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Outing als nicht-binäre PersonGesellschaftliche Grenzen gesprengt

Sam Smith ist nicht-binär, und manche Menschen haben damit ein Problem. Für Smith aber war das Outing eine Freude – wie schön!

Sam Smith Anfang Februar bei der Grammy-Verleihung in Los Angeles

D a online inzwischen vieles algorithmusbasiert funktioniert, sehe ich nur die Tiktoks und Tweets, die Sam Smith verteidigen. Dass es so viele Menschen gibt, die Smith verteidigen, zeigt aber, wie viele dey angreifen. Dey ist der Vorschlag eines nicht-binären Pronomens. In meinen Augen ist der Grund eigentlich banal, hat sich in den vergangenen zwei, drei Jahren aber leider zum zentralen Thema des Kulturkrampfs entwickelt: Smith ist nicht-binär und wagt es im aktuellen Musikvideo zu „I’m Not Here To Make Friends“ und in Livegigs in exaltierten Klamotten und, wenn man so will, „provokativ“ aufzutreten.

Hier kann ich den Punkt aufgreifen, über den ich in meiner zweiten Kolumne bereits geschrieben hatte: Wenn Harry Styles in flamboyanten, queeren, „femininen“ Klamotten auftritt, farbenfroh, schillernd, mit Rock, dann wird er dafür gefeiert, weil er als cool und wegweisend gilt und gesellschaftlich festgelegte Grenzen sprengt, dabei aber als Cishet wahrgenommen wird. Bei Sam Smith als nicht-binärer Person, die Männer datet, ist das ein Problem (ähnlich übrigens bei Lil Nas X als Schwarzer und schwuler Mann). Und wenn man obendrein aus dem konventionellen Schönheitsraster fällt, indem man, wie eben Smith, nicht dem gesellschaftlichen Normgewicht und Aussehen entspricht, sondern zugenommen hat, ist das gleich doppelt skandalös. Womit ich zu meiner damaligen Aussage zurückkomme: Sich als queer outen ist eine politische Handlung.

In einem Interview sprach Sam Smith kürzlich über das Thema. Darin sagt Smith, dass dey sich seit dem Outing 2019 als nicht-binär „joy in abundance“ fühle, also „Freude in Hülle und Fülle“ und dass auch deren Privatleben dadurch besser denn je wäre. Öffentlich sei das aber eine ganz andere Geschichte, gerade in Großbritannien: Smith werde regelmäßig verbal auf der Straße angegriffen. „Wenn mir das passiert – und ich bin berühmt, ich bin ein Popstar –, kannst du dir vorstellen, wie sich andere queere Kids fühlen? Es ist einfach so traurig, dass das im Jahr 2023 immer noch passiert. Es ist ermüdend“, fügte dey hinzu. Solange queere Menschen, die sich nicht nur queer stylen (wie eben Harry Styles), sondern auch öffentlich zu ihrer Queerness stehen, dermaßen ins Schussfeuer geraten, sei es auf der Straße oder im Internet, ist ein Outing politisch und leider notwendig als Vorbild für diejenigen, die keine Stimme haben.

Es ist mit Verlaub zum Kotzen, dass Menschen wie Sam Smith nicht einfach in Ruhe gelassen werden, dass trans beziehungsweise nicht-binär Sein so zum Politikum geworden ist. Warum bockt das cis Menschen so sehr? Ich verstehe es wirklich nicht. Aber ich freue mich sehr für Sam Smith, dass dey mit sich selbst jetzt so viel glücklicher ist. Und wenn das anderen nicht gefällt, kann Smith ihnen mit dem Titel des Songs kontern: „I’m Not Here To Make Friends.“

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Isabella Caldart
... arbeitet als freie Journalistin mit Schwerpunkt auf Kultur und Gesellschaft für diverse Medien und macht auch sonst allerhand Jux und Tollerei mit dem geschriebenen Wort. Frankfurt/Barcelona
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4 Kommentare

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  • Ich habe mir den Videoclip von "I'm not here to make friends" angeschaut und kann nur empfehlen es sich anzusehen.

  • Hm,

    nun gehe ich auf gefährliches Terrain. Ja, nicht binäre Menschen haben das Problem ihre Identität als nicht binär öffentlich machen (zu müssen/wollen), da sie ansonsten nicht ihrer Identität entsprechend angeredet werden können (ein Thema welches hoffentlich auch bald mal von Germanisten "abschliessend bearbeitet wird). Und nein, warum muss in allen Diskussionen um die Identität auch immer die Geschlechtlichkeit der Person mit ewrähnt oder diskutiert werden? Ich bin - glaube ich - nicht prüde. Aber ich will gar nicht von allen und jedem wissen wie/wo/mit wem der Sex ist. Geht mich das was an? Bei den allermeisten wohl eher nicht. Und das bedeutet eigentlich zweierlei, wir sollen offen und natürlich tolerant mit unseren und anderer Menshcen Identitäten sein und wir sollten nicht jedem unter die Nase reiben wie wir Sex haben, weil das als übergrifffig empfunden werden kann.

    My 5 ct

    • @Rüdiger:

      Na, dann ist doch super, dass hier gar niemand von Sex spricht oder schreibt, Sam Smith nicht, der Artikel nicht, ich nicht, nur ... nun ja.

  • Also bevor wir hier neue Formen von Diskriminierung einführen:

    "Dey", das klingt wie abgeleitet von "they", zu Deutsch "die", was als Abkürzung für "die anderen" mißverstanden werden kann. Irgendwie wollen wir aber dahin kommen, dass nicht "Wir" und "Die (anderen)" getrennt, sondern alle "wir" sind, egal welchem Geschlecht jedeR von uns auch immer angehören mag.

    "exaltierte Klamotten"??? Gibt es nicht! Schlagt euch das aus dem Kopf.

    Was allein die Mode schon hervorgebracht hat im Laufe meiner Lebensjahrzehnte, da gab es sogar in den großen etablierten Familienversandhauskatalogen einmal vor ein paar Jahrzehnten Klamotten im "Clochard"-Look im Angebot als neueste Mode. Kleidung ist also immanent verrückt, und alle tragen Kleidung, was angesichts der Klimaerwärmung unseren Nachfahren noch ganz besonders verrückt erscheinen wird, sollten wir nicht langsam mit dem Klimaschutz in die Gänge kommen.

    Zitat: "Für Smith aber war das Outing eine Freude ..." Wie schön.

    Es gibt aber auch binäre und unäre Personen, welche gerne ihrem von Geburt an zugeordneten Geschlechte angehören, aber früher oder später, evtl. schon in Kindertagen anfangen, die einem anderen Geschlechte zugeordneten Farben, und ausgewählte der von im Durchschnitt eher vom anderen Geschlechte getragenen Klamottenvarianten für sich lieben und schätzen zu lernen, oder das andere Geschlecht im Stillen darum zu beneiden.

    Es gab schon viele Anläufe, den Männerrock zu etablieren, aber am ehesten greifen da von den binären Typen Schottland-Fans zu, obwohl es dafür in Europa nicht nur Schotten, sondern auch die Griechen als Vorbilder gibt, deren Gardesoldaten Rock tragen. Es gibt mehr "unisex"-taugliche Klamotten als der Durchschnitt denkt, weil der Durchschnitt garnicht darüber nachdenkt. Aber genau darüber nachzusinnen und es irgendwann mal wahr zu machen, das ist nicht exaltiert, sondern ganz normal. Und macht Freude. Wie schön.