Parlamentswahl in Spanien: Kann man in Spanien noch urlauben?
Aus der Wahl am Sonntag könnte eine Regierung mit der rechtsextremen Vox hervorgehen. Wie es dazu kommen konnte – und was die Partei vorhat.
1. Warum gibt es überhaupt Neuwahlen in Spanien?
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat die Parlamentswahlen von Dezember auf Juli vorgezogen, nachdem seine sozialistische PSOE bei den Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai herbe Verluste hinnehmen musste. Die konservative Partido Popular (PP) von Alberto Núñez Feijóo, der jetzt gegen Sánchez antritt, gewann fünf Regionen hinzu. In diesen autonomen Regionen – vergleichbar mit einem deutschen Bundesland – paktiert die PP mit der rechtsextremen Vox unter Santiago Abascal. Außerdem regieren die beiden Parteien in über 100 Gemeinden gemeinsam. Erste Maßnahmen dort: Verbot der LGTBI-Fahne an öffentlichen Gebäuden, Abschaffung der Programme gegen Gewalt gegen Frauen, die Vox ebenso leugnet wie den Klimawandel. Mit den vorgezogenen Neuwahlen tritt Sánchez die Flucht nach vorn an. Er hofft, das fortschrittliche Lager mobilisieren zu können, indem er immer wieder vor der Gefahr einer Rechts-rechtsaußen-Regierung warnt.
2. Die Koalition aus Sozialisten und Linksalternativen hat einiges vorzuweisen, oder?
Die Linkskoalition hat während der Covid-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine den Sozialstaat in Spanien ausgebaut wie nie zuvor. Der Mindestlohn stieg um rund 50 Prozent, die Renten wurden angehoben, der Kündigungsschutz erweitert, ein Mieterschutz sowie Krisenhilfen für Selbstständige eingeführt. Ein Kurzarbeitsprogramm rettete Unternehmen und Beschäftigte in der Tourismusbranche über die Covid-Krise hinweg. Dank einer Energiepreispolitik, die Sánchez gemeinsam mit seinem portugiesischen Amtskollegen in Brüssel durchsetzte, stiegen die Strompreise auch weniger als im restlichen Europa. Die Inflationsrate sank. Auch beim Thema sexuelle Minderheiten ist Spanien ein Vorreiter – etwa mit einem Gesetz, das die Änderung des Geschlechts für Transgender erleichtert.
3. Was waren jetzt die Themen im Wahlkampf?
PP und Vox haben nur ein Thema, den sogenannten Sánchismus. Seit Sánchez 2018 erstmals per Misstrauensvotum an die Macht kam und damit die PP in die Opposition verwies, spricht die Rechte von einer „illegitimen Regierung“, die das Land zerstöre. Sie meint damit nicht nur das Bündnis der Sozialisten mit Linksalternativen und Postkommunisten, sondern auch die parlamentarische Unterstützung durch die „Feinde Spaniens“, – Parteien aus dem Baskenland und Katalonien. „ETA lebt und ist an der Macht“, heißt etwa ein Slogan. Feijóo und Abascal meinen damit die Unterstützung, die Sánchez durch die baskische EH Bildu im Parlament genießt. Das Bündnis EH Bildu tritt für die Unabhängigkeit des Baskenlandes ein und umfasst unter anderem das politische Umfeld der vor über zehn Jahren aufgelösten bewaffneten Separatistenorganisation ETA.
4. Was will die rechtsextreme Vox?
Vox vertritt, wie einst die Franco-Diktatur, das „große und einheitliche Spanien“. Die Regionen sollen abgeschafft werden, Spanien wieder ein zentralistisches, monokulturelles Land sein. Damit würden etwa die Basken und Katalanen ihre Eigenständigkeit, also das Recht auf eigene Sprache und eigene Verwaltung, verlieren. Die ultrakatholische Vox, die die offene Unterstützung eines Teils der Kirche genießt, will das Recht auf Abtreibung sowie alle Gesetze, „die spalten“, abschaffen. Gemeint sind Frauenrechte, Rechte für sexuelle Minderheiten und die Erinnerung an die Opfer des Faschismus. Vox sieht sich als Vertreter derer, die den Bürgerkrieg gegen Republik und Demokratie in den 1930er Jahren gewannen und die Diktatur bis 1975 aufrechterhielten. Abascal verteidigt die spanischen Traditionen, den Stierkampf, die Jagd und natürlich echte Männlichkeit.
5. Gibt es eine Abgrenzung der demokratischen Parteien zu den Rechtsextremen?
Alle Parteien sprechen sich klar gegen Vox aus – bis auf Feijóos PP. Diese will, daran lässt sie keinen Zweifel, mit Vox eine Koalition eingehen, sollte dies nötig sein. Vox-Chef Abascal kommt ursprünglich aus der PP, und bei den Konservativen gibt es viele, die an die gleichen politischen Ideen glauben wie er. Einziger Unterschied: Die PP gibt sich gemäßigt, um auch von der Mitte gewählt zu werden. Die Bündnisse der PP mit Vox auf kommunaler und regionaler Ebene haben dazu geführt, dass viele andere Parteien erklärt haben, auf keinen Fall mit der PP zusammengehen zu wollen. Das bedeutet: Wenn PP und Vox zusammen nicht die absolute Mehrheit erreichen, werden sie wohl kaum regieren können.
6. Welche Folgen hätte ein Sieg der Rechten für die EU?
Polen, Ungarn,Finnland, Italien … Spanien wäre ein weiteres Land in der EU, das an die extreme Rechte geht. Frankreich ist ein Wackelkandidat und selbst in Deutschland wird die AfD immer stärker. Es wäre ein schwerer Schlag für die Demokratie, weniger als ein Jahr vor den Europawahlen.
7. Und was würde das für den Separatismus bedeuten?
Abascal droht dieser Tage ganz offen. Er werde keinen Augenblick zögern, wenn es darum gehe, gegen Basken und Katalanen hart durchzugreifen, sollten sie versuchen ihre Unabhängigkeit zu erlangen. Auf die Frage, ob sich mit ihm in der Regierung die Lage in Katalonien erneut zuspitzen werde, antwortet er: „Daran habe ich keinen Zweifel!“ Spaniens Rechte lebt vom Spiel mit dem spanisch-nationalistischen Feuer. Sánchez hatte die Lage in Katalonien erst beruhigt, indem er etwa die politischen Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, die nach dem Referendum zu hohen Haftstrafen verurteilt worden waren, begnadigte.
8. Kann man dann noch in Spanien Urlaub machen?
Kommt darauf an, wie sehr man sich entspannen will. Vox zog im Mai 2019 erstmals ins Parlament ein und wurde bei der Wahlwiederholung Ende des Jahres drittstärkste Kraft. Seitdem nimmt die Zahl der Aggressionen gegen Menschen zu, die nicht ins heterosexuelle Schema passen. Bei einer Umfrage des spanischen Verbands der Lesben, Schwulen, Transsexuellen und Bisexuellen (FELGTB) gaben 33 Prozent der Befragten an, dass die Gewalt gegen sie zugenommen habe. Das wird sich mit der Regierungsbeteiligung von Vox sicher nicht verbessern. Und Spanien hat noch ein zweites Problem: Die Rekordtemperaturen machen einen Urlaub dort immer weniger attraktiv – und die spanische Rechte leugnet den Klimawandel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen