Parlamentswahl in Ägypten: Stimmenkauf, Manipulation und Druck
Bei der Wahl häufen sich Berichte zu Irregularitäten. Auf Al-Sisi wächst der Druck. Nun wird die Wahl in Teilen wiederholt.
Ägypten wiederholt in mehreren Wahlkreisen die Wahl für das Repräsentantenhaus, das Parlament des Landes. Diese hatte erst im November in zwei Wahlrunden stattgefunden. Doch aufgrund von Verstößen gegen geltendes Wahlrecht – und daraus folgendem massiven Druck – wurden diese in Teilen für ungültig erklärt. Sogar Präsident Abdel Fattah El-Sisi kritisierte öffentlich die Verstöße – eine Seltenheit in Ägypten.
Das ägyptische Repräsentantenhaus ist die wichtigste gesetzgebende Kammer des Landes: Es ist nicht nur für die Verabschiedung von Gesetzen zuständig, sondern hat auch die Befugnis, Verfassungsänderungen zu initiieren. Dieser Schritt wird von vielen in den kommenden Jahren erwartet: Denn El-Sisis Herrschaft müsste eigentlich mit der dritten Amtszeit enden – so will es die Verfassung.
Wer also im Repräsentantenhaus sitzt, ist daher umso wichtiger. Und die derzeit vorherrschende Kritik am Wahlprozess ernst.
Wie das Wahlsystem funktioniert
Gewählt wird mit einem gemischten System aus geschlossenen Listen und Einzelmandaten. Dabei gewinnt jede Liste, die 50 Prozent plus eine Stimme in einem Wahlkreis erhält, alle Sitze des Wahlkreises. Selbst wer also knapp unter 50 Prozent bleibt, geht leer aus. Versuche von Parteien, Politikern und Menschenrechtsgruppen, dieses System durch eine proportionale Vertretung zu ersetzen, wurden von regierungsnahen Kräften blockiert. Denn die dominieren das Repräsentantenhaus – und profitieren von diesem System.
Es ist anfällig für Manipulation: Zum einen lehnte die Nationale Wahlbehörde vor der Abstimmung drei mit der Regierung konkurrierende Listen ab. Sie hätten die „technischen Anforderungen“ nicht erfüllt. Außerdem wurden einige Oppositionsparteien vom Beitritt zu einer sogenannten Staatsliste überzeugt – sodass die Zusammensetzung der Kammer in Teilen bereits im Voraus festgelegt ist. Weiter gab es Vorwürfe, dass Parlamentssitze für bis zu 50 Millionen ägyptische Pfund – rund 900.000 Euro – verkauft wurden.
Was die Ägypterinnen und Ägypter darüber denken
Die „Nationale Liste“ hatte damit praktisch kaum Konkurrenz. Das spiegelt sich auch auf den Straßen: Die Wahlen seien sinnlos, meinen viele. Laut der nationalen Wahlbehörde lag die Beteiligung bei etwa 25 Prozent, einige Medien berichteten von noch niedrigeren Zahlen.
Die erste Wahlrunde, die am 10. und 11. November stattfand, war über das für Manipulation so anfällige System hinaus von Unregelmäßigkeiten geprägt. Beispielsweise sollen Stimmen einfach mit Bargeld gekauft worden sein. Die wirtschaftliche Lage in Ägypten ist schlecht, offiziellen Zahlen zufolge leben rund 34 Prozent der Ägypter unterhalb der Armutsgrenze. Eine einzelne Wahlstimme soll Berichten zufolge gerade mal 200 ägyptische Pfund, weniger als 4 Euro, gekostet haben.
Trotzdem beharrte die Nationale Wahlbehörde lange darauf, dass der Wahlprozess ordnungsgemäß verlaufen sei. Doch selbst Präsident Abdel Fattah El-Sisi gab schließlich eine Erklärung ab, in der er die Wahlbehörde aufforderte, Ermittlungen einzuleiten – und Entscheidungen zu treffen, die „Gott gefallen und den wahren Willen der Wähler ehrlich widerspiegeln“.
Reporter wurden an ihrer Arbeit gehindert
Nach dieser Intervention ordnete die Nationale Wahlbehörde also die Wiederholung der Wahl in 19 Wahlkreisen an. Das Oberste Verwaltungsgericht annullierte die Ergebnisse in weiteren Wahlkreisen. Insgesamt wurden in 46 von 70 Wahlkreisen die Ergebnisse der ersten Wahlphase für ungültig erklärt.
In der zweiten Wahlphase am 24. und 25. November wurden ähnliche Vorwürfe laut: Stimmenkauf, Betrugsvorwürfe. Aber die Nationale Wahlbehörde lehnt es ab, Ergebnisse für ungültig zu erklären. Die Journalistengewerkschaft meldete außerdem dutzende von Beschwerden seitens Reportern, die trotz Akkreditierung schikaniert oder an ihrer Arbeit gehindert worden waren.
Diese chaotische Wahl lässt ernsthafte Zweifel an der Legitimität und Unabhängigkeit des nächsten Repräsentantenhauses aufkommen. Das ist besonders pikant, weil eben erwartet wird, dass es die Verfassung ändern soll – um Al-Sisi eine unbeschränkte Amtszeit als Präsident zu ermöglichen.
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