Ostermärsche in Deutschland: Keine Massenbewegung mehr
Einige tausend Menschen gehen für eine Welt ohne Krieg und Gewalt auf die Straße. Im Gegensatz zu den 80er-Jahren demonstriert heute nur noch der harte Kern.
BERLIN dpa | Mit bundesweit etwa 80 Veranstaltungen hat die Friedensbewegung am Osterwochenende für eine Welt ohne Krieg und Gewalt geworben. Einige tausend Menschen kamen bei Ostermärschen und -Spaziergängen, Kundgebungen und Friedensfesten zusammen.
In Hamburg traten nach Polizeiangaben am Ostermontag rund 450 Menschen für das Verbot von Rüstungsexporten und Waffenkäufen sowie gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ein. In Hessen radelten Teilnehmer unter dem Motto „Krieg löst keine Probleme“ zur Ostermarsch-Kundgebung nach Frankfurt/Main.
Der dreitägige Ostermarsch Rhein-Ruhr ging mit einem Protestzug von Bochum nach Dortmund zu Ende. Die Demonstranten forderten weniger Einmischung der Bundeswehr bei Einsätzen bei zivilen Katastrophen, wie ein Sprecher des Organisationskreises sagte. An den Vortagen hatten etwa in Berlin, Stuttgart und Leipzig jeweils einige hundert Menschen protestiert.
100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs und 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war vielfach ein möglicher bewaffneter Ukraine-Konflikt Thema der Proteste. Auch gegen Atomkraft und die Abschottung der europäischen Grenzen gegen Flüchtlinge wollten viele Demonstranten fünf Wochen vor der Europawahl Zeichen setzen.
„Bewegung ist wach und lebendig“
Die Ostermarschbewegung hat ihre Wurzeln im Protest gegen das atomare Wettrüsten im Kalten Krieg. Während in den 80er Jahren bundesweit bis zu eine Million Menschen zu Ostermärschen auf die Straße gingen, ist es heute nur noch der harte Kern. Die Organisatoren sehen aber nach eigenen Angaben ihre Positionen von der Bevölkerung getragen. Manfred Stenner vom Netzwerk Friedenskooperative in Bonn sagte: „Es ist eine gute Stimmung. Die Bewegung ist wach und lebendig.“
Nach Einschätzung von Thorsten Bonacker vom //www.uni-marburg.de/konfliktforschung:Zentrum für Konfliktforschung der Marburger Universität fällt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die Positionierung schwerer. „Es ist viel komplexer, als es in der Abrüstungsdebatte war.“
Der Berliner Protestforscher Dieter Rucht nannte weitere Gründe, weshalb die Friedensbewegung keine Massenbewegung ist: „Wenn mehrere politische Themen gleichzeitig parallel behandelt werden, finden immer ein bisschen Verdrängungswettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit statt“, sagt der Soziologe. „Und da haben jetzt internationale Themen wie Finanzkrise und Euro Vorrang gegenüber den Friedensthemen.“
Auch Friedensaktivist Stenner bestätigt, nach Ende des Kalten Krieges sei das Gefühl der direkten Bedrohung weggefallen: „In den 80ern dachten die Menschen, ihnen fällt der Himmel auf den Kopf – dann war der Dritte Weltkrieg auf einmal abgesagt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau