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Pandemie in der GroßstadtLangmut benötigt

Private Treffen gehen nicht mehr, aber Shoppen beim verkaufsoffenen Sonntag geht schon. Das ist einer der schlecht zu ertragenden Widersprüche.

Wirtschaftlich wichtig und deshalb erlaubt: Konsum in der Hamburger Innenstadt Foto: Bodo Marks / dpa

A m Donnerstag kehre ich von meinem Stipendiumsaufenthalt nach Hamburg zurück, und natürlich habe ich mich informiert, wie es in der Heimat so steht. Ich lebe seit Wochen in einer Kleinstadt im Schwarzwald, in der seit einiger Zeit eine Maskenpflicht in der Fußgängerpassage und auf dem Marktplatz besteht.

Es kommt mir absurd vor, denn auf dem Marktplatz ist meistens überhaupt niemand. Abstandhalten ist hier eine einfache, eine sehr einfache Sache. Und dann denke ich schon mal an mein Hamburg, wo es mancherorts nicht möglich ist, Abstand zu halten: um 17 Uhr im Bus, in der U-Bahn, in der S-Bahn oder auf den Einkaufsstraßen am Samstagnachmittag.

Aber was soll der Senat tun? Die Bürgersteige in Ottensen kann er nicht breiter machen, das Einkaufen nicht verbieten, mehr Busse und Bahnen kann er anscheinend auch nicht einsetzen. Es können nicht mehr Menschen Auto fahren, denn es sind schon zu viele unterwegs. Auch die Radwege sind voll. Die Stadt ist zum Bersten gefüllt mit Verkehr jeder Art, die Stadt ist ein wimmelnder Ameisenhaufen, die Abstände, die wir halten sollen, sind einfach nicht da.

Das ist das System, das System Großstadt. Konzentration, Enge, Gedrängtheit, Geschäftigkeit, Geschwindigkeit, Verkehr. Was kann man da also tun, wenn all das, was die Großstadt ausmacht, gefährlich ist?

Wenn ich mich mit meinen zwei Freundinnen aus zwei Haushalten nicht mehr im Park treffen darf, darf ich dann mit ihnen einkaufen gehen?
Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen. Am 30.10., 19 Uhr, liest sie daraus im Kleinen Michel, Hamburg – Anmeldung: anmeldung@stiftungros.de.

Sehr wenig anscheinend. Man kann die Menschen auffordern, sich nicht auch noch zu besuchen, privat. Das hört sich ein wenig armselig an, und das ist es auch. Aber was wäre der Zaubertrick, der die Gedrängtheit der Großstadt in weitflächige Luftigkeit verwandelte, die dazu führte, dass Menschen anderen nicht mehr zu nahe kämen? Ohne den Betrieb in der Stadt einzustellen, natürlich? Ich weiß es nicht. Ich fürchte, außerhalb des Lockdowns gibt es kaum was.

Und dann gibt es doch einen schönen Tag, in dem all dieser Wahnsinn des städtischen Trubels, von Büro, Fabrik, Kindergarten, Schule und Supermarkt, ruht. An dem die Stadt im Bett bleibt, ein wenig spazieren geht vielleicht, sich ausruht. Keine Kolleginnen, keine Kunden, keine Chefin, keine volle U-Bahn. Das ist der heilige Sonntag. Der schlechteste Wochentag für das Virus, alle sieben Tage wieder.

Am letzten Sonntag wurde in Hamburg ein verkaufsoffener Sonntag nachgeholt. Im April musste er wegen der Pandemie ausfallen. Ist man jetzt hinsichtlich der Gefahr zu einer anderen Einschätzung gelangt? Haben sich die Umstände verändert, verbessert?

Wenn ich mich mit meinen zwei Freundinnen aus zwei Haushalten nicht mehr im Park treffen darf, darf ich dann mit ihnen im Alsterhaus einkaufen gehen? Hummer essen im Hanseviertel? Ich glaube schon. Weil das Bereiche sind, in denen etwas stattfindet, was man Geschäftsverkehr nennt.

Im Geschäftsverkehr darf ich mit etlichen, fremden oder bekannten, Menschen gleichzeitig sein, im privaten eben nicht. Das sind die so schlecht zu ertragenden Widersprüche. Ein Mensch darf sich nach Feierabend nicht mit denen treffen, mit denen er den ganzen Tag zusammenarbeitet. Schüler*innen dürfen Mitschüler*innen nicht nach der Schule treffen.

Wir müssen hinnehmen, dass es Probleme gibt, die sich schwer oder gar nicht ändern lassen, andere, die schlecht oder gar nicht geregelt sind; Menschen, die sich nicht so verhalten, wie wir es für richtig halten, Regelungen, die uns falsch vorkommen. Von all dem fühlen wir uns angegriffen und gestresst. Gleichzeitig aber wird viel von uns verlangt: Einsicht, Nachsicht, Geduld und vor allem Verantwortungsbewusstsein. Das kommt zu dem hinzu, was der Alltag uns ohnehin abverlangt, zu den privaten Problemen oder echten Dramen. Wir können uns darüber austauschen und beschweren, über die Absurditäten, die Ungerechtigkeiten, die Hilflosigkeit.

Vor allem aber brauchen wir, glaube ich, in nächster Zeit noch sehr viel Langmut und vor allem große Arme für unsere Lieben.

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6 Kommentare

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  • Danke Frau Sedding für (wieder einmal) einen tollen Beitrag. Sehr gelungen, wie Sie die Absurditätäten und krassen Widersprüche unseres Coronaalltags und der damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen, darstellen. Diese Eindrücke teile ich vollumfänglich. Sollte ich mich nicht täuschen, in Ihrem Beitrag, zwischen den Zeilen,, noch eine weitere Wahrnehmung festgestellt zu haben, so stimme ich Ihnen auch in diesem Punkt, absolut zu.

  • Mit 55 ist der eine Monat eine willkommene Pause vom rasenden Alltag der Großstadt. Mit 17 ist ein Monat Stillstand gleichbedeutend dem Tod - Stillstand - Ende - wofür - warum? Wir sind nicht alle gleich - alte Menschen treffen Entscheidungen für Millionen junger Menschen - das wird Folgen haben.... „Berlin“ muss ja nicht gleich Babylon sein - aber es werden die jüngsten und die Künstler in the name of Pandemie vergessen - sehr sehr schade!

    • @Heinrichsruh:

      Das ist so wahr. Wer kümmert sich um die psychische Gesundheit unserer Jugendlichen? Due ist nebensächlich, due ist eswert, geopfert zu werden

  • Zitat: „Wenn ich mich mit meinen zwei Freundinnen aus zwei Haushalten nicht mehr im Park treffen darf, darf ich dann mit ihnen im Alsterhaus einkaufen gehen?“

    Was mich stört, ist nicht die Tatsache, dass Regelungen für den öffentlichen Raum getroffen werden, damit private Räume weitgehend unreguliert bleiben können. Mich stört lediglich, dass im öffentlichen Raum mit zweierlei Maß gemessen wird.

    Die Kleinen hängt man und die großen lässt man laufen, hieß es zu meiner Zeit. Das gilt heute auch noch. Und es ist immer noch falsch. Es sollte nicht nach Größe unterschieden werden, sondern nach Risiko. Und bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dass das Infektionsrisiko in einem Einkaufszentrum mit ein paar Tausend Leuten unter einem Dach größer ist als in einem Laden, in den nur 10 Leute passen. Sogar mit Maske.

    Für meine operierte Schulter habe ich Reha-Sport verordnet bekommen. Der findet in einem Fitnessstudio statt. Mit Maske, mit Abstand, mit Lüften, mit Desinfektion und mit Listen zur Nachverfolgung. Ab Montag ist das Studio zu. Dafür ist Obi auf. Mit Maske aber ohne Liste und ohne Abstands-Garantie. Nun frage ich mich: Sind die Maßnahmen nun wichtig oder sind sie verzichtbar? Und wenn sie wichtig sind, warum dann nicht überall?

    Macht muss verliehen werden in einer Demokratie. Und zwar von denen, die sich beherrschen lassen sollen. Nachdem das so ist, sollten Politiker die mentale Belastbarkeit der Bürger vielleicht besser nicht überstrapazieren. Unter Pandemie-Bedingungen das zu tun, was auch sonst immer getan wird, nur in noch größerem Umfang (Geld auf den jeweils größten Haufen zu kippen), könnte riskant sein unter Ausnahmebedingungen. Der Stress ist dann nämlich noch größer als sonst. Glaubt die Bundesregierung tatsächlich, sie könnte schaffen, was der Stasi letztendlich doch nicht gelungen ist?

  • Zitat: "....Zaubertrick, der die Gedrängtheit der Großstadt in weitflächige Luftigkeit verwandelte, die dazu führte, dass Menschen anderen nicht mehr zu nahe kämen? Ohne den Betrieb in der Stadt einzustellen, natürlich? Ich weiß es nicht. Ich fürchte, außerhalb des Lockdowns gibt es kaum was."



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    Artikel bringts schön auf den Punkt. >Ameisenhaufen< - und verfehlt genau mit diesem Bild den Kern der Sache: Ameisen haben ihre Verhaltensregeln - und sie haben NULL Probleme, sich untereinander auszutauschen und abzustimmen. HomoINsapiens ist blöd genug, sich als Isolationist*in durch das eigene Universum zu bewegen, als gäbe es genau NIEMAND sonst auf der Welt. Ok - wenn die berüchtigte >Vernunft< nicht ausreicht für ein Mindestmaß an direkter, gegenseitiger Wahrnehmung+Regelung, dann brauchts eben die Ordnungsmacht.



    Und von wegen "Zauberstab" - wenn es die VIELEN Isolationist*innen nicht schaffen, dann muss ihre Anzahl - am bestimmten Ort zur bestimmten Zeit - eben BEGRENZT werden. Wenn zB in London zeitweise nur PKWs mit gerader/ungerader Kenn-Nummer in die Innenstadt fahren durften - dann sind es jeweils nur die Hälfte Leute - ok? Und wenn jedes Geschäft befristet Zeitfenster für Alte und Vorbelastete (Ärztl. Áusweis) anbietet sowie ansonsten die Zahl der Kunden kontrolliert - dann bleibt die Anzahl der Wuselnden auch überschaubar. Geschäfte auf der Höhe der Zeit installieren eine Webcam vor dem Eingang - und ich kann von zuhause aus sehen, wann die Schlange kurz oder lang ist - alles geht, um den Ameisen ein bißchen näher zu kommen....

  • Private Treffen mit vielen Freunden in Räumen sind ein Treiber der Pandemie - Shopping mit Maske dagegen unproblematisch. Selbst wenn das Gedränge auf dem Bürgersteig etwas stärker ist.

    Da sehe ich keinen Widerspruch, schon gar keinen unerträglichen.

    Mal einen Monat ein bisschen zurückstecken, sich mit den Freunden vielleicht nur draußen treffen, ist kein Weltuntergang.