Parlament beschließt Einsatz gegen IS: Türkisches Militär darf marschieren
Die Regierung darf Truppen nach Syrien und in den Irak schicken. Ob sie das tut, bleibt ungewiss. Die Kurden drohen, den Friedensprozess zu beenden.
ISTANBUL taz | Während die Kurden in der nordsyrischen Stadt Kobane (Ain al Arab) sich verzweifelt gegen die Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staates (IS) wehren, hat in Ankara das Parlament die türkische Armee zum Einsatz in Syrien und Irak ermächtigt. Mit der Mehrheit der Stimmen der regierenden AKP und der rechtsnationalistischen MHP (298 Ja, 98 Nein) erhielt die Regierung am Donnerstagabend einen Blankoscheck, um für ein Jahr lang die Armee nach eigenem Ermessen gegen „terrorististische Bedrohungen“ in Syrien und im Irak einzusetzen.
Außerdem darf die Regierung türkische Basen und türkisches Gebiet ausländischen Armeen öffnen. Die Regierung war sich ihrer Sache so sicher, dass weder Ministerpräsident Ahmet Davutoglu noch Präsident Tayyip Erdogan im Parlament anwesend waren und außerdem 30 AKP-Abgeordnete schon vorher zur Haddsch nach Mekka gefahren waren.
Mit dieser Entscheidung ist nicht automatisch ein Einmarsch türkischer Truppen in Syrien verbunden. Die Kurden in Kobane, die Stadt die direkt an der türkischen Grenze liegt, die seit zwei Wochen von IS-Milizen angegriffen wird und nun unmittelbar vor dem Fall steht, können nicht hoffen, dass ihnen die türkische Armee nun zur Hilfe kommt.
Zwar hat der Generalstab im Grenzgebiet um Kobane bereits Panzer auffahren lassen und starke türkische Kräfte zusammengezogen, die sollen aber erst einmal nur verhindern, dass IS-Truppen auch türkisches Territorium angreifen. Ebenso soll ein IS-Angriff auf ein osmanisches Mausoleum auf syrischem Boden, das als türkisches Territorium gilt, abgewehrt werden.
Schlechte Nachricht für die Kurden
Die Ermächtigung durch das Parlament bedeutet auch nicht automatisch, dass die Türkei sich nun umstandslos in die von den USA angeführte Anti-IS-Allianz einreiht, sondern sie gibt erst einmal nur der Regierung freie Hand, das Militär einzusetzen ohne noch einmal das Parlament fragen zu müssen. So sind die Ziele eines möglichen Militäreinsatzes auch ziemlich schwammig formuliert, wie die Opposition in der Debatte kritiserte. Als terroristische Gefahr wird nicht nur der Islamische Staat sondern auch die türkisch-kurdische PKK genannt, gegen die die türkische Armee in den letzten 30 Jahren gekämpft hat.
Für die Kurden in Kobane ist das eine ganz schlechte Nachricht, denn die dort vorherrschende DYP ist eng mit der PKK verbündet. Aus diesem Grund sind viele Kurden in der Türkei davon überzeugt, dass das türkische Militär im Grunde ganz einverstanden damit ist, wenn die IS-Milizen die autonome Region der Kurden in Nordsyrien zerstören und die Menschen massenhaft in die Flucht treiben.
Allerdings haben sich Präsident Tayyip Erdogan und sein Ministerpräsident Ahmet Davutoglu in den letzten Tagen eindeutig gegen IS positioniert. „Das“, so Erdogan, „sind Terroristen, die mit unserer Religion, dem Islam, nichts zu tun haben“. Doch die Kurden in der Türkei glauben bislang mehrheitlich nicht daran, dass Erdogan sein Doppelspiel aufgibt und tatsächlich massiv gegen die Terrormiliz an der türkischen Grenze vorgeht.
Die Abgeordneten der Kurden im Parlament haben deshalb genauso wie die sozialdemokratisch-kemalistische CHP gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt. Für sie ist das Schicksal von Kobane so etwas wie der Lackmustest für ihre Zukunft in der Türkei. Seit knapp zwei Jahren läßt Erdogan nun mit dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan über einen Weg zum Frieden verhandeln.
Im März 2013 hat die PKK einen Waffenstillstand erklärt. Am Donnerstagmorgen hat Öcalan nun über eine Gruppe von Parlamentariern, die ihn am Mittwoch auf seiner Gefängnisinsel besuchen konnten, eine brisante Botschaft verbreiten lassen. Sollte Kobane fallen und die türkische Armee tatenlos zusehen, wie die Terrormiliz der IS in der Stadt ein Massaker anrichtet, sei der Friedensprozess gescheitert.
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