Panter Preis 2025: „Man muss einfach tun, was man für richtig hält“
Die Panter-Preis-Laudatorin erinnert an die Holocaust-Überlebende Melanie Berger. Die war stark, weil sie Teil einer Gruppe war. Und damit beispielhaft.

Der taz Panter Preis für zivilgesellschaftliches Engagement wird in diesem Jahr zum 20. Mal vergeben. Bei der erste Runde der Preisverleihung hielt Elke Schmitter die Laudatio, die wir hier dokumentieren. Der Preis ist mit zweimal 5.000 Euro dotiert. Die zweite Runde der Preisverleihung findet am 5. Juli in Bochum statt.
Liebe Kandidat:innen für den taz Panter Preis, liebe Jury und liebe Gäste,
vor einigen Wochen war ich im österreichischen Kulturinstitut in Berlin. Es war, anders als heute, sehr heiß, und man wäre froh gewesen um jeden freien Platz, wegen der Luftzirkulation, aber es war voll, und immer wieder brachten die Ordner noch Stühle nach. Wir saßen da mit unseren Wasserflaschen und guckten auf einen imposanten Flügel, schwarz lackiert, ein Meisterstück der Instrumentenkunst; der blieb aber stumm.
Stattdessen nahm auf dem Podium eine zierliche, kleine Person Platz; weißhaarig und in Pastelltönen gekleidet. Melanie Berger kam aus Frankreich und sprach Deutsch mit Wiener Akzent. Sie hatte Schneiderin gelernt, das war aber sehr lang her, denn bei ihrem Besuch in Berlin war sie 104 Jahre alt. Und sie war eingeladen als Schneidermeisterin des Schicksals – ihres eigenen, aber auch des Schicksals von vielen Menschen, die sie beeinflusst und denen sie geholfen hat.
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Panter Preis 2025 Verleihung in Halle

Als sie geboren wurde, war sie jüdisch. Als sie noch ein Kind war, begriff sie, dass ihre Familie arm war. Als sie eine Jugendliche war, schloß sie sich den Trotzkisten an. Nicht, weil sie alle Schriften, die leninistischen, die trotzkistischen, die historischen und aktuellen, aufmerksam geprüft hätte; dazu hatte sie gar keine Zeit, und dazu fehlte es auch an Bildung. Aber die Leute waren ihr sympathisch. Man ging an die Donau, um da zu baden, und zwar nackt. Man saß in der Sonne auf den Uferwiesen, man sprach über die Armut und die reichen Leute, und immer öfter sprach man auch über Angst.
Eine Herausforderung für alle – damals wie heute
Der Austrofaschismus war bereits in vollem Gange, als sie Melanie Berger 13 war. Es gab Übergriffe, es gab Schlägereien, es gab häßliche kleine Zwischenfälle. So etwas wie vor einigen Wochen in Kaiserslautern, als vier Stolpersteine aus dem Pflaster gerissen und gestohlen wurden; vier schimmernde, kleine Steine, die an die Familie Henè erinnerten, von der nur ein junges Mädchen den Nationalsozialismus überlebte.
Es war damals so, wie es heute ist, in jedenfalls einer Hinsicht: Jedes einzelne dieser hässlichen Ereignisse fordert alle heraus, die davon erfahren. Stellt eine Art Prüfung dar: Will ich davon wissen? Will ich es auf mich wirken lassen, will ich mich damit befassen? Nehme ich es als ein Teil von etwas Größerem oder schüttele ich das Unbehagen ab und sage mir: ein Einzelfall. Ein paar Verrückte. Nichts von Bedeutung.
Kommunistin als männlicher Arbeiter getarnt
Für Melanie Berger war damals klar: all das, was sie um sich herum erlebt, hat Bedeutung. Und eine unwillkommene, eine unangenehme und gefährliche Wirkung. Nicht nur, aber dann auch für sie selbst. Als sie fünfzehn Jahre alt war, nahm sie an der illegalen Arbeit für die Partei „Revolutionäre Kommunisten Österreich“ teil, als sie 17 war, floh sie nach Frankreich. Schnitt sich die Haare ab und tarnte sich an der Grenze als männlicher Arbeiter. Wechselte später wieder die äußere Erscheinung und wurde Dienstmädchen. Floh vor der deutschen Wehrmacht in den Süden Frankreichs, kam in Toulouse ins Gefängnis und wurde wegen „kommunistischer und anarchistischer Aktivität“ zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Die Geschichte von Melanie Bergers Befreiung aus dem Gefängnis ist, wie die Geschichte ihrer Arbeit im Untergrund, eine politische Kriminalgeschichte mit allem, was dazugehört: in Hosensäume eingenähtes Geld – schließlich war sie Schneiderin -, Klopfzeichen im Geheimcode, Decknamen und geschmuggelte Kassiber, Geheimtinte, gefälschte Papiere und Verkleidung in Wehrmachts-Uniform. Man kann das alles nachlesen in der Biografie von Nils Klawitter, die gerade von ihr erschienen ist, unter dem Titel: „Die kleine Sache Widerstand“.
„Die kleine Sache“, das ist ein Zitat von ihr. Weil es „kleine Sachen“ waren, die sie machte; kleine, erst unscheinbare, dann hochgefährliche Sachen. In Österreich, zum Beispiel: Leute begleiten, die, das ist unser Wort heute, „diskriminiert“ wurden. Angepöbelt, bedroht, in Furcht versetzt, geschlagen. Von Leuten, die immer sichtbarer, immer selbstbewusster wurden mit ihrem Programm, andere Menschen immer weniger sichtbar und immer ängstlicher zu machen. Wenn man sie fragt, warum sie das machte, sagte sie: „Man darf nicht nachdenken, dann kommt die Angst. Man muss einfach tun, was man für richtig hält. Und ich war ja auch nicht allein.“
Melanie Berger war nicht allein im Gefühl und nicht allein mit ihrem Verstand. Sie war hin und wieder von ihren Kameraden und Freundinnen körperlich getrennt – als sie nach Frankreich floh und später, als sie in Einzelhaft im Gefängnis saß. Aber sie hat sich nie als Einzelne begriffen. So, wie sie ja auch das politische Denken nicht für sich allein entdeckte. Sondern im Zusammensein mit Menschen, die ihr sympathisch waren. Mit denen sie reden, feiern, in der Donau baden konnte.
Ein Netz aus Sympathie und Vertrauen
Diese Gruppe war heterogener als ihre Herkunft, ihre Familie und ihr Milieu. Das hieß: Sie war auch reicher an Begabungen, an Kenntnissen und an Ideen. Sie bildete ein Netz aus Sympathie und Vertrauen, aus Ideen und Tapferkeit; ein Netz, das immer größer wurde. Jeder einzelne Knotenpunkt, jeder einzelne Mensch in diesem war so fragil oder so entschlossen, so mutig oder so ängstlich, wie Menschen eben sind. Aber das Ganze war eine Schwarmintelligenz: unentwegt lernend, selbstreflexiv, mit nachwachsender Solidarität. Erst die Gruppe, so kann man es mit heutigen Worten sagen, ermöglicht Selbstwirksamkeit. Das klingt nur paradox, denn warum sollte es mit im Leben anders sein als am Anfang: Verbindung ist das, was uns buchstäblich lebendig hält.
Alle Kandidaten für den Panter Preis haben dieses Versprechen gegeben und gehalten: dass ihre Netze da sind, um sich zu vergrößern. Dass es nicht nur um die Gruppe geht, die nach außen wirkt – indem sie Schwächere schützt, Bedrohte verteidigt und einen Ring aus Stärke um alle bildet, die diese Stärke dringend brauchen. Sondern dass die Gruppe sich auch selber stärkt. Ich glaube, niemand kann Tag und Nacht und jede Minute politisch bewusst, kämpferisch entschlossen, solidarisch und effizient sein.
Auch Melanie Berger war das nicht. Sie war Teil einer Gruppe, durch die sie werden konnte, wer sie ist. Eine Gruppe wie die Kandidaten für diesen Panter Preis, die hier aus mehreren Bundesländern und Himmelsrichtungen zusammentreffen.
Die Gruppe, für die die Jury sich entschieden hat, ist schon besonders lange aktiv, sie ist so schlau und hat so viele Arme wie ein Oktopus. Sie greift aus in die Stadtgeschichte und in die politische Bildung. Sie macht workshops, sie gibt Kultur ein Forum, und sie organisiert Demonstrationen. Sie kümmert sich um die manchmal schwarze Gegenwart wie um eine hellere Zukunft, und ich bin sicher, sie wird sich auch hier vernetzen. Denn das ist der gute Sinn der Sache.
Ich freue mich, den taz-Panter-Preis 2025 zu übergeben an das Bündnis gegen Rechts Kaiserslautern.
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