Parlamentswahl im Libanon: Libanesische Diaspora hat gewählt
Im Ausland lebendene Libanes*innen haben ihre Stimme für die Wahl am kommenden Sonntag abgegeben. Scheinbar kam es zu Wahlverstößen.
Für die Wahl am Sonntag waren etwa 245.000 libanesische Bürger*innen, die im Ausland leben, registriert. Angaben des Außenministeriums zufolge liegt die Wahlbeteiligung dort bei 60 Prozent. Damit haben dreimal mehr Libanes*innen im Ausland gewählt als bei den vorherigen Wahlen 2018.
Die Abstimmung über die 128 Sitze im Parlament ist die erste Wahl nach den Massenprotesten im Jahr 2019, dem Finanzcrash und der Explosion am Beiruter Hafen 2020. Für viele, die auf den Straßen protestierten oder das Land aufgrund des Zusammenbruchs verlassen haben, gibt es mit den Wahlen Hoffnung auf politischen Wandel. Denn zur Wahl stehen diesmal viele Oppositionsparteien, die sich den etablierten Parteien entgegenstellen.
Doch auch die etablierten Parteien kämpfen darum, unter ihrem Namen einen „neuen Libanon“ zu erschaffen – oder propagieren es zumindest. Das libanesische Wahlsystem ist maßgeblich von elitären Politikfamilien geprägt, die durch komplexe konfessionelle Quoten seit Jahren die Macht unter sich aufgeteilt haben.
Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenabgabe
Vor allem in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Heimat vieler Auslandslibanes*innen, war die Wahlbeteiligung nach Angaben des Fernsehsender LBCI hoch: In Dubai lag sie bei 71, in Abu Dhabi sogar bei 77 Prozent. Der libanesische Außenminister sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Wahlbeteiligung reiche aus, um die Ergebnisse in manchen Wahlbezirken im Libanon zu beeinflussen. Die libanesische staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtet hingegen von 52 in Dubai und 63 Prozent in Abu Dhabi.
Denn die Auszählung der Stimmen von Auslandslibanes*innen erfolgt in deren Heimatbezirk: Die Wahlurnen werden per Post in den Libanon geschickt und dort von der Zentralbank unter Verschluss gehalten. Sie werden dann am innerlibanesischen Wahltag in dem Bezirk, aus dem die Wähler*innen stammen, gezählt.
Auf Videos in den sozialen Netzwerken sind lange Schlangen zu sehen, Menschen berichteten, bis zu drei Stunden in der Hitze gewartet zu haben, um wählen zu können. In Dubai sollen Wähler*innen bestimmter Parteien durch die Hintertür des Konsulats an der Schlange vorbei eingelassen worden sein. Die libanesische Vereinigung für demokratische Wahlen (LADE) zählte zahlreiche Wahlverstöße. So seien im Operationssaal des Außenministeriums die Bildschirme, die das Wahlgeschehen übertrugen, für 15 Minuten ausgefallen.
Im libanesischen Konsulat in Hamburg dokumentierte die Organisation die Verletzung der Geheimhaltung der Wahl. Einige Wähler*innen wurden hinter den Sichtschutz, hinter dem sie wählten, begleitet. Solange sie körperlich dazu fähig sind, sollten Wähler*innen alleine und ungestört wählen können, so LADE. In Hamburg kam es auch zu Wahlpropaganda in der Nähe des Wahllokals. Ein Video, das die Organisation veröffentlicht hat, zeigt einen Anhänger der schiitischen Amal-Bewegung, wie er einen Wähler unter Druck setzt, weil dieser vor dem Wahllokal seine Opposition gegen etablierte Parteien zum Ausdruck bringt. Darüber hinaus dokumentierte LADE, dass Wahlzettel und Urnen in diplomatischem Gepäck gefunden wurden.
Viele Libanes*innen wollen das Land verlassen
Künftig könnten noch mehr Libanes*innen im Ausland wählen: Das amerikanische Meinungsforschungsinstitut Gallup fand heraus, dass im Jahr 2021 63 Prozent der Befragten Menschen den Libanon verlassen wollten. In einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2021 sagten 39 Prozent von 1.200 Befragten, dass sie gerne auswandern möchten.
Hohe Staatsschulden, enorme Defizite im Energiesektor, der Schmuggel subventionierter Waren nach Syrien sowie Steuerhinterziehung, Vetternwirtschaft, Bereicherung und Korruption haben den Zerfall des Libanon vorangetrieben. Die Inflation und die schlechte Wirtschaftslage bringen viele Menschen dazu, zu emigrieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen