piwik no script img

Paragraf 265a abschaffen„Aber das sind ja Glückstränen“

Kamila W. saß im Knast, weil sie kein Ticket hatte. Der Linken-Abgeordnete Luke Hoß hat sie freigekauft. Ein Gesetzentwurf dazu kommt am Donnerstag.

Knast wegen Schwarzfahren? „Hier wird Armut mit Haft bestraft, dem schärfsten Schwert des Strafrechts“, sagt Luke Hoß Foto: Stefanie Loos

Die Zahlstelle des Amtsgerichts Lichtenberg befindet sich am Ende eines Gangs mit Linoleumboden und tafelgrünen Bänken. Drinnen sortiert Luke Hoß, Abgeordneter der Linken im Bundestag, 50-Euro-Scheine auf der Theke. „Das müssten 1.200 Euro sein“, sagt Hoß zur Sachbearbeiterin. „Sind es.“ Die Sachbearbeiterin lächelt und gibt ihm Rückgeld. Telefoniert. Händigt Hoß eine gelbe Quittung aus.

Zwischen Kunstblumen, Safe und dem Plakat einer Ausstellung über Kreuzfahrten hat Hoß gerade dafür bezahlt, dass Kamila W. das Frauengefängnis in Berlin-Lichtenberg verlassen darf. 1.170 Euro – eine Summe, die W. selbst nicht aufbringen kann. Die Polizei hatte die 47-Jährige in einem Wohnheim für Wohnungslose festgenommen, weil sie beim Fahren ohne Ticket erwischt wurde und das erhöhte Beförderungsentgelt nicht bezahlt hatte. Eine Strafanzeige folgte, und dann eine Wahl, die für Kamila W. keine war: Zahlen oder in den Knast.

Der Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs, eingeführt von den Nazis im Jahr 1935, erlaubt sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen von bis zu einem Jahr für Bagatelldelikte wie das Fahren ohne Ticket. Die Linke fordert die ersatzlose Streichung des Paragrafen. Am Donnerstag will die Partei ihren Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von ticketlosem Fahren in den Bundestag einbringen.

Hoß hat den Entwurf geschrieben, es ist sein erster. „Die Ungerechtigkeit in diesem Paragrafen beschäftigt mich schon lange“, sagt der 24-Jährige. „Menschen können sich das Ticket einfach nicht leisten. Hier wird Armut mit Haft bestraft, dem schärfsten Schwert des Strafrechts.“

Die Inhaftierungen ziehen oft einen Rattenschwanz der Verarmung nach sich

Leonard Ihßen, Sprecher des Freiheitsfonds

Mit der gelben Quittung macht sich Hoß auf zum Besuchereingang des Frauengefängnisses in Lichtenberg. Sein Aufenthalt in der JVA dauert nicht länger als fünf Minuten. Während Kamila W. ihre Zelle räumt und Habseligkeiten zurückbekommt, wartet Hoß im Café nebenan.

„Rattenschwanz der Verarmung“

„Die Haft ist immer ein Rieseneinschnitt in einem Dasein“, sagt Bernd Endert, der Vollzugsbeamte arbeitet in der Leitzentrale der JVA. „Wir bestimmen ihren Tageslauf, wann die Tür offen ist, wann es Essen gibt, wann aufgestanden wird.“ Endert ist seit fast 15 Jahren in den Berliner Frauengefängnissen. Sei eine Frau nicht obdachlos und nicht drogenabhängig, werde sie relativ schnell ausgelöst. „Da ist Quatsch, dass sie hier reinkommen – aber sagen Sie mir eine Alternative.“ Endert plädiert dafür, die Ersatzfreiheitsstrafe beizubehalten.

„Die Inhaftierungen ziehen oft einen Rattenschwanz der Verarmung nach sich“, sagt Leonard Ihßen, er ist Sprecher des Freiheitsfonds. Rund 1.500 Einsitzende hat die Initiative seit 2021 laut eigenen Angaben freigekauft, für knapp 1,3 Millionen Euro. „Menschen verlieren wegen der Haft teilweise ihre Wohnung, ihren Schlafplatz im Heim oder ihren Job. In den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr ist die Suizidrate in den Knästen am höchsten. Deswegen ist es so wichtig, dass wir davor besonders viele Leute rausholen“, sagt Ihßen.

Auf die Einsitzenden aufmerksam wird der Freiheitsfonds durch die Gefängnisse selbst, erklärt Leonard Ihßen. So war es auch bei Kamila W. Als sie das Café betritt, weint sie. „Ich bin jetzt obdachlos“, sagt W. und weint noch mehr. Ihre Hände zittern.

„Ich habe so gebetet, dass ich rauskomme“, sagt W., die ihre Haare zum Pferdeschwanz hochgebunden hat. Vor allem um ihr Gretchen habe sie Angst gehabt. Gretchen ist ein grauhaariger Chivava und „das Einzige, was ich habe“. Noch eine Woche im Tierheim, dann wäre der Hund zur Adoption freigegeben worden.

