Parlamentswahl in Italien: Das Märchen von den sauberen Listen
Die politischen Lager haben sich sortiert. In den Umfragen liegt das linke Lager noch vorn, aber die Berlusconi-Allianz gewinnt an Zuspruch. Es könnte eng werden.
ROM taz | Noch vor wenigen Wochen schien alles auf einen Wahlsieg der Linken bei den italienischen Parlamentswahlen am 24./25. Februar hinauszulaufen, doch mittlerweile ist das Rennen wieder einigermaßen offen, denn gleich fünf politische Lager konkurrieren um die Parlamentssitze, und Silvio Berlusconis Rechte legt bei den Meinungsumfragen kontinuierlich zu.
Am Anfang der Woche endete die Frist zur Einreichung der Kandidatenlisten – und Berlusconi nutzte auch diese Etappe zu einem kleinen Theatercoup. „Saubere Listen“ heißt sein neues Schlagwort; die früher so hochgeschätzten Abgeordneten mit Vorstrafen oder laufenden Verfahren wegen Mafia-Kontakten und ähnlichem müssen diesmal aussetzen.
Am härtesten trifft es dabei den Abgeordneten Nicola Cosentino. Er gilt den Staatsanwälten als politischer Gewährsmann des Mafia-Clans der Casalesi; die beiden gegen ihn ausgestellten Haftbefehle konnten nur deshalb nicht vollzogen werden, weil das Parlament seine Immunität nicht aufgehoben hatte.
Doch Berlusconi opferte ihn nun, um sich damit gegen Angriffe der politischen Konkurrenz unangreifbar zu machen. Die Meinungsumfragen bestätigen ihn: Der Block aus seiner Partei PdL , der rechtspopulistischen Lega Nord, der Faschismusnostalgiker von La Destra (Die Rechte) und zahlreichen Mini-Listen liegt jetzt bei 30 Prozent.
Leichte Rückgänge in den Umfragen auf teils unter 40 Prozent muss dagegen das bisher favorisierte gemäßigt linke Lager unter Pierluigi Bersani hinnehmen. Ein „gerechtes Italien“ ist der Wahlkampfslogan der Allianz unter der Partito Democratico (PD) und der stramm linken Sinistra Ecologia Libertà (SEL – „Linke, Ökologie, Freiheit“).
Mitte-Rechts-Koalition
Sicher ist derzeit nur, dass der gemäßigte Linksblock auf eine Koalition mit dem Mitte-Rechts-Lager unter Mario Monti hinarbeitet; nicht umsonst fassen Bersani und Monti einander im Wahlkampf mit Samthandschuhen an.
Doch der Monti-Block aus der „Scelta civica“ („Bürgerliche Entscheidung“), der christdemokratischen UDC und der gemäßigt rechten FLI kann nur auf 15 Prozent der Stimmen hoffen.
Im Abgeordnetenhaus würden solche Resultate für Bersane eine komfortable Mehrheit sichern, zumal die führende Allianz automatisch 54 Prozent der Sitze erhält, von den Sitzen der Monti-Liste einmal abgesehen.
Völlig anders ist die Situation im Senat: Dort wird der Mehrheitsbonus Region für Region vergeben – und dort hat Berlusconis Rechte Hoffnung, einige Regionen zu erobern. Dies gilt umso mehr, als zwei weitere Mitspieler auf dem Feld sind. Die Anti-Parteienliste Movimento 5 Stelle („5-Sterne-Bewegung“) unter dem Komiker Beppe Grillo liegt bei 15 bis 20 Prozent. Grillo, der seine Wähler vor allem unter enttäuschten Linken gewann, wirbt mittlerweile offen auch hart am rechtspopulistischen Rand.
Gewerkschaften abschaffen
So erklärte er zum Beispiel, mit der rechtsradikalen Organisation Casa Pound habe er viele Berührungspunkte, und der Antifaschismus gehe ihn nichts an. Jüngst forderte er sogar, die Gewerkschaften abzuschaffen.
Auf die Grillo-Enttäuschten wartet die Liste „Rivoluzione civile“ unter dem früheren Anti-Mafia-Staatsanwalt Antonio Ingroia, in der linke Basisbewegungen und kommunistische Splittergruppen zusammengefunden haben.
Gut fünf Prozent werden der Liste zugetraut – womöglich genug, um im Senat eine Patt-Situation zu schaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern