Oster-Kulturkampf: Sitzhase gegen Panzerhase
Die Hasen kommen nicht zur Ruhe. Erst sitzen sie nur rum, jetzt kommen sie auf Militärfahrzeugen dahergefahren.
Z wei Debatten um verschiedene Ausprägungen von Osterhasen erschüttern aktuell Deutschland. „Ostern wie zu Nazizeiten“, titelte die Berliner Zeitung zu der einen Osterhasendebatte, die ihren Ursprung im beschaulichen Tübingen hat. Dort bestehen die Hasen aus einem Zucker-Sahne-Wasser-Gemisch und feuern wahlweise Kanonen oder fahren Panzer. Die Bäckerei „Café Lieb“ hat die 90 Jahre alten Formen für ihre Herstellung wieder aus dem Keller geholt. Konditormeister Ulrich Buob erklärte dem SWR, die alten Leute würden diese Hasen ja noch aus ihrer Kindheit kennen und als Erinnerung schätzen. Und in unsere Zeit würden sie ja auch noch, traurigerweise, gut passen.
Tatsächlich waren Zuckerhasen schon im deutschen Kaiserreich beliebt. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg dann besonders, weil Zucker zwar Mangelware, aber immer noch leichter zu besorgen war als Schokolade. Die Formen von damals lagern noch in diversen Heimatmuseen und bilden die Trends der jeweiligen Zeit ab. Manche süßen Hasen fahren etwa Pferdewagen oder Fahrrad. Oder eben Panzer, und bedienen Kanonen. Vor lauter Nostalgie scheint man in Tübingen irgendwie vergessen zu haben, dass diese „zuckersüßen“ Hasen mit ihrer Militärtechnik den arischen Kinderlein im Dritten Reich die NS-Ideologie näherbringen und sie für die Unterjochung der „Untermenschen“ vorbereiten sollten.
Der Tübinger Bäckerei-Inhaber Hermann Leimgruber versteht die Aufregung nicht, die Zuckerhasen seien schließlich Tradition. „Mein Gott, es ist doch ein Teil unserer Geschichte. Die Kinder haben damals den Hasen im Panzer bekommen zu Ostern.“
Doch genau da liegt der Hase im Pfeffer. Um Klartext zu reden: Das sind nicht einfach irgendwelche Hasen, sondern Hasen mit Naziwaffen.

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Auch über eine andere Hasenart herrscht seit Wochen Empörung, nämlich den „Sitzhasen“ aus Schokolade. Den gibt es in Discountern zu kaufen und manch ein User in den sozialen Medien wittert da gleich eine Verschwörung. „Der #Sitzhase verdrängt den Osterhasen. Die schleichende Islamisierung Deutschlands schreitet immer mehr voran“, befand etwa der AfD-Bundestagsabgeordnete Johann Martel auf X. Der islamistische „Sitzhase“, so die „Theorie“, verdränge den christlichen „Osterhasen“. Wie können es die „woken“ Discounter wagen, die Ostersüßigkeit nicht beim Namen zu nennen!
Der Hase hat unternehmerischen, nicht islamistischen Hintergrund
Lidl gibt sich nüchtern und klärt auf. Einige Schokoladenhasen bezeichne Lidl in Deutschland als Sitzhasen, um eine klare Unterscheidung zwischen den verschiedenen Artikeln zu ermöglichen. Im Sortiment gebe es entsprechend immer noch Produkte, die „Osterhase“ heißen. Falscher Alarm also, „Osternester“ und „Ostereier“, aber eben auch „Sitz-“, „Steh-“ und „Schmunzelhasen“, gibt es nach wie vor. Klar, irgendwie muss man in der Logistik die vielen verschiedenen Hasentypen im Sortiment ja auseinanderhalten können.
Und überhaupt scheinen die Verteidiger des Abendlandes im Religionsunterricht nicht aufgepasst zu haben. Diese Hasen und Eier sind überhaupt nicht christlich, sondern heidnische Fruchtbarkeitssymbole.
In den sozialen Medien kursieren derweil krude Theorien, wonach es einen direkten Zusammenhang geben muss zwischen den Panzer- und Sitzhasen. „Wer wundert sich, wenn die Dinger jetzt auch noch in Sitzhasen umbenannt werden, dass der ein oder andere auf die Idee kommt und rebelliert?“, schreibt ein Facebook-User zu dem Artikel der Berliner Zeitung über den NS-Hasen. Also soll es jetzt neben AfD-Protestwählern auch noch Protest-NS-Zuckerhasen-Verspeiser geben? Ach, du dickes Ei!
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