnert sich, dass diese Frau wegen einer Geiselnahme, bei der sie 1995 im Rathaus einen Schuss in die Decke gefeuert hatte, zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt worden war. RN-Vizepräsident Louis Aliot meinte dazu ziemlich genervt, die Partei könne ja nicht das Vorstrafenregister aller Kandidaten überprüfen.
Auch Paule Veyre de Soras tritt, in einem anderen Wahlkreis desselben Departements, zur zweiten Wahlrunde an. Auf die Frage eines Reporters eines Lokalblatts zur Fremdenfeindlichkeit des RN meinte sie nach einigem Überlegen, das sei „total falsch“. Ihr Beweis: „Ich habe einen Juden als Augenarzt, einen Muslim als Zahnarzt!“ Zu diesem fast klassischen Gegenargument der Rassisten meinte RN-Sprecherin Laure Lavalette, das sei gewiss „sehr ungeschickt“ gewesen, aber die Kandidatin habe halt keinerlei Erfahrung im Umgang mit Journalisten.
Etwas zu schnell nominiert wurde wohl auch Thierry Mosca, ein RN-Kandidat im Département Jura, der ebenfalls mit mehr als 32 Prozent zur zweiten Runde zugelassen ist. Er ist aber aus administrativen Gründen gar nicht wählbar, weil er unter Kuratel steht. Und noch vor wenigen Wochen musste die Justiz ein Strafverfahren gegen ihn wegen einer verminderten Zurechnungsfähigkeit einstellen. Falls er gewählt werden sollte, kann er sein Amt nicht antreten.
Ludivine Daoudi musste ihre Kandidatur für die Stichwahl wegen eines online publizierten Fotos zurückziehen, auf dem sie stolz eine Uniformmütze mit Hakenkreuz trägt. Als bloß „geschmacklosen“ Scherz wollte das der lokale RN-Delegierte abtun. Doch für Marine Le Pen hatte diese Ex-Kandidatin in der Normandie eine „rote Linie“ der Verhaltensregeln überschritten. Louis-Joseph Pécher ist als Mitglied der konservativen Partei Les Républicains vom RN nominiert worden. Diese Unterstützung wurde ihm entzogen, weil er unter einem Pseudonym auf X seinem Judenhass und antiarabischen Rassismus freien Lauf gelassen hatte. Für die Stichwahl will er trotzdem antreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen