Parents 4 Future im Interview: „Mama, das ist jetzt unsere Demo!“
Linda Becker engagiert sich bei den Parents 4 Future. Ein Gespräch über junge Selbstermächtigung, pubertäre Abgrenzung und Zement aus Indonesien.
taz: Frau Becker, finden Sie es okay, wenn Ihre Tochter jeden Freitag den Unterricht verpasst?
Linda Becker: Das, was hier auf dem Planeten passiert, ist doch viel wichtiger. Es ist wirklich schlimm, dass Kinder Repressionen befürchten müssen, wenn sie für ihre Zukunft kämpfen – obwohl sie die Probleme nicht einmal verursacht haben. In der Schule meiner Tochter werden die Streiks von der Leitung nicht gerne gesehen. Sie hat bis zu einem gewissen Punkt mitgemacht und dann für sich selber entschieden, dass sie wieder zur Schule gehen will und das ausbalancieren möchte. Damit habe ich kein Problem: Ich bin nicht diejenige, die ihr da vorschreibt, was sie zu tun oder zu lassen hat.
Wie sind Sie selbst zu den Parents 4 Future gekommen?
Ich habe Gretas erste Reden in Polen auf YouTube gesehen und war total beeindruckt. Ich habe gedacht: Endlich spricht mal jemand das aus, was passiert. Darüber bin ich dann auch auf die Fridays for Future aufmerksam geworden. Bei meinem ersten Treffen fand ich es schön, dass endlich normale Leute auf das Klimathema reagieren, denn das habe ich in den Jahren davor sehr vermisst. Ich habe mich immer gewundert, wieso nichts passiert, obwohl das Problem so dringend ist.
Linda Becker, ist 1965 im Rheinland geboren und arbeitet als Pädagogin in Berlin.
Wieso haben Sie selbst früher nichts unternommen?
Ich würde mich nicht wie Greta Thunberg irgendwo hinsetzen und das einfach starten, ich brauche Bezüge. Vor drei Jahren habe ich das Buch von Fabian Scheidler „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“ gelesen. Scheidler ist Historiker und Philosoph und hat klar benannt, dass wir in einer extrem großen Klimakrise stecken und auf ein Massensterben zusteuern. Die Fakten waren mir also bekannt.
Haben Sie Ihre Tochter auf die Fridays-for-Future-Demonstrationen aufmerksam gemacht?
Nein, das lief eigentlich unabhängig. Sie ist in der Pubertät und grenzt sich lieber ab. Erst als sie Besuch von Freundinnen aus Bremen bekam, die extra angereist waren, um auf die Demo in Berlin zu gehen, ging sie das erste Mal dorthin.
Bewegung Am 24. Mai rufen die Fridays for Future zum globalen Klima-Streik auf. In 107 Ländern sind 1.263 Streiks geplant. In Berlin startet der Demozug um 12 Uhr vor dem Brandenburger Tor. Unter dem Motto „Europawahl ist Klimawahl“ wollen die Schüler*innen mit Unterstützung von Eltern, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Student*innen alle Wahlberechtigten dazu auffordern, den Klimaschutz als Grundlage ihrer Wahlentscheidung zu berücksichtigen.
Ziele Fridays for Future fordert die Politik dazu auf, die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels als maximale Begrenzung der Erderwärmung zu ihrer absoluten Priorität zu machen. Zum letzten großen Klimastreik am 29. 3. 2019 in Berlin waren über 25.000 Demonstrant*innen gekommen.
Was hält Ihre Tochter von Ihrem Engagement bei Parents for Future?
Bis vor Kurzem nannte meine Tochter mich Ökomutter und wollte mit den Themen nichts zu tun haben. Ich spürte, dass es ihr Angst machte, wenn ich über den Klimawandel redete. Sie fing an abzublocken. Also habe ich mich zurückgehalten. Dann kam die Phase, da sind Freunde mit Klimathemen auf sie zugegangen und gemeinsam gingen sie auf die ersten Demos. Da hat sie gesagt: Mama, das ist jetzt unsere Demo! Das hatte etwas sehr Selbstermächtigendes. Als die Kinder mit ihren Transparenten und so viel Freude auf die Straße zogen, war das für mich ein sehr schöner Moment.
Ihre Tochter wollte also die Demo für sich haben und nicht, dass die eigene Mutter dort mitmischt?
Ja, genau. Das finde ich auch total schön, und das ist, ehrlich gesagt, ein Grundkonflikt mit den Parents for Future. Wir müssen den jungen Menschen die Selbstermächtigung lassen und uns trotzdem ebenfalls mit Protesten für das Klima engagieren.
Ist die Generation Ihrer Tochter durch Fridays for Future politischer geworden?
Ja, und das freut mich sehr. Ich habe das Gefühl, da ist wirklich ein Erwachen. Ich finde es fantastisch, wie gut die Jugendlichen kommunizieren, und habe allen Respekt davor, wie super sie organisiert sind. Das macht mir große Hoffnung: Sie formulieren nichts in kleinen Bitten, sondern stellen klare Forderungen auf.
Haben Sie als Erwachsene mit Protestaktionen mehr Einfluss als Ihre Kinder?
Jeder Mensch kann sich daran beteiligen, dass wir hier auf dem Planeten das Leben schützen und diese große Katastrophe verhindern. Aber ich finde nicht, dass meine Tochter die Verantwortung dafür hat, diese Kämpfe aufrechtzuerhalten. Das ist die Verantwortung von uns Erwachsenen, denn wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder gut aufwachsen. Es ist etwas verdreht, wenn Kinder den Kampf führen, den wir eigentlich kämpfen müssten.
Wir unterhalten uns am Rande eines Picknicks der Parents 4 Future. Gleich leiten Sie einen Workshop. Worum geht es denn?
Um verschiedene lokale Initiativen in Berlin: Es geht zum einen um die Bucht für alle, also den Bebauungsplan Rummelsburger Bucht, und um die Initiative „A100 stoppen!“ Daraufhin soll es um das Thema Zement und CO2 gehen: Denn Zement ist ein größerer Klimakiller als der gesamte Flugverkehr. Das Unternehmen Heidelberg Cement will zum Beispiel auf der Insel Java ein Zementwerk bauen. Dafür soll ein großes Gebirge vernichtet und das ganze Ökosystem zerstört werden. Ich habe eine Frau von Indonesia Watch eingeladen, die dazu referiert.
Treibt Sie ein schlechtes Gewissen an?
Nein, ich habe kein schlechtes Gewissen, denn ich habe relativ klimafreundlich gelebt. Ich möchte aber auch in Zukunft noch meiner Tochter und allen Kindern in die Augen gucken können. Das treibt mich an. Die Vorstellung, nicht gehandelt zu haben und nicht das mir Möglichste getan zu haben, um den Klimawandel zu verhindern – das kann ich nicht aushalten!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers