Ostermarsch in Mainz: Zehn Minuten bis Moskau
Die Friedensbewegung hat zu kämpfen: mit dem eigenen Niedergang und mit prorussischen Strömungen. Trotzdem ostermaschierte es auch in Mainz wieder.
Der 70-jährige Mainzer Nieth war bereits in den 1980er Jahren im Koordinationsausschuss der Friedensbewegung aktiv. Denn das Rhein-Main-Gebiet hat eine lange Geschichte mit US- und Nato-Stützpunkten. Dazu zählt auch das Hauptquartier der US Army Europe in Wiesbaden, wo rund 20.000 Soldaten und Angehörige stationiert sind. Ein neues Kommando in Wiesbaden unterstützt zudem seit Ende vergangenen Jahres die Ausbildung ukrainischer Soldaten und koordiniert die Waffenlieferungen an die Ukraine. Auch die Friedensbewegung im Rhein-Main-Gebiet sei davon beeinflusst – sie sei nun wieder gewachsen.
Wenn Friedrich Merz und Verteidigungsminister Pistorius „diesem Trump die Möglichkeit geben, von deutschem Boden aus einen Weltkrieg zu entfachen, spielen sie mit dem Leben unserer Bevölkerung“, so Nieth. Sie seien das größte Sicherheitsrisiko für Deutschland. Besonders besorgt sei der Mainzer aber über die USA: „Über den Einsatz amerikanischer Waffen entscheidet der US-Präsident – und der heißt jetzt Trump“, so Nieth. Im Rhein-Main-Gebiet fürchte man nicht die Russen, sondern die Amerikaner.
Und was ist mit der Gefahr durch Putin? „Er ist ein Machtpolitiker, er möchte Russland wieder als Weltmacht sehen, aber er ist sicher kein Selbstmörder“, so Nieth. Man müsse mit Russland verhandeln und „wir müssen einen Kompromiss schließen.“
Kein Interesse
Brigitte Forßbohm, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken in Wiesbaden, ist sich da nicht so sicher. „Wer meint, dass es zur Beendigung des Krieges nur am Willen zur Diplomatie fehle, muss doch zur Kenntnis nehmen, dass es seitens Putins kein Interesse an Verhandlungen gibt“, sagt die Wiesbadener Politikerin am Ostersamstag – stößt damit auf Kritik bei anderen Demonstrierenden.
In der Friedensbewegung gebe es Menschen, die sehr stark prorussisch seien und ausschließlich der Nato die Schuld gäben. „Wir sehen: Russische Propaganda ist hier gelungen“, so Forßbohm. Die Stationierung von US-Lang- und Mittelstreckenraketen berge große Risiken, „insbesondere für Wiesbaden als Sitz der Kommandozentrale für diese Waffen, aber auch für ganz Deutschland“.
Forßbohms Fraktion regiert derzeit in Wiesbaden gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Volt. Im September 2024 stellte die Linksfraktion einen Antrag in der Stadtverordnetenversammlung, die Stationierung von landgestützten US-Langstreckenwaffen sowie die Einrichtung eines Nato-Hauptquartiers in Wiesbaden-Erbenheim abzulehnen. Der Antrag wurde abgelehnt.
Das bedeute jedoch nicht, dass die Stadtpolitik der Stationierung grundsätzlich zustimme. „Insgesamt gibt es in der Stadtpolitik große Sorge, aber auch Hilflosigkeit.“ Denn auf kommunaler Ebene hat Wiesbaden kaum Einfluss auf die Planungen: Die städtische Planungshoheit ist nicht betroffen, da bislang keine Umbauten oder sonstigen baulichen Maßnahmen durchgeführt wurden. Es wird in der Stadtpolitik davon ausgegangen, dass bereits ausreichende räumliche Kapazitäten vorhanden sind – daher greifen auch keine Anhörungs- oder Beteiligungsrechte der Landeshauptstadt Wiesbaden. So erklärte es Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) im vergangenen Februar: „Ich stehe öffentlich für Frieden und Abrüstung. Die Entscheidungen darüber werden aber auf anderen politischen Ebenen getroffen.“
Auf schwachen Füßen
Doch die Linksfraktion in Wiesbaden will sich mit dieser Lage nicht abfinden. Sie plant, verfassungsrechtlich gegen die geplante Stationierung vorzugehen. „Die gemeinsame Erklärung von Scholz und Biden zur Raketenstationierung steht verfassungsrechtlich auf schwachen Füßen“, so Forßbohm.
Widerspruch kommt von CDU und FDP. Wie der Wiesbadener Kurier berichtet, hält Bernd Wittkowski, Fraktionsvorsitzender der CDU, es für keineswegs sicher, dass die Raketen ab 2026 tatsächlich in Wiesbaden stationiert werden. Zudem müsse man Putin ein Mittel der Abschreckung entgegensetzen. Wiesbaden habe keinen Grund zur Sorge, so Wittkowski: Keine Stadt in Deutschland sei durch die Präsenz der Amerikaner so sicher wie die hessische Landeshauptstadt. Auch Christian Diers, Fraktionsvorsitzender der FDP, verteidigt die Raketenstationierung: „Irgendwo müssen diese Raketen eben hin. Die Ukraine hat sich ihr Schicksal auch nicht ausgesucht.“
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