Pakistan weist indischen Botschafter aus: Unberechenbarer Machtpoker

Das Handeln Pakistans ist nur ein symbolischer Akt. Doch die Aufhebung der Autonomie Kaschmirs durch Indien könnte zu einer Eskalation führen.

Menschen mit Gepäck in Kaschmir

Indische Wanderarbeiter verlassen Kaschmir Foto: ap

Es klingt dramatisch: Pakistan weist den indischen Botschafter aus und reduziert die diplomatischen Beziehungen. Doch diese Entwicklung ist nur ein symbolischer Akt und nicht die eigentliche Gefahr zwischen den beiden Atommächten. Viel unberechenbarer für die Sicherheitslage in Südasien ist, dass Indien versucht, in der umstrittenen Region Kaschmir die Machtbalance zu verschieben.

Wenn nicht noch Indiens oberstes Gericht der hindunationalistischen Regierung von Narendra Modi einen Strich durch die Rechnung macht, dürfte sie mit ihrer handstreichartigen Aufhebung der Autonomie des Bundesstaates Jammu und Kaschmir durchkommen. Dann hätte Indiens Regierung den Status quo in einem der langwierigsten Konflikte der Region einseitig zu ihren Gunsten verändert.

Pakistan, das auch Ansprüche auf den indischen Teil Kaschmirs erhebt, droht mit härtesten Konsequenzen bis hin zum Krieg. Zwar ist Kaschmir seit Jahrzehnten ein Pulverfass und das Risiko einer unkontrollierten Eskalation angesichts der Atomwaffen beider Staaten stets vorhanden. Aber die pakistanischen Drohungen sind doch wenig überzeugend.

Pakistans Militär, das den Dauerkonflikt mit Indien für seine innenpolitische Machtabsicherung braucht, mag ein Interesse an Nadelstichen gegen Indien haben, aber nicht an einem ausgewachsenen Krieg. Den kann sich Pakistan, das gerade den Internationalen Währungsfonds um Hilfe ersuchen musste, gar nicht leisten und dürfte ihn wie frühere Waffengänge gegen den verhassten Nachbarn auch eher verlieren. Pakistan dürfte deshalb auf die Entsendung von Terrorgruppen setzen.

Die jetzt von Indien eingesperrten kaschmirischen Politiker waren keine Apologeten antiindischen Terrors, sondern um Verbesserungen für die Bevölkerung bemühte lokale Führer

Auch Chinas Empörung ist scheinheilig. Denn Indiens Vorgehen ist dem chinesischen in der autonomen Region Xinjiang nicht unähnlich. Die dortigen Uiguren und Kasachen haben de facto auch keine Selbstverwaltung, sondern werden massiv von Peking unterdrückt. Durch die Ansiedlung von Han-Chinesen wurden sie zur Minderheit im eigenen Land und zudem ihrer kulturellen und religiösen Traditionen beraubt.

Das größte Problem an Delhis Vorgehen ist der Umgang mit den Kaschmirern. Litten sie bisher schon unter den Übergriffen indischer Sicherheitskräfte, gegen die sich sich vor keinem Gericht wehren konnten, so wird der indische Teil Kaschmirs nun vollständig zur Region ohne Rechte für die dortige Bevölkerung.

Die jetzt von Indien eingesperrten kaschmirischen Politiker waren keine Apologeten antiindischen Terrors, sondern um Verbesserungen für die Bevölkerung bemühte lokale Führer. Sie jetzt putschartig wegzusperren, stößt alle gemäßigten Kräfte vor den Kopf. Das vergrößert die Erfolgsaussichten einer pakistanischen Terrorstrategie. Indien dürfte darauf mit noch mehr Repression reagieren. Unter beidem leidet dann die lokale Bevölkerung, die in großer Mehrheit muslimisch ist. Dass diese im Kalkül der hinduistischen Regierung keine Rolle zu spielen scheint, ist der eigentliche Skandal.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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