Die Mädels drinnen hätten ihr nicht geglaubt, dass ein Politiker sie freikauft. Nett seien die meisten gewesen, eine habe sie in den ersten Tagen mit Tabak versorgt, bevor sie das Geld für den Einkauf bekommen habe. „Jetzt reicht es aber mit dem Heulen“, sagt sie schließlich. „Aber das sind ja Glückstränen.“

Kamila W. bleibt noch einen Moment im Café sitzen, ganz in Ruhe. Danach will sie sich zu Gretchen aufmachen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Wenn man kein Geld hat, zum Amt muss, um Sozialleistungen zu bekommen, aber um zum Amt zu kommen muss man Öffis benutzen, man hat kein Geld um das Ticket zu bezahlen und dann soll man in den Knast(?????!!!!!) weil man kein Geld hat ...



    Deutschland, was ist falsch bei dir?

  • Niemand sollte wegen Schwarzfahren ins Gefängnis müssen. Das ist einfach nur perfide. Wie kann man so etwas befürworten?



    Also ja: ich plädiere unbedingt dafür "notorische Schwarzfahrer einfach vom Haken zu lassen".



    Und mindestens diejenigen, die sich kein Ticket leisten können, sollten umsonst fahren.

    • @Taugenichts:

      Es gibt in sehr vielen Städten und Kommunen sozial Tickets. Da wird das eh schon bezahlt von der Allgemeinheit. Und ich sehe das ehrlich gesagt nicht ein, wenn jemand aus Prinzip nicht zahlen will, den vom Haken zu lassen.



      Oder seid ihr genauso milde wenn es darum geht Steuerhinterzieher vom Haken zu lassen? Ich mein, jeder will doch nur das Beste für sich.

      Dieser Doppelstandard ist das Ende für Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft. mMn.

  • Das Deutschlandticket ist eh schon eine Subvention für Pendler und Großstädter auf Kosten derer die nicht dass Glück haben dort zu wohnen.

    Es gab gewaltige Mitnahme Effekte für Pendler die eh schon damit fahren. Und ja, es gibt sicher den einen oder anderen der deswegen öfter mit der Bahn fährt. Aber für den Preis ganz sicher nicht gerechtfertigt. Und diejenigen die so wohnen, wo entweder ein gar kein Bus fährt oder wenn überhaupt alle 2 Stunden und man damit weder Kind zur Kita bringen kann, noch in annehmbaren Zeiträumen irgendwo hinkommen... Aber das ist eh die Landbevölkerung und die wählt ja nicht links.. Also wen interessiert es. Aber hier dann auch noch notorische Schwarzfahrer einfach vom Haken zu lassen. Wie heißt es? Was nichts kostet ist nix wert... Oder warum sehen die Bahnhöfe und s Bahnen so aus wie die aussehen?



    Warum schaffen wir nicht auch noch den Diebstahl ab....

    • @Duplozug:

      Freiheitsstrafe ist eine harte Strafe.

      Vielleicht äußern Sie mal genauer, welchen konkreten Schaden so ein Schwarzfahrer - der sich ein Ticket nicht leisten kann - anrichtet und bei wem?

      • @Sonntagssegler:

        Welchen Schaden macht ein Dieb? In den Supermärkten ist das in die Marge eingerechnet und macht die Produkte teuerer für alle. Das gleiche gilt hier.

        Oder um hier besser den Punkt reinzubringen.. Welchen Schaden machen Steuer hinterzieher? Bei allen, fehlt am Ende Geld.

  • "Sagen Sie mir die Alternative"



    Die Alternative ist ein ÖPNV, der solidarisch finanziert wird.



    Das Deutschlandticketbenötigt momentan einen recht hohen Preis, weil nur diejenigen, die es brauchen, auch tatsächlich bezahlen.



    Würden mehr Menschen das Ticket kaufen, könnte es billiger sein und um einen entsprechenden Sozialtarif ergänzt werden.



    Statt also immer zu überlegen, ob das Deutschlandticket sich für einen selbst denn wirklich, wirklich lohnt: Wer es sich kaufen kann, sollte das einfach tun.



    Mit genügend Deutschlandtickets im Umlauf wird es sich kaum noch lohnen, einen Kontrolleur loszuschicken.



    (Ja, die Politik könnte hier auch schlicht die Regeln ändern. Dies zu fordern ist umso einfacher, je mehr Menschen das Ticket haben)

    • @Herma Huhn:

      Sorry, aber 600€ I'm Jahr für gar nichts ist mir aber wirklich zu teuer.

      Ich habe mein Leben so eingerichtet, daß ich praktisch alles mit dem Fahrrad erledigen kann.

      Bei allem Anderen gebe ich Ihnen recht